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Die Abgeordneten nehmen an der 140. Sitzung des Bundestages teil. Wichtigstes Thema der Sitzung ist die Abstimmung über neue Organspende-Regeln.

© Kay Nietfeld/dpa

Organspende-Neuregelung: Die Entscheidung, die nicht leichtgefallen ist

Der Bundestag hat für die Zustimmungslösung gestimmt. Viele Abgeordnete wussten bis kurz vor der Stimmabgabe nicht, wie sie entscheiden würden. Ein Feature.

Karl Lauterbach wirkt niederschlagen, als er am Donnerstagmittag den Plenarsaal nach Verkündigung des Ergebnisses verlässt. Vehement hatte der SPD-Gesundheitspolitiker für die Widerspruchslösung bei der Organspende gekämpft. „Es fehlt eine einfache, unbürokratische Regelung, wie man zum Spender wird“, hatte er im Plenum für das von ihm und Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) erarbeitete Modell geworben, nur so sei die Spenderzahl signifikant zu erhöhen.

Selten erlebt der Bundestag so ernsthafte, emotionale Debatte mit bewegenden Einzelschicksalen. Als die lauten Klingeln um kurz nach 11 Uhr ertönen, die alle Abgeordneten zur namentlichen Abstimmung rufen, steht für jeden der Volksvertreter eine ethische Entscheidung großer Tragweite an. Juso-Chef Kevin Kühnert ist auch da, um die Debatte zu beobachten und betätigt sich als Prophet. „Das Applausverhalten war doch klar“. Will heißen: Zustimmung zur Zustimmungslösung.

Und so kommt es dann auch: Als erstes wird über den Vorschlag des Lagers um Gesundheitsminister Spahn abgestimmt, die doppelte Widerspruchslösung. Hier wäre erst einmal jeder ein Spender, wenn er nicht direkt widerspricht oder den Angehörigen ein Widerspruch des Verstorbenen nicht bekannt ist. 292 Abgeordnete stimmen für diese Regelung, 379 aber dagegen.

Und so ertönen um 11 Uhr 30 wieder die Klingeln – jetzt wird über den Vorschlag einer Gruppe um die Grünen-Chefin Annalena Baerbock abgestimmt. Und dieser bekommt eine Zustimmung: 432 von 669 Bundestagsabgeordneten sind dafür, 200 dagegen, es gab 37 Enthaltungen. Somit ist eine leicht reformierte Regelung zur Organspende beschlossen.

Karl Lauterbach betont nach der Entscheidung, es sei klar gewesen, dass die Widerspruchslösung auf jeden Fall im Nachteil gewesen sei. Weite Teile der FDP und der AfD seien gegen den Antrag gewesen, über den zuerst abgestimmt wurde, zudem sei die Union in der Frage gespalten gewesen. Nach der Ablehnung der Widerspruchslösung seien die Chancen für die Zustimmungslösung auch deshalb gestiegen, weil alles beim Alten geblieben wäre, hätte es auch hier keine Mehrheit gegeben.

Die Zustimmungslösung bedeutet nur eine leichte Reform

Die Gruppe um Annelena Baerbock hatte vorgeschlagen, dass alle Bürger mindestens alle zehn Jahre beim Abholen eines neuen Personalausweises auf das Thema Organspende angesprochen werden sollen. Bisher sind Organentnahmen nur bei ausdrücklich erklärtem Ja des Verstorbenen erlaubt. Dabei bleibt es jetzt im Prinzip auch, aber die Bürger sollen sich durch die direkte Ansprache stärker mit dem Thema auseinandersetzen.

In der Bundestagsdebatte hatte Karl Lauterbach darauf hingewiesen, dass die Spendenbereitschaft in Deutschland hoch, die Zahl der Spenden selbst aber relativ niedrig sei. Er befürchtet, dass dieses Problem auch nach dem heutigen Beschluss bestehen bleiben dürfte. Die SPD-Abgeordnete Hilde Mattheis betonte dagegen: „Eine Spende muss eine Spende bleiben, ein aktiver freiwilliger und selbstbestimmter Akt.“

Der AfD-Abgeordnete Robby Schlund nannte die Widerspruchslösung absolut inakzeptabel und einen „Eingriff in die freiheitlichen Grundrechte der Bürger“. Die Freiheit der bewussten Entscheidung zur Organspende des Einzelnen sei ein hohes Gut in Deutschland. Auch Christine Aschenberg-Dugnus von der FDP lehnte die Widerspruchslösung ab: „Das missachtet unseren gesellschaftlichen Konsens, dass Schweigen niemals als Zustimmung gewertet werden kann.“

Im vergangenen Jahr spendeten in Deutschland nur 932 Menschen ihre Organe. Dem gegenüber stehen 9000 Menschen, die auf ein Spenderorgan warten. Vielen von ihnen hatten auf die Widerspruchslösung gehofft. Unter den Abgeordnete wussten auch viele bis kurz vor der Entscheidung selbst nicht, wie sie abstimmen würden. „Das ist mehr eine Organisationsfrage als eine ethische Frage“, sagte ein Grünen-Abgeordneter – letztlich mangele es vor allem an ausreichenden Informationen und viele Bürger würden sich mit dem Thema zu wenig auseinandersetzen.

Eine Mehrheit der Deutschen wäre für die Widerspruchslösung gewesen

Der CDU-Politiker Michael Brand betonte, er sei klar für die Zustimmungslösung: Bei der Datenschutzgrundverordnung müssten die Bürger zustimmen und bei so einem wichtigen Thema wie der Organspende nicht? Für Brand ein Unding.

Immer wieder wurde auch darauf hingewiesen, dass der Vergleich mit Spanien, wo die Widerspruchsregelung gilt, hinkt. Das Land hat die weltweit höchste Quote von 48,3 Spendern pro einer Million Einwohner, in Deutschland liegt diese bei 11,2. Allerdings sind die Strukturen in spanischen Krankenhäusern deutlich besser auf die Organspende ausgelegt. Zudem dürfen Ärzte die Organe bereits nach einem Herz-Kreislauf-Tod entnehmen. In Deutschland ist das erst nach dem Hirntod möglich.

Laut dem neuen ZDF-Politbarometer hätten sich 61 Prozent der Befragten für die Widerspruchslösung ausgesprochen. Doch die Abgeordneten haben sich anders entschieden. Letztlich war die Entscheidung für alle eine Frage des Gewissens. Jetzt bleibt abzuwarten, ob die neue Regelung die Zahl der Spender erhöhen wird. Im Bundestag überwog letztlich die Überzeugung, dass dem Bürger mehr Selbstbestimmung zugestanden werden soll.

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