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Organspende: Was läuft schief im deutschen System?

Nach Göttingen und Regensburg gibt es in Bayern weitere Organspende-Skandale. Dort gibt es Forderungen nach strengeren Regeln. Dagegen verlangt die Deutsche Transplantationsgesellschaft eine Organentnahme bereits nach dem Herzstillstand.

Im aktuellen Fall soll es nun eine Neuorganisation richten. Nach dem Verdacht auf Manipulationen bei Organtransplantationen im Münchner Universitätsklinikum „Rechts der Isar“ wird dieser Fachbereich dort herausgelöst und in einem noch zu gründenden, selbstständigen Zentrum für Transplantationsmedizin untergebracht. Der Aufsichtsrat der Klinik habe „organisatorische und kommunikative Defizite im Bereich der Lebertransplantation“ festgestellt und ziehe mit der Neuaufstellung daraus Konsequenzen, sagte Bayerns Wissenschaftsminister Wolfgang Heubisch (FDP). Zudem sollen ab Ende Oktober die Organisationsstrukturen und Abläufe aller bayerischen Transplantationszentren überprüft werden.

Hektische Betriebsamkeit, nachdem die Branche schon wieder ins Zwielicht geraten ist. Erst Ende Juli waren in Göttingen und Regensburg Manipulationen aufgeflogen. Auch in München sollen Laborwerte von Patienten gefälscht worden sein, um Patienten schneller ein Spenderorgan zu verschaffen. So seien Alkoholkranke auf die Warteliste für eine Lebertransplantation gehievt worden, obwohl sie nicht – wie vorgeschrieben – seit mindestens sechs Monaten abstinent waren. Und ein Patient soll noch eine neue Leber erhalten haben, obwohl er für die Operation bereits viel zu krank gewesen sei.

Ob Patientengeld im Spiel war, ist nicht bekannt. Und auch die Frage, ob ein betriebliches Bonussystem die Mediziner zu Manipulationen verleitet haben könnte, ist noch ungeklärt. Oft aber genügt dafür in einem schlecht kontrollierten System aber schon beruflicher Ehrgeiz oder eine besondere Empathie mit Patienten. Künftig, so haben Kliniken, Ärzte und Politik vereinbart, soll genauer hingesehen. Und mengenabhängige Bonuszahlungen soll es für Transplanteure nicht mehr geben.

Doch ob das reicht? Fakt ist, dass sich die 44 Transplantationszentren in Deutschland angesichts von viel zu wenig Spenderorganen heftig Konkurrenz machen. Und dass etliche davon Mühe haben, auf die vorgeschriebenen Mindest-Operationszahlen zu kommen. Experten sind der Ansicht, dass die Hälfte der Zentren nicht nur genügen würde, sondern dass sich durch eine solche Ausdünnung auch die medizinische Qualität verbessern und Manipulationsrisiken verringern ließen.

Organspende schon nach Herzstillstand?

Doch welcher Uniklinik-Standort und welches Bundesland verzichtet von sich aus auf eine derart renommeeträchtige Medizinsparte? So gehen die Überlegungen auch in andere Richtungen. Die Deutsche Transplantationsgesellschaft (DTG) etwa hat sich, wie jetzt bekannt wurde, gegenüber dem Gesundheitsminister für eine frühere Entnahme von Spenderorganen stark gemacht – und zwar nicht erst nach diagnostiziertem Hirntod, sondern bereits nach Herzstillstand. Auf diese Weise könnte der steigende Bedarf an Spenderorganen besser gedeckt werden. Hirntote mit intakten Organen nämlich sind selten, einen Herzstillstand dagegen erleiden viele Menschen. Am 6. Mai 2011 verlangte der DTG- Vorstand eine Expertenbefassung zur „Erweiterung der Organspende zusätzlich auch nach Herztod“. Und drei Wochen später forderten die Experten rundheraus, „die Haltung zur Organspende nach Kreislaufstillstand sollte überdacht und geändert werden“. Die Schreiben seien von allen Vorstandsmitgliedern unterzeichnet gewesen, berichtete die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“.

Anders als in fast allen Nachbarländern und den USA sind so genannte „Non-Heart-Beating-Donors“ in Deutschland verboten. Und verpflanzt werden dürfen derart gewonnene Organe hierzulande auch nicht. Noch 1995 fand dies auch die DTG in Ordnung. „Der Herzstillstand allein ist kein sicheres Todeszeichen, solange ungewiss ist, ob er unabänderlich ist und ob er bereits zum endgültigen, nicht behebbaren Ausfall der gesamten Hirnfunktion geführt hat“, heißt es in einem damals mit der Bundesärztekammer verfassten Papier. Man müsse „tabulos über diese Dinge sprechen“, meint DTG-Präsident Wolf Bechstein nun.

Die CSU fordert derweil eine komplette Neuregelung des Organspende-Systems. In einem Brief an Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP), der dem Tagesspiegel vorliegt, schreibt Unionsfraktionsvize Johannes Singhammer (CSU), die vereinbarten Verbesserungen seien „nicht ausreichend, den entstandenen Vertrauensverlust zu beheben und möglichen Manipulationen künftig von Beginn an wirksam zu begegnen“.

Singhammer fordert sowohl eine„staatliche Aufsicht“ über die Organisation der Organspende als auch eine „staatliche Beteiligung bei der Festlegung der Richtlinien für die Organvergabe“. Er begründet dies mit der „Schutzpflicht des Staates“ für Organspender und Organempfänger. Nur so könnten Zweifel an der rechtsstaatlichen Legitimität der Verteilungsregeln ausgeräumt, Manipulationen wirksam bekämpft und Verstöße geahndet werden. Bisher legt die Bundesärztekammer die Richtlinien zur Organverteilung fest und kontrolliert auch, ob sie eingehalten werden. Das System der Organentnahme und -verteilung obliegt privatrechtlichen Stiftungen.

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