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Politik: Ohne Waffe länger dienen

In Russland gilt erstmals ein Zivildienstgesetz. Doch Verweigerer sehen sich benachteiligt

Auf diesen Tag hatten Millionen Russen sehnsüchtig gewartet, vor allem junge Männer im wehrpflichtigen Alter und ihre Eltern: Am Donnerstag trat das von der Duma beschlossene Gesetz über zivilen Ersatzdienst in Kraft.

Zwar bescheinigt die schon im Dezember 1993 per Volksentscheid angenommene neue russische Verfassung jedem Bürger das Recht, den Dienst mit der Waffe in der Hand aus Gewissensgründen zu verweigern. Doch mehr als neun Jahre scheiterten die Durchführungsbestimmungen am Widerstand der Volksvertreter. Gleich zwei Gesetzentwürfe starben in den Neunzigern im Parlament einen langsamen Tod. Den einen – vor allem demokratischen Abgeordneten – gingen die Bestimmungen nicht weit genug. Andere – vor allem Militärs und Nationalpatrioten – lehnten sie dagegen als zu liberal ab.

Auch um das am Donnerstag in Kraft getretene Gesetz stritten beide Lager monatelang, um sich dann im Vermittlungsausschuss auf einen von der Regierung vorgelegten Kompromissvorschlag zu einigen. Nach Meinung von Menschenrechtsgruppen, allen voran die Komitees der Soldatenmütter, erinnert das neue Gesetz über weite Strecken dennoch bedenklich an Strafvollzug. Von den liberalen Regelungen in Westeuropa können die jungen Russen in der Tat weiterhin nur träumen.

Wer den Dienst mit der Waffe in der Hand verweigert, muss statt zwei gleich vier Jahre dienen. Nur Hochschulabsolventen sollen mit zwei Jahren davonkommen. In einem alternativen, von der Kremlpartei „Einiges Russland“ aber abgeschmetterten Entwurf demokratischer Abgeordneter war noch von drei Jahren beziehungsweise 18 Monaten für Studenten die Rede.

Immerhin gelang es, jene Paragrafen ersatzlos zu streichen, mit denen Zivildienstleistende ausschließlich zum Dienst in Kasernen und anderen militärischen Objekten außerhalb ihrer Wohnorte verdonnert werden sollten. Dann nämlich wären sie Verfolgungen und Misshandlungen durch Vorgesetzte und ältere Jahrgänge noch schutzloser ausgeliefert als die Rekruten. Verweigerer haben in der russischen Gesellschaft nach wie vor keinen guten Ruf. Erst die Armee mache den Mann wirklich zum Mann, heißt es.

Nun sollen die Kriegsdienstverweigerer im Katastrophenschutz-Ministerium, vor allem aber in sozialen Einrichtungen arbeiten. Alle bekommen den gesetzlichen Mindestlohn und die Möglichkeit zum Abendstudium. So sie denn durch die Gewissensprüfung kommen, von der die Militärs unter keinen Umständen lassen mochten. Dabei können die Wehrkreiskommandos den gesamten Bekanntenkreis eines Verweigerers als Zeugen in die Mangel nehmen. „Und die werden dann so lange bearbeitet, bis sie zugeben, dass mein Iwan nicht in Tschetschenien sterben will", sagt die 54-jährige Nadja (Name von der Redaktion geändert), die bei einer Moskauer TV-Produktionsfirma arbeitet. Ob das Argument als ethisches anerkannt wird, meint Nadja, sei eine Ermessensfrage, die in Russland meist zu Ungunsten des Kandidaten entschieden werde.

Nadja hat Iwan daher „freigekauft“. Für das Attest, das ihn für nicht wehrtauglich erklärt, hat sie 4500 Dollar bezahlt. Die gesamten Ersparnisse, die eigentlich für die Renovierung der Zweizimmerwohnung und die erste Urlaubsreise seit zwölf Jahren vorgesehen waren.

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