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Politik: Operation Brüssel

Die türkische Regierung zeigt Reformeifer. Ihr Ziel: Ein positiver Bericht der EU-Kommission im Oktober

Beim Europa-Aspiranten Türkei steigt die Spannung. Selbst im Urlaub konnte der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan dem wichtigsten Thema seiner Innen- und Außenpolitik nicht entfliehen: der türkischen EU-Kandidatur. „Im Moment rennen wir“, sagte Erdogan vor einigen Tagen, als er beim Besuch einer Alm bei Rize an der türkischen Schwarzmeerküste auf die EU-Bewerbung zu sprechen kam. „Wir rennen Tag und Nacht.“ Sechs Wochen vor der Präsentation des nächsten Berichts der Europäischen Union zur türkischen EU-Kandidatur steigt in der Türkei die Spannung.

Erdogan, inzwischen wieder an seinem Schreibtisch in Ankara, plant für die nächsten Monate einen politischen Werbefeldzug für die Türkei, mit dem die Zweifler in der EU dazu gebracht werden sollen, baldigen Beitrittsgesprächen mit Ankara zuzustimmen. „Der wichtigste Herbst“ für die Türkei stehe bevor, kommentierte eine Zeitung am Montag.

Der Anfang Oktober erwartete Bericht der EU-Kommission ist eine wichtige Etappe auf dem Weg zur Entscheidung der EU-Länder über Beitrittsgespräche, die beim Gipfeltreffen am 17. Dezember fallen wird. In ihrem Bericht dürfte die EU-Kommission viele lobende Worte für die jüngsten Reformen finden und gleichzeitig deren mangelnde Umsetzung beklagen.

Erdogan weiß, dass das letzte Wort nicht bei den Bürokraten der EU-Kommission liegt, sondern bei den Politikern in den EU-Hauptstädten. Deshalb bemüht sich seine Regierung, mit weiteren Reformen Zeichen zu setzen. So bekommt der lange von den Militärs beherrschte Nationale Sicherheitsrat in Ankara erstmals einen zivilen Chef, den bisherigen türkischen Botschafter in Athen, Mehmet Yigit Alpogan.

Als Geste an den Nachbarn und EU- Staat Griechenland prüft die türkische Regierung zudem die Wiedereröffnung einer griechisch-orthodoxen Priesterschule in Istanbul, die seit den siebziger Jahren geschlossen ist. Noch vor Veröffentlichung des EU-Berichts im Oktober stimmt das türkische Parlament in Ankara außerdem über eine grundlegende Reform des Strafrechts ab, die die türkische Justiz fit für die Europäische Union machen soll.

Begleitet werden die Reformen von einer weiteren „EU-Attacke“, wie der Fernsehsender CNN- Türk meldete. Gelehrte, Geschäftsleute und Politiker aus der Türkei werden in den nächsten Monaten in der EU für ihr Land werben. Erdogan selbst plant für Oktober einen weiteren Besuch in Frankreich, einem der türkei-skeptischen Länder in der Europäischen Union. Anfang Oktober trifft Erdogan in Berlin mit Bundeskanzler Gerhard Schröder zusammen. Mehr als ein Dutzend weiterer Besuche von türkischen Regierungspolitikern in EU-Staaten sind in den nächsten Monaten geplant.

Mit Veranstaltungen auf eigenem Boden will die Türkei den Europäern gleichzeitig ihre Brückenfunktion zwischen Ost und West verdeutlichen. So treffen sich Anfang Oktober die Außenminister der EU und der Organisation der Islamischen Konferenz in Istanbul. Ende November wird sogar Papst Johannes Paul II. in der Türkei erwartet. Nicht umsonst war bei CNN-Türk von einer europapolitischen „Mobilmachung“ des Landes die Rede.

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