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Politik: Operation Truthahn

Wie US-Präsident Bush die Welt mit seinem Besuch in Bagdad überraschte – und Hillary Clinton zuvorkam

Von Matthias B. Krause,

New York

Der Tag versprach nichts als gepflegte Langeweile. Wie ein knappes Dutzend Reporter und Fotografen schlug auch Mike Allen irgendwie die Zeit tot in Crawford, Texas. Während die glücklicheren Kollegen sich daheim mit ihren Familien über den Thanksgiving-Truthahn hermachten, musste der Reporter der „Washington Post" Stallwache in der Nähe der Ranch halten, auf der George W. Bush den Feiertag verbringen sollte. Der präsidiale Terminkalender war bis auf ein paar Telefonate mit Soldaten in Bagdad gähnend leer. Doch dann eine abenteuerliche Reise, die als größter Scoop in Allens Karriere eingehen wird.

Keine vier Stunden vor Abflug erfuhr er, dass er als einziger Zeitungsreporter den Präsidenten auf seinem Blitz-Besuch in den Irak begleiten darf. Bedingung: Kein Wort zum Arbeitgeber oder zur Familie. Bei dem geringsten Verstoß werde alles sofort abgeblasen. Ohnehin mussten die Begleiter am Flughafen dann sämtliche elektronischen Geräte abgeben, um gar nicht erst in Versuchung zu geraten. Das Versteckspiel hatte ein paar Stunden zuvor mit Bushs Abreise von seiner Ranch begonnen. Der Präsident verzichtete auf die übliche Wagenkolonne und stieg igemeinsam mit Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice in eine ganz normale Limousine, eine Baseball-Kappe tief ins Gesicht gezogen. „Wir sahen aus wie ein ganz normales Paar", freute sich der Präsident später über den Streich.

Nur seine Frau war von Anfang an in die Pläne eingeweiht, seinen Töchtern eröffnete Bush erst eine Stunde vor dem Abflug, dass er beim traditionellen Familiendinner fehlen werde. Auch seine Eltern, Ex-Präsident George Bush und Barbara Bush, ahnten nichts, bis sie auf dem Familienanwesen eintrafen und vergeblich auf die Begrüßung durch ihren Sohn warteten. Nur wenige Kabinettsmitglieder wussten von dem Trip nach Bagdad, Abstimmungsgespräche durften ausschließlich über spezielle Telefone und in abhörsicheren Räumen geführt werden.

Selbst als sie sich schon im Flugzeug Richtung Bagdad befanden, wussten die 13 Journalisten und TV-Techniker nicht genau, wer sich außer Bush noch an Bord befand und wie hoch die Sicherheitsvorkehrungen waren. Kurz vor fünf Uhr abends Ortszeit nahm die Präsidentenmaschine Air Force One dann im extremen Sinkflug Kurs auf Bagdad Airport. Weder dem Tower noch einem Jet der British Airways gaben die Piloten die wahre Identität ihres Flugzeugs bekannt. Sie löschten alle Lichter, Besatzungsmitglieder und Passagiere legten schusssichere Westen an. Vor wenigen Tagen hatten an derselben Stelle irakische Kämpfer die Tragfläche einer deutschen Frachtmaschine in Brand geschossen. Doch Bush landete ohne Probleme, scherzte wenig später vor 600 überrascht jubelnden Soldaten: „Ich war nur auf der Suche nach einer warmen Mahlzeit" – und servierte einen riesigen Truthahn.

Solch positive Bilder hat der Präsident bitter nötig. Mit seinem Blitz-Besuch kam er der demokratischen Senatorin Hillary Clinton zuvor, die am Freitag in Bagdad erwartet wurde. Während Mike Allen all das exklusiv in seine Redaktion funkte, wunderten sich die Kommentatoren daheim, was der Bagdad-Besuch langfristig bedeuten wird. Kam der Präsident wie ein wagemutiger Truppenführer oder wie ein Dieb in der Nacht? Die „Washington Post" ist zumindest sicher: „Im Guten oder im Schlechten, Bushs Thanksgiving-Überraschung bindet ihn enger denn je an das, was bei dem Ringen um den Irak am Ende herauskommt.“

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