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Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz (SPD)

© dpa/Michael Kappeler

Olaf Scholz kämpft um SPD-Vorsitz: Wenn ein kühler Hanseat zum Zocker wird

Olaf Scholz dachte die Dinge vom Ende her und ging kein unnötiges Risiko ein. Dann ging Andrea Nahles. Nach diesem Wahlsonntag geht es für ihn um alles.

Olaf Scholz wollte sich nicht um den SPD-Vorsitz bewerben. Das Amt sei zeitlich nicht mit dem Amt des Finanzministers und des Vizekanzlers zu vereinbaren. Dann aber wurde im SPD-Bewerberverfahren mehr über Absagen diskutiert als über Hoffnungsträger. Und Scholz, der bei seinem Plan für Deutschland auf sein Buch „Hoffnungsland“ verweist, in Hamburg eine vorbildliche Wohnungsbau-, Bildungs- und Integrationspolitik betrieben hat, kam ins Grübeln.

Er kann in langen Gesprächen große Skizzen entwerfen, wofür die Sozialdemokratie noch gebraucht wird: Zusammenhalt organisieren, ohne Menschen zu schikanieren, Arm-Reich-Schere verringern, für erschwingliche Mieten sorgen, weniger Selbstbespiegelung. Verantwortung ist einer seiner Schlüsselbegriffe. So erklärte er sich schließlich bereit, anzutreten, zusammen mit der Brandenburger SPD-Abgeordneten Klara Geywitz. Das Wahlergebnis in Sachsen und Brandenburg am Sonntag wird entscheidende Auswirkungen auf das Rennen um den SPD-Vorsitz haben.

Und auf die Karriere von Olaf Scholz.

Es war ein Stolperstart in die Kandidatur, erst Nein, dann doch Ja, es passt zum ganzen Verfahren bisher. Scholz war der wichtigste Verbündete von Andrea Nahles, aber nach Wahlpleiten, musste sie meist allein die schlechten Ergebnisse im Willy-Brandt-Haus schönreden. Aus der Ferne betrachtete er eine tapfere Frau - sie war die Groko-Absicherung, er wollte ihr Amt nicht, wissend wie groß die Gegnerschaft ist.

Der Druck der Verhältnisse ließ Scholz einen riskanten Schachzug unternehmen, wobei schon die Umstände, wann er wen informierte, kommunikativ wenig glücklich waren. Machtverlust in Brandenburg; und einstellig in Sachsen: das wäre der Gau, auch für seine Kandidatur. Die Raus-aus-der-Groko-Stimmung würde sich verstärken. Und Scholz einen sehr schweren Stand haben.

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Kein Mann für ein Linksbündnis

Im Kabinett von Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke sitzt Scholz’ Ehefrau Britta Ernst als Bildungsministerin, das Paar wohnt in Potsdam. Ein knapper Wahlsieg vor der AfD, bei Verlusten von rund zehn Prozentpunkten, scheint für Woidke plötzlich wieder möglich. Zusammen mit Linken und Grünen könnte er nach Bremen das nächste rot-rot-grüne Bündnis schmieden. Das würde die Lage zwar entspannen, beschreibt zugleich das Problem von Scholz – er ist kein Mann für ein Linksbündnis im Bund.

Er gilt als Verfechter der großen Koalition oder einer Ampel mit Grünen und FDP. Die Vorsitzenden-Suche wird auch zur Suche nach dem künftigen Kurs der SPD – die Flügelkämpfe haben den Niedergang verstärkt. Scholz steht klar für das Dogma von Gerhard Schröder und Helmut Schmidt: Wirtschaftliche Vernunft, Wahlen werden in der Mitte gewonnen.

Er ist laut Umfragen einer der angesehensten Sozialdemokraten – auch wenn er nicht gerade für Aufbruch und Neuanfang steht. Aber das tut bislang keine/r der Kandidat(inn)en für den Vorsitz. Es soll wie bei den Grünen eine Doppelspitze Mann/Frau werden, doch das große Bewerberfeld ist ein Spiegelbild der Fragmentierung einer am Boden liegenden Partei, die oft nur reagiert oder im Bund häufig um Großstadtthemen kreist, statt wie früher Treiber gesamtgesellschaftlicher Veränderungen zu sein.

Um Druck aus dem Kessel zu nehmen, hat Scholz bereits erklärt, dass dies nun die „letzte Groko“ sei. „Drei große Koalitionen in Folge würden der Demokratie in Deutschland nicht guttun“, sagte er dem Tagesspiegel. Er macht Zugeständnisse an das linke Lager der Partei, doch die in sich gespaltene SPD ist ein Terrain, das weniger Halt bietet als märkischer Sand.

23 Regionalkonferenzen muss er vom 4. September bis 12. Oktober absolvieren. Er will an allen teilnehmen, muss dazu viele Termine verschieben oder Treffen wie das der EU-Finanzminister in Helsinki deutlich verkürzen. Ausgerechnet am kommenden Mittwoch, wenn die Hamburger Landesvertretung zum Sommerfest einlädt, eigentlich ein Pflichttermin für ihn, muss er in Saarbrücken die erste Regionalkonferenz absolvieren Wenn es gut läuft, überzeugt er die Mehrheit der Mitglieder, die in der Regel pragmatischer und stärker Mitte-orientiert sind als die eher linke Funktionärsebene – immerhin 66 Prozent der Mitglieder stimmten für die Groko. Aber: Ein Scholz-Sieg könnte die innere Spaltung auch forcieren – die Groko-Gegner haben schon das Votum für die Koalition nie akzeptiert.

Scholz ist kein Charismatiker

Bei einem Erfolg hätte er zumindest die Autorität, für den Verbleib in der Koalition beim Bundesparteitag am 6. Dezember zu werben, dort soll das Votum der Mitglieder für die neue Parteispitze abgesegnet werden – der CDU-Politiker Friedrich Merz sieht die Chancen für einen Scholz-Sieg und Koalitionsverbleib der SPD bei 30 Prozent. Doch, auch das gehört zur SPD anno 2019: statt sich kritisch-fair mit einem der unbestritten fähigsten Köpfe auseinanderzusetzen, reagiert bei einigen Genossen Hass auf Scholz und seinen Kurs, auch wegen des Verteidigens der „Schwarzen Null“. Viele sähen lieber neue Schulden, um weitere Milliarden in Bildung, Soziales und Infrastruktur zu pumpen. Und einige Granden, die noch offene Rechnungen mit Scholz haben, arbeiten im Hintergrund, um ihn zu verhindern.

Scholz ist kein Charismatiker, noch dazu eitel – aber er hat schon Wahlen gewonnen. Die wichtigen Landesverbände Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen sind keine Fans von ihm und schicken reihenweise eigene Kandidaten ins Rennen – Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius könnte ihm gefährlich werden, er spricht sich sogar für Steuersenkungen aus, das sind überraschende Töne. Hinzu kommen die vielen Kandidaten des linken Lagers.

Scholz muss schon eine neue Idee präsentieren – ein „Weiter so“, das Versprechen eines weiteren "Erneuerungsprozesses" reicht nicht. Er ist seit 2009 SPD-Vize und hat den Kurs der letzten Dekade mitbestimmt. Scheitert er, wäre er das Amt des Vizekanzlers wohl bald los – auch von seinem Ziel, nächster Kanzlerkandidat der SPD zu werden, müsste er sich verabschieden. Es ist eine ganz neue Rolle für den kühl kalkulierenden Hanseaten: Die des Zockers.

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