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ORTSTERMIN: Das Wort zur Wende

Matthias Schlegel feiert vorfristig den 70. Geburtstag von Joachim Gauck

Von Matthias Schlegel

Nur einer fällt der Kanzlerin bei ihrer Laudatio auf Joachim Gauck gelegentlich zaghaft ins Wort. Milan Josef Emanuel darf das, er hat die Gnade der sehr späten Geburt und liegt in einer Babyschale auf einem Sitz in der zweiten Reihe. Er ist „das erste Kind meines letzten Kindes“ wird Gauck später den Urheber der Wortmeldungen liebevoll charakterisieren.

Es ist eine Art öffentliche Familienfeier, mit der am Donnerstagabend in der Bertelsmann-Repräsentanz Unter den Linden der am Sonntag anstehende 70. Geburtstag des Pfarrers, Bürgerbewegten, Stasiunterlagen-Verwalters und Erinnerungspredigers vorfristig begangen wurde. Angela Merkel hatte ihren Gatten Joachim Sauer mitgebracht, der, wie der Präjubilar anmerkt, dessen jüngst erschienenes Buch „Winter im Sommer, Frühling im Herbst“ schon gelesen hat. Der Siedler-Verlag hatte es vermocht, den „wortmächtigen und worterfahrenen“ Mann, der zu einem „Wortführer der Wendezeit“ geworden ist (Merkel), statt zum Reden nun auch zum Schreiben in eigener Sache zu bewegen. Und so richtete der Verlag gemeinsam mit der Bundeszentrale für Politische Bildung diese Geburtstagsvorfeier aus – dem zu Ehrenden angemessen mit einer Podiumsdiskussion, auf der Gauck selbst, der Theologe und Publizist Richard Schröder und der ungarische Schriftsteller und Bürgerrechtler György Dalos über die friedliche Revolution in Deutschland und Mittel- und Osteuropa nachdachten. Etwa über den Begriff selbst, den manche scheuen – weil einige „uns Ostdeutschen keine Revolution gönnen“, wie Schröder sagte. Doch dass damals der Einheitsgedanke so schnell dazugekommen sei, „ist kein Grund, das Vorangegangene nicht Revolution zu nennen“.

Gauck sei ein „Mahner und Demokratielehrer“, der sich für eine Erinnerungskultur „nach den Maßstäben von Wahrheit und Klarheit“ einsetze, betonte Angela Merkel. Nur mit der zuvor genannten Charakterisierung Gaucks als „linkem liberalem Konservativen“ wollte sie sich nicht anfreunden: „So etwas gibt es gar nicht“, befand sie – gestand aber ein, dass er in keine Schublade passe. Gauck und sie verbinde nicht nur, dass sie beide einen großen Teil ihres Lebens in der DDR verbracht hätten, sondern auch „die große Sehnsucht nach Freiheit“. Die Freiheitstradition der friedlichen Revolution müsse sorgsam gepflegt werden. Mutig solle man sich auf die Zumutung einlassen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Die Demokratie erlaube das, auch wenn sie nicht ohne Fehler sei. Für Zweifel am Charakter der verflossenen DDR hat Merkel wenig Verständnis: „Die DDR war von ihrem ersten Tag an auf Unrecht gegründet.“ Daraus habe kein Rechtsstaat werden können.

Dass Gauck von vielen als „Bruder Unerbittlich“ und per Gesetz sonderbevollmächtigter Aktenherausgeber auch kritisiert und angefeindet wurde, hat bei solchem Anlass freilich nicht recht Platz. Und hatte die Kanzlerin noch gemahnt, der Verklärung entgegenzuwirken, klingt bei Gauck gar eine Art Altersmilde an: Man dürfe nicht jeden, der Heinz-Florian Oertel mag oder über die schönen Beine von Katarina Witt schwärme, gleich einen politischen Blindgänger nennen. „Wir sollten uns auch nicht zu sehr fürchten vor der Ostalgie.“

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