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ORTSTERMIN: Bruder Jürgen

Wie NRW-Landeschef Rüttgers seinen SPD-Vorgänger Johannes Rau für die CDU eingemeindet

Als der Sozialdemokrat Johannes Rau sich 1987 mit dem Schlachtruf „Versöhnen statt spalten“ fürs Kanzleramt empfahl, dachte mancher eher an die Bibel als an Bundestagswahlkampf. Doch der Slogan, der dem frommen „Bruder Johannes“ lange als Spottwort anklebte, beweist gerade neu, wie frisch er ist. Seinerzeit kein echter Schlager – die Wahl gewann wie noch einige Male danach Kohls CDU –, gefallen Mann und Motto inzwischen sogar der Konkurrenz.

Am Freitag lud Nordrhein-Westfalens christdemokratischer Ministerpräsident Jürgen Rüttgers zum ersten „Johannes-Rau-Gespräch“ in die Berliner Landesvertretung. Die geplante Gesprächsreihe ist Teil eines geschickt komponierten Straußes von Rau-Feiern zum 30. Jahrestag von dessen Amtsantritt als nordrhein-westfälischer Ministerpräsident, die Rüttgers’ Staatskanzlei organisiert hat. Zwanzig lange Jahre war der populäre spätere Bundespräsident, der vor zwei Jahren starb, seinen Nordrhein-Westfalen ein Landesvater in des Wortes reinster Bedeutung, und Fleischwerdung einer anderen unverwüstlichen Werbebotschaft, die sein Stab kreiert hatte: „Wir in Nordrhein-Westfalen“. Ein eher symbolisches, gleichwohl stattliches Erbe, das die Christdemokraten an Rhein und Ruhr sich einzuverleiben gedachten.

Es könnte ihnen gelingen. Die Sozis jedenfalls konnte Rüttgers’ Stab schon vor einiger Zeit ausknocken. Sie hatten den Jubeltermin zunächst verschlafen. An diesem Freitag in der Landesvertretung wurde geradezu ausgeleuchtet, dass die Krise der großen alten Dame SPD nicht nur im früher roten Hessen spielt und Andrea Ypsilanti heißt, sondern nach wie vor im 2005 dramatisch verlorenen größten Flächenland Nordrhein-Westfalen, dem Stammland der Milieu-Sozis. Nach Rüttgers’ einleitenden Worten – namentlich begrüßt er ausschließlich die beiden Vertreterinnen der sozialdemokratischen Familie, Raus Witwe Christina und die SPD-Landesvorsitzende Hannelore Kraft – kommt man auf dem Podium zur Sache. Und jeder merkt, dass die Welt sich seit Johannes Raus Zeit an Rhein und Ruhr doch einige Runden gedreht hat. Damals war Heinz Kühn, Raus SPD-Vorgänger im Düsseldorfer Amt, der erste Ausländerbeauftragte einer Bundesregierung. Heute ist der Christdemokrat Armin Laschet Deutschlands erster Landesminister für Integration, und auf dem Podium verteidigt er die Muslime gegen den Generalverdacht: „Was habe ich denn als Katholik damit zu tun, wenn die katholische IRA in Irland Bomben legt?“

Christina Rau, die den Düsseldorfer regierungsamtlichen Feiern ihren Segen gab, hat wohl im Sinne des verstorbenen Gatten gehandelt. Auch das Rahmenprogramm hätte Rau vermutlich gefallen, der von der Todsünde der Eitelkeit zumindest ab und an versucht schien: Eine Fotoschau mit Stationen seines Lebens, unterlegt mit einer anspruchsarmen Musikkonserve vom Cembalo, schien die anschließende Diskussion ins Ehrfürchtig-Feierliche zwingen zu wollen und besorgte so nebenbei die Apotheose des Geehrten. Auch gegen die frohe Botschaft, von der der Titel des Nachmittags kündet, hätte er vermutlich nichts einzuwenden gehabt: „Ohne Angst – Zusammenleben von Kulturen und Religionen“. Andrea Dernbach

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