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Ole von Beust arbeitet heute wieder als Anwalt.

© dpa

Ole von Beust: "Ich wurde dünnhäutiger und nachlässiger"

Er hatte auch Angst, aber nie vor dem Machtverlust, sagt er. Hamburgs ehemaliger Erster Bürgermeister Ole von Beust (CDU) über Adrenalinschübe, auf dem Klo vorbereitete Grundsatzreden und Sucht in der Politik.

Herr Beust, im Moment ist viel los in der Politik, aber anscheinend wartet die Republik vor allem wieder auf die Rückkehr von Karl-Theodor zu Guttenberg ins politische Geschehen. Sie sind ja auch adlig, aber niemand wartet auf Sie. Tut das jetzt weh?

Adel ist kein Maßstab. Ich bin ja freiwillig aus der Politik ausgestiegen – da kann ich doch keine Sehnsucht einfordern.

Aber wenn man Sie jetzt doch noch mal rufen würde für ein interessantes Amt in der Politik, würden Sie es denn ablehnen?

Sag niemals nie, aber ich fühle mich wohl und die Erfahrung lehrt: Wenn Sie erst einmal draußen sind, ruft keiner mehr.

Fehlt nichts von dem, was Sie früher als Politiker hatten?

Doch, manchmal schon. Die Adrenalinschübe, wenn einem etwas Gutes gelungen ist, wenn man eine gute Rede gehalten hat oder man sich in einer harten politischen Auseinandersetzung durchsetzt.

Adrenalin schießt auch ein, wenn es stressig wird.

Als stressig habe ich das Im-Mittelpunkt-Stehen empfunden. Die eigentliche Arbeit ist sehr stark ritualisiert. Aber natürlich gibt es skurrile Situationen, die in der Politik produziert werden, weil man einen total durchorganisierten Rhythmus hat. Wenn da etwas nicht stimmt, wird es schon mal komisch.

Ein Beispiel bitte.

Einmal dachte ich, ich müsste ein Grußwort bei Verdi halten, kurz vor Beginn der Veranstaltung erfuhr ich dann, dass es sich um ein erwartetes Grundsatzreferat handelte. Ich bin ziemlich ins Schwitzen gekommen, hab mich für zehn Minuten aufs Klo verkrochen und mir Stichworte gemacht. Es ging dann auch.

Hatten Sie nie Angst vor dem Machtverlust?

Nie. Vielleicht bin ich jemand, der vieles auch verdrängen kann, der so etwas gar nicht an sich heranlässt. Sagen wir mal zugespitzt: nichts Böses. Es gab aber, das habe ich immer hinterher erfahren, einige Pläne, mich zu stürzen. Ich bin in solchen zwiespältigen Situationen, in denen mir nicht klar war, was andere umtreibt, immer freundlich zu allen gewesen und habe das nicht wirklich mitbekommen. Aber Ängste gab es schon.

Wann?

Merkwürdigerweise hatte ich Versagensängste vor dem TV-Duell mit meinem Herausforderer Michael Naumann. Ich hatte Angst, Fehler zu machen. Vielleicht lag es auch daran, dass Naumann ja als der redegewandte, intellektuelle Kopf gilt, vor dem wollte man bestehen. Kurioserweise machte ausgerechnet er dann einen sprachlichen Patzer und ärgerte sich, während ich eigentlich ziemlich schlecht war, weil ich total konzentriert und wenig spontan wirkte. Jedenfalls nicht sehr locker. Aber wegen seines Aussetzers hat das dann niemanden mehr interessiert.

Wie hat Sie die Politik verändert?

Als Mensch habe ich mich nicht verändert. Ich bin, wie ich bin. Und das meine ich sehr ernsthaft. Aber noch während meiner aktiven Zeit wurde ich dünnhäutiger, nachlässiger und zu routiniert. Das ist gefährlich, weil man als Politiker schlechter wird.

Und was haben Sie dagegen getan?

Ich bin zurückgetreten (lacht). Letztlich waren das die ausschlaggebenden Gründe. Oft wird ja gesagt, der Politiker wird einsam und verspürt eine Leere in sich. Nun ja, eigentlich ist es umgekehrt: Man ist ständig unter Leuten, es gibt wahnsinnig oft wiederkehrende Rituale oder Veranstaltungen, und natürlich trifft man in einer Stadt wie Hamburg auch immer wieder auf die gleichen Journalisten. Wenn die dann mal nicht so freundlich schreiben, fühlt man sich immer häufiger gereizt und unverstanden.

Der Alltag kann zermürben?

Ja. Nehmen wir eine von vielen Abendveranstaltungen mit vielen Menschen. Da stehen Sie dann als Bürgermeister, und das Protokoll führt Ihnen die Besucher zu. 30 und mehr Leute, und für jeden haben Sie maximal fünf Minuten. Was glauben Sie, was Sie da mit den Menschen reden können?

Und was macht man da?

Mein Patentmittel lautete: früh gehen, zu Hause ein Glas Rotwein nehmen und einen Krimi lesen.

Kann es sein, dass Sie keine Nähe zulassen wollten, auch weil Sie es als homosexueller Politiker schwieriger hatten?

Nein, so war das nicht. Damit hat das nichts zu tun. Ich hatte es auch nicht leichter oder schwerer als andere. Ich bin in meinem Innersten einfach ein eher schüchterner Mensch. Aber natürlich ist Distanz schon wichtig für einen Politiker, wie wohl für jede Führungskraft. Das ist so, das ist Selbstschutz. Was mir unheimlich war, waren jubelnde Menschenmengen, ein total überbordendes Wir-Gefühl und dieses In-den-Himmel-gehoben- Werden. Es ist auch schön, aber mich hat das immer abgeschreckt. Als ich 2004 die absolute Mehrheit gewonnen hatte und zu unserer Wahlparty in die total überfüllte Fischauktionshalle kam, hab ich zu meinem Fahrer gesagt: Park ganz dicht an der Tür, ich will schnell wieder abhauen.

Man läuft Gefahr, die Bodenhaftung zu verlieren?

Ja. Die Wahrheit ist doch auch: Die ganze Entourage eines Politikers lebt davon, dass der Politiker im Amt ist. Es gibt so eine Art Nimbus der nutzlosen Wichtigkeit. In Berlin, beim Bundesrat, stehen dann 32 Fahrer plus Sicherheitsleute und anderen aus der Umgebung herum. Drinnen werden dann die Reden vorgelesen, und in der Regel darf nicht geklatscht werden. Das ist eine merkwürdige Welt, die mit dem normalen Leben vieler Menschen wenig zu tun hat.

Macht Politik süchtig?

Politik macht süchtig, wenn der Politiker sich selbst durch seinen Status definiert und beginnt, nicht die Aufgabe ernst, sondern sich selbst wichtig zu nehmen.

Haben Sie Politiker erlebt, die sich verändert haben?

Veränderungen bemerkt man, da sie langsam vorangehen, nur bei Personen, die man länger nicht gesehen hat. Ich habe aber Personen erlebt, die vor ihrem Eintritt in die Berufspolitik relativ klar und normal formuliert haben und nach einigen Jahren zum Beispiel nicht einfach „traurig“, sondern „ein Stück weit betroffen“ waren.

Wie schafft man es, Mensch zu bleiben in der Politik?

Es ist eine Frage der Haltung und der eigenen Konsequenz. Sie dürfen nicht schauspielern, sondern müssen wissen und bleiben wie Sie sind, auch wenn Sie damit manchen vor den Kopf stoßen.

Das geht vielleicht als Stadtpolitiker, aber als Mitglied im Bundesvorstand der CDU oder als Bundesratspolitiker doch eher nicht.

Politik funktioniert natürlich über ein Hierarchiesystem, wenn man etwas werden will, muss man Erfolg haben und bei den Entscheidern sitzen, es ist nicht hinderlich, erfolgreiche Seilschaften zu besitzen. Ich hatte das nie. 1997 holte ich als junger Spitzenkandidat in Hamburg ein ordentliches Ergebnis, ich durfte dann beim Bundesparteitag als Belohnung am Tisch von Helmut Kohl sitzen, einer sagte zu mir: „Welcome in the Club.“ Das mochte ich nicht.

Mit dem Rechtspopulisten Schill zu koalieren, mochten Sie schon.

Ich wollte regieren, und ich konnte die CDU zurück an die Macht führen. Es war eine strategische Maßnahme, und es war damals richtig.

Im Gegensatz zu Kohl hatten Sie zu Merkel immer einen guten Draht.

Ja, das hat mich aber nicht daran gehindert, bei den geselligen Runden mit der Kanzlerin und den CDU-Ministerpräsidenten, die oft sehr lange dauern, immer um 23 Uhr zu gehen. Manchmal war Merkel dann sauer und andere haben über mich gelästert. So war das dann.

Wird man politisch fremdgesteuert, mussten Sie für Merkel und die Bundes-CDU in Hamburg das schwarz-grüne Projekt testen?

Nein. Das war meine Entscheidung. Aber Merkel hat sie unterstützt. Wenn wir ehrlich sind, dann war das doch auch vernünftig. Schwarz-Grün ist doch die eigentliche Wirklichkeit in Deutschland. Es ist die modernste und bestimmt auch zukunftsträchtigste politische Kombination, wenn alle Beteiligten ihre Ideologieklappen einfach mal abnehmen würden.

Wie würde der ehemalige Politiker Beust den heutigen Politikbetrieb in einem Satz beschreiben?

Die Politiker sind fleißiger und weniger zynisch als gedacht; der Politikbetrieb hat aber etwas sehr Künstliches.

Was gefällt dem ehemaligen Politiker an der heutigen Politik?

Die deutsche Politik ist zwangsläufig internationaler geworden.

Das Gespräch führte Armin Lehmann.

Carl-Friedrich Arp Freiherr von Beust, von seiner Oma Ole genannt, geboren am 13. April 1955 in Hamburg, regierte von 2001 bis 2010 die Hansestadt. Der „ewig jugendliche Held“, wie die „Süddeutsche Zeitung“ einmal schrieb, ging sogar mit dem Rechtspopulisten Roland Barnabas Schill eine Koalition ein, um 2001 die SPD nach über 40 Jahren an der Macht zu stürzen. 2004 gewann Beust die absolute Mehrheit, 2008 schmiedete er die erste schwarz-grüne Koalition auf Länderebene, bis der zunehmend amtsmüder werdende Beust für Eingeweihte nicht ganz überraschend 2010 zurücktrat. Er arbeitet wieder als Anwalt.

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