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Was ist der richtige Weg? Für Deutschland und die Flüchtlinge? Ehemalige Schüler haben den Lehrerfunktionär Jürgen Mannke jetzt "Rassismus" in der Debatte vorgeworfen.

© Armin Weigel/dpa

Offener Brief an Lehrer Mannke: Warnung vor Sex mit Muslimen: Missverständnis oder Rassismus?

"Wir sind enttäuscht und traurig": Mit einem offenen Brief haben sich ehemalige Schüler an Jürgen Mannke gewandt. Der Chef des Philologenverbands Sachsen-Anhalt hatte vor der Libido von Flüchtlingen gewarnt.

Jürgen Mannke muss ein guter Lehrer gewesen sein. Im Deutschunterricht besprach er Stefan Zweig und Erich Maria Remarque, in Geschichte behandelte er das Schicksal Victor Klemperers. Dass "Migration als ein Grundbestandteil der Geschichte Europas und der Welt zu begreifen ist", hat Mannke am Domgymnasium in Merseburg immer wieder vermittelt.

So berichten es jedenfalls 26 seiner ehemaligen Schülerinnen und Schüler, die sich jetzt in einem offenen Brief an den Vorsitzenden des Philologenverbandes Sachsen-Anhalt gewandt haben. Deshalb habe es sie überrascht, von Mannkes jüngsten Äußerungen zur Flüchtlingskrise zu erfahren. Als Lehrerfunktionär hatte Mannke, wie berichtet, in der Verbandszeitschrift vor Beziehungen zu Flüchtlingen gewarnt. "Wie können wir unsere jungen Mädchen im Alter ab 12 Jahren so aufklären, dass sie sich nicht auf ein oberflächliches sexuelles Abenteuer mit sicher oft attraktiven muslimischen Männern einlassen?", fragten Mannke und seine Stellvertreterin Iris Seltmann-Kuke im Leitartikel.

"Ihren Unterstellungen und Ihrem kulturell basierten Rassismus widersprechen wir deutlich", antworten nun Ehemalige von Mannkes früherer Schule. "Wir sind enttäuscht und traurig." Mit Formulierungen wie "Invasion" und "ungehemmte Einwanderungsströme" bediene sich Mannke der Sprache der Neuen Rechten, der Verweis auf eine Bedrohung deutscher Frauen durch vermeintlich ungebildete und besonders maskuline junge Muslime bediene "klassische kulturrassistische Ressentiments".

"Statt Ängste mit Halbwahrheiten zu schüren, die häufig ganze Lügen sind, sollten gerade Sie als Geschichtslehrer wissen, dass Wandel und Verflechtungen die Grundlagen jedweder Geschichte sind", halten die Ex-Schüler Mannke vor. Mit seinem Artikel würde er auch "dazu beitragen, das Bild eines intoleranten und rassistischen Sachsen-Anhalts zu vermitteln".

Ehemalige suchen das Gespräch mit Mannke

Drei Schülerinnen und Schüler des Abiturjahrgangs 2006 hatten den Brief initiiert, wie Lisa Richter als Sprecherin der Gruppe berichtet. Ehemalige ganz unterschiedlicher Jahrgänge ließen sich dafür gewinnen. Ihnen sei es ein Anliegen, gegen rassistische Äußerungen Stellung zu beziehen. Aber sie wollten auch mit ihrem alten Lehrer ins Gespräch kommen.

Deshalb bauen sie Mannke eine Brücke. "Wir bestreiten die Herausforderungen nicht, vor denen der Rechtsstaat und die Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland stehen", schreiben sie. Spracherwerb und gemeinsame Werte seien "unzweifelhaft" Voraussetzungen einer gelungenen Integration von Flüchtlingen. Und überforderte Lehrer dürften "damit nicht allein gelassen werden". Unbehagen über den Wandel dürfe jedoch nicht in Diffamierungen umschlagen, jeder sei zu einem konstruktiven Beitrag verpflichtet. Der Aufruf an Mannke: "Wir hoffen, Sie für diese notwendige Debatte zu gewinnen."

Anonyme Morddrohung gegen Kultusminister Dorgerloh

Nach heftiger Kritik an seinen Äußerungen hatte Mannke zu Wochenbeginn seine Äußerungen relativiert. Er habe niemals die Absicht gehabt, "Menschen anderer Religionen, Nationen und Kulturen zu diffamieren, Ängste zu schüren, nationalistische Klischees zu bedienen oder zu pauschalisieren", erklärte er am Montag auf der Website des Landesverbandes. "Die Wortwahl einiger Passagen sehe ich im Nachhinein als unglücklich und missverständlich gewählt." Dafür wolle er sich entschuldigen.

Auch die stellvertretende Vorsitzende Seltmann-Kuke drückte ihr Bedauern aus, verwahrte sich aber gegen den Vorwurf der Fremdenfeindlichkeit. Wie ihr Verband ständen sie auch persönlich für "ein weltoffenes und demokratisches Sachsen-Anhalt" ein, ergänzten die beiden Vorsitzenden am Dienstag.

Zu den Kritikern der beiden Lehrerfunktionäre zählte auch Sachsen-Anhalts Kultusminister Stephan Dorgerloh (SPD). Er warf ihnen vor, sie würden "Gerüchte verstärken" und "Halbwahrheiten verbreiten". Deswegen sieht sich Dorgerloh nun anonymen Drohungen ausgesetzt. In einer E-Mail sei er heftig angegriffen worden, sogar eine konkrete Todesdrohung habe es gegeben, sagte ein Ministeriumssprecher der "Mitteldeutschen Zeitung". Die Mail müsse "sehr ernst" genommen werden. Es sei Strafanzeige gegen Unbekannt gestellt worden. (mit AFP, epd)

Lesen Sie hier die vollständigen offenen Brief im Wortlaut

An dieser Stelle dokumentieren wir den offenen Brief der ehemaligen Schüler Mannkes vom Domgymnasium Merseburg, für den die Initiatoren auch eine eigene Website eingerichtet haben.

Sehr geehrter Herr Dr. Mannke,

wir – ehemalige Schülerinnen und Schüler des Domgymnasiums Merseburgs, an dem Sie viele Jahre tätig waren – haben mit großer Bestürzung Ihren Artikel „Flüchtlingsdebatte: Anpassung an unsere Grundwerte erforderlich“ in der Zeitschrift des Philologenverbandes Sachsen-Anhalt (3/2015) zur Kenntnis genommen.

Ihr Unterricht und die Zusammenarbeit mit Ihnen haben uns geprägt. Im Deutschunterricht haben Sie uns mit der überwältigenden Prosa des Kosmopoliten Stefan Zweig oder den beklemmenden, die schrecklichen Folgen von Propaganda und Nationalismus entlarvenden Werken von Erich Maria Remarque vertraut gemacht. Im Geschichtsunterricht halfen Sie uns, uns mit den erschreckenden Mechanismen der Demagogie in Victor Klemperers „LTI“ auseinanderzusetzen. Zudem führten Sie uns – nicht zuletzt auf Grundlage Ihrer eigenen Biografie als Nachfahre der Hugenotten – deutlich vor Augen, dass Migration als ein Grundbestandteil der Geschichte Europas und der Welt zu begreifen ist. Umso überraschender und bedauerlicher ist es nun für uns, gerade von Ihnen einen solchen Artikel zu lesen. Wir sind ebenso empört darüber, wie Ihre Zeilen dazu beitragen, das Bild eines intoleranten und rassistischen Sachsen-Anhalts zu vermitteln.

Ihr Beitrag nutzt einerseits neu-rechte und von rechtskonservativen Autoren geprägte Begriffe wie „Invasion“ und „ungehemmte Einwanderungsströme“. Sie greifen andererseits auch auf klassische kulturrassistische Ressentiments zurück, indem Sie das Trugbild des (ungebildeten) virilen muslimischen jungen Mannes als Bedrohung (weißer) deutscher Frauen imaginieren. Die Reduktion des komplexen Themas Flucht und Asyl auf die Angst um „unsere“ Mädchen und „unsere Werte“ sowie die fragwürdigen Spekulationen über die Sexualität muslimischer Männer sind eines Pädagogen unwürdig. Wir alle empfanden die gleiche Bestürzung über Ihre Argumentationen und Begrifflichkeiten, die wir sonst nur von den wöchentlichen Aufmärschen der *Gidas in Dresden, Leipzig oder Erfurt kennen.

Wir bestreiten die Herausforderungen nicht, vor denen der Rechtsstaat und die Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland stehen. Dass eine sinnvolle Integration nur über Spracherwerb und positiven Bezug auf geteilte Werte gewährleistet werden kann, ist unzweifelhaft. Lehrerinnen und Lehrer dürfen, wenn sie sich mit den zunehmend heterogenen Klassenzusammensetzungen und Sprachkompetenzen überfordert fühlen, damit nicht allein gelassen werden.

Statt Ängste mit Halbwahrheiten zu schüren, die häufig ganze Lügen sind, sollten gerade Sie als Geschichtslehrer wissen, dass Wandel und Verflechtungen die Grundlagen jedweder Geschichte sind.

Man kann sich beim Gedanken daran unbehaglich fühlen, dass ein Wandel, den man selbst nicht gewollt hat, die eigene Welt verändern wird. Doch das gibt niemandem das Recht, Menschen zu diffamieren. Vielmehr nimmt dieser Wandel jeden von uns in die Pflicht, einen konstruktiven Beitrag zu leisten, damit er friedlich und zum Wohle aller verläuft.

Wir hoffen, Sie für diese notwendige Debatte zu gewinnen. Ihren Unterstellungen und Ihrem kulturell basierten Rassismus widersprechen wir deutlich. Wir sind enttäuscht und traurig.

Mit freundlichen Grüßen

Ihr/Ihre

Alexander Amori (geb. Döring), Abiturjahrgang 1997 Franka Böttcher, Abiturjahrgang 2000, Halle/Saale Angelika Brünecke, Abiturjahrgang 2005, Leipzig Sandra Bullens, geb. Lönnig, Abiturjahrgang 1995, München Mona Engelke, Abiturjahrgang 1997, Bremen André Gottschalk, Abiturjahrgang 2009, Aurich Anja Gruber-Wiedemann, Abiturjahrgang 1997, Merseburg Andreas Heidenreich, Abiturjahrgang 1996, Berlin Sven Jaros, Abiturjahrgang 2006, Leipzig Lucas Jost, Abiturjahrgang 2000, Guadalajara (Mexiko) Marcus Jost, Abiturjahrgang 1997, Hamburg Rebecca Jost, Abiturjahrgang 2004, Leipzig Alexander Kaluza, Abiturjahrgang 2006, Braunschweig Jakob Kindler, Abiturjahrgang 2000, Halle/Saale Robert Kindler, Abiturjahrgang 1997, Berlin Annekathrin Lange, Abiturjahrgang 2000, Berlin Benjamin März, Abiturjahrgang 1998, Leipzig Tina Otten, Abiturjahrgang 2008, Halle/Saale Ann-Kathrin Pfeffing, Abiturjahrgang 2006, Leipzig Lisa Richter, Abiturjahrgang 2006, Berlin Susanne Rönicke (geb. Ebert), Abiturjahrgang 1997, Leipzig Antje Ryssel, Abiturjahrgang 1995, Leipzig Matthias Schrinner, Abiturjahrgang 2007, Leipzig Ellen Schweda, Abiturjahrgang 1995, Halle/Saale Dr. Bernhard Spring, Abiturjahrgang 2003, Halle/Saale Sebastian Striegel, Abiturjahrgang 2000, Halle/Saale

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