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Politik: Ohne Not – aber mit Gewinn

In Kliniken wird zu oft nur wegen des Profits operiert, kritisiert der Spitzenverband der Krankenkassen.

Berlin - Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) hat den Krankenhäusern vorgeworfen, ihre Einkünfte mit medizinisch unnötigen Operationen zu steigern. „Vieles deutet darauf hin, dass in den Kliniken aufgrund ökonomischer Anreize medizinisch nicht notwendige Leistungen erbracht werden“, sagte Vorstandsvize Johann-Magnus von Stackelberg. Er berief sich dabei auf ein aktuelles Gutachten des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI). Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) wies die Warnungen als „diffamierend“ zurück.

Der Studie des Essener Instituts zufolge steigt die Menge der Klinikleistungen seit der Einführung von Fallpauschalen pro Jahr um rund drei Prozent. Weniger als die Hälfte davon sei jedoch auf die Alterung der Bevölkerung zurückzuführen. „Offenbar“, so die Folgerung des Kassenverbandes, „erbringen Krankenhäuser einen Teil der zusätzlichen Leistungen allein aus ökonomischen Gründen.“ „Man muss immer mehr aufpassen, dass man nicht unters Messer kommt“, brachte es der Klinik-Experte des Kassenverbands, Wulf-Dietrich Leber, auf den Punkt.

Zu den Fallsteigerungen trügen insbesondere Muskel-Skelett- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei, heißt es in dem Gutachten. Sie machten fast die Hälfte des Zuwachses aus. Auf „normalen Märkten“ führe steigendes Angebot zu sinkenden Preisen – was „in der Folge den Anreiz für die Anbieter, ihre Menge zu steigern“, senke. In den Kliniken jedoch sei „dieser Marktmechanismus aufgrund regulierter Basisfallwerte und Bewertungsrelationen außer Kraft“ gesetzt. Gleichwohl müsse es gemeinsames Anliegen aller sein, die Anreize für unnötiges Operieren zu senken, drängt Stackelberg. Ein Mittel dafür: Preisabschläge bei der Überschreitung vorgegebener Behandlungsmengen. Auf eine Verlängerung dieses Instruments, mit dem sich die Kliniken im vorigen Jahr um 350 000 Euro brachten, hat sich die Koalition bereits verständigt. Als Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP)Anfang Mai aber konkret wurde und die Notwendigkeit mancher Hüft- und Knieoperation bezweifelte, erntete er heftige Kritik. Dabei hatte er Anlass zu dem Vorstoß. 2010 wurden hierzulande 214 000 Hüftgelenke und 158 000 Kniegelenke eingesetzt – im Vergleich zu 2005 eine Steigerung um 9,3 beziehungsweise 18,4 Prozent.

In Deutschland werde „zu oft und zu früh operiert“, resümiert der CDU-Experte Jens Spahn. Solange Kliniken ihren Chefärzten Boni für die Zahl der Operationen zahlten, brauche man sich darüber aber auch nicht zu wundern. „Da müssen und wollen wir im Interesse der Patienten und der Beitragszahler ran.“

Die Klinikgesellschaft dagegen empört sich über die „pauschale Verdächtigung“. Medizinischer Behandlungsbedarf könne „nur von den behandelnden Ärzten beurteilt werden“, sagt Geschäftsführer Georg Baum. Und es wundere ihn „schon sehr, dass die Krankenkassen vor Ort mit den Krankenhäusern die Leistungen vereinbaren und dann der Bundesverband der Kassen hingeht und alles infrage stellt“. Aktuell steht ein Klinikarzt in Hildesheim unter Verdacht, Patienten ohne Not mit Radiojodtherapien die Schilddrüse behandelt und zerstört zu haben. Mit solchen Therapien lassen sich pro Fall bis zu 3000 Euro verdienen. Rainer Woratschka

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