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Politik: Ohne den nötigen Ernst Von Tissy Bruns

Die Flitterwochen sind längst vorbei, und dagegen ist nichts einzuwenden. Doch die politischen Akteure der großen Regierungskoalition führen ein seltsames Schauspiel vor: Wo der Übergang zur handfesten Arbeit – Gesundheit, Föderalismus, Unternehmensteuerreform – fällig und vielleicht auch Krach vonnöten wäre, macht sich dieses Zweckbündnis auf den Weg zurück.

Die Flitterwochen sind längst vorbei, und dagegen ist nichts einzuwenden. Doch die politischen Akteure der großen Regierungskoalition führen ein seltsames Schauspiel vor: Wo der Übergang zur handfesten Arbeit – Gesundheit, Föderalismus, Unternehmensteuerreform – fällig und vielleicht auch Krach vonnöten wäre, macht sich dieses Zweckbündnis auf den Weg zurück. Die Koalition führt nicht Szenen einer Ehe auf, sie probt den Rückfall in die Pubertät. Und wie immer, wenn Erwachsene noch einmal jugendlich sein wollen, sieht das albern aus. Das Führungspersonal wirkt dieser Tage, um einen dem Entwicklungsstand angemessenen Ausdruck zu finden, einfach total uncool.

Formal zankt man um Hartz IV. Das ist kein Zufall. Denn Hartz IV ist ein in gewisser Weise erlaubter Streitfall, für den weder die Koalitionsdisziplin noch die Loyalität zur Bundeskanzlerin so richtig geltend gemacht werden können. Das Thema hat seinen Ursprung vor der gemeinsamen Zeit und fällt damit nicht zwingend in die Rubrik der gemeinsamen Verantwortung. Jedenfalls kann man vor dem großen Publikum versuchsweise diesen falschen Schein erwecken. Die Union, und – wieder kein Zufall – allen voran ihre starke Länderfront, führt sich also als eine Opposition auf, die sie schon damals nicht wirklich war. In dieser Rolle kann man im Ungewissen halten, welches Ziel die geforderte Generalrevision eigentlich haben soll. Es kommt vor allem auf einen Begriff an, der an Schuldfragen rührt. Wenn alles revidiert werden muss, hat jemand großen Unfug gemacht. Die SPD nämlich, die heute Angela Merkels Koalitionspartner ist.

Man schlägt den Sack und meint den Esel – um Merkel und die Koalition geht es, danach erst um die SPD. Der Unmut in der Union über den Antidiskriminierungskompromiss war schon erheblich, entladen konnte er sich nicht. Denn wer hier kritisiert, zielt direkt auf die Bundeskanzlerin, die den Kompromiss ausgehandelt hat. Deshalb ist Hartz IV zum Stoff für eine Seelenkrise der Union geworden. Der Streit dreht sich in Wahrheit um die Frage, ob sie denn wirklich sein musste, die Sache mit der großen Koalition. Darum, wo die eigene Identität dabei bleibt. Und indirekt ist die Frage einfach da, die man als CDU-Ministerpräsident laut nicht stellen darf: Ob nämlich die CDU-Vorsitzende in der großen Koalition genug herausholt für ihre Partei.

Die SPD, die ihrerseits von Januar bis März ein ähnliches Psychodrama ausgelebt hat, gefällt sich nun in einer ungewohnten Rolle. Sie gibt die erprobte Regierungspartei, die der verspielten Union den nötigen Ernst abverlangt. Franz Müntefering und Kurt Beck sind klug genug, um keine Machtworte von der Kanzlerin zu verlangen, und hinreichend gewieft, um die Gelegenheit für eine Botschaft an die Kritiker in den eigenen Reihen zu nutzen. Ihre klare Absage an eine Generalrevision von Hartz IV zielt auch nach links.

Aber eben: Das ist immer noch sehr nötig. Deshalb scheint die SPD nur stark; im Ernstfall ist sie nicht die Klügere, die regieren kann, wo andere noch üben. Und der Ernstfall steht nun wirklich dringend auf der Tagesordnung: Gesundheit, Föderalismus, Unternehmensteuer.

Das Schwarze-Peter-Spiel um Hartz IV ist alles andere als harmlos für die große Koalition. Sie muss in den nächsten Wochen den Beweis dafür antreten, dass sie in gemeinsamer Verantwortung Reformen durchsetzen kann, die der inszenierte Streit von Union und SPD jahrelang blockiert oder erschwert hat. Wer, wie jetzt die Union, das alte Muster bedient, läuft Gefahr, den Vorwand zur Nachahmung zu liefern.

Union und SPD mussten sich selbst für die große Koalition zurücknehmen. Beide zahlen dafür einen Preis, allerdings nicht den gleichen. In der Union beklagt die politische Oberschicht den Mangel an reformerischer Tatkraft. Die SPD weiß aus Erfahrung, dass ihr die Leute in Scharen weglaufen, wenn Reformen nicht überzeugen. Wer sie wirklich will, sollte Sozialdemokraten kein Exempel dafür liefern, wie man sich vor der Verantwortung drückt – sie könnten es bei nächster Gelegenheit nachmachen.

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