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ORTSTERMIN: Der Ortsverein London und die SPD-Krise Exil-Sozialdemokraten diskutieren in Chelsea

Vielleicht wird die deutsche Sozialdemokratie ja in dieser Kellerbar in London gerettet. Immerhin sind im Lauf der Geschichte von der britischen Insel schon einige wichtige Impulse für die europäische Sozialdemokratie gekommen.

Vielleicht wird die deutsche Sozialdemokratie ja in dieser Kellerbar in London gerettet. Immerhin sind im Lauf der Geschichte von der britischen Insel schon einige wichtige Impulse für die europäische Sozialdemokratie gekommen. Karl Marx hat sein kommunistisches Manifest hier geschrieben, und Tony Blair mit New Labour ging auch an der SPD nicht spurlos vorbei. Doch so hohe Ansprüche haben Marcus Fedder und seine Mitstreiter gar nicht. Einmal im Monat trifft sich der Freundeskreis der SPD in London. Treffpunkt ist diesmal die Bar des „Royal Court Theaters“, eines der ältesten Theater Londons am Sloane Square im schicken London-Chelsea. Ein Platz am Ende der noblen Kings Road, wo Tiffany und Co. ihre Filialen haben. Selbst Morrissey, ehemaliger Sänger von The Smiths, hat diesen Platz in seinem Lied „Hairdresser on Fire“ schon besungen.

London läutet den Feierabend ein. Aus der U-Bahn direkt neben dem Theater strömen die Menschen nicht unbedingt nach Hause, aber doch in den Pub an der Ecke. Die SPD-Freunde treffen sich im Keller. „Das Wetter, man weiß ja nie“, sagt Fedder. Sie haben wichtige Fragen zu besprechen: Was soll mit Wolfgang Clement passieren, und wie geht es mit Gordon Brown in England weiter? Nur ein Thema kommt nicht mehr auf die Tagesordnung: Kurt Beck. „Damit sind wir durch“, sagt Steffi, die kein Mitglied ist, aber Sympathien für die SPD hegt. Genauer: Mit ihm sind sie durch. Einen „intellektuellen Tiefflieger“ nennt sie ihn. Konturlos, mit einem „Charisma, das bei minus zehn liegt im Vergleich zu Barack Obama, den wir sofort als Kandidaten nehmen würden“, sagt Fedder.

Trotz Ferienzeit ist der Holztisch kurz vor halb neun vollbesetzt. Zehn SPD-Mitglieder und Freunde sind gekommen. Sie sind Studenten, arbeiten in London bei Banken, Beratungsfirmen oder wie Falko beim Nationalen Institut für Tierseuchenforschung. „Da gibt es in England einen gewissen Bedarf“, sagt er.

In ganz England leben offiziell 40 SPD-Mitglieder. Was sie hierher treibt, ist bei allen gleich. Ihnen liegt die SPD am Herzen. Viele sind heute zum ersten Mal da. Antje zum Beispiel. „Das letzte Mal war ich vor 13 Jahren auf einer SPD-Veranstaltung bei den Jusos, da bin ich vor Schreck rückwärts wieder raus und nie wieder hin. Jetzt versuche ich es mal hier in London“, sagt sie, „mal sehen, wie es ist.“

Warm auf jeden Fall. Der Ventilator bläst keine frische, aber doch aufgewirbelte Luft in den gemütlichen Raum. Das passt bestens zur aufgewühlten Stimmung: „Clement ist jetzt zum personifizierten Flügelkampf geworden“, sagt Jan Schenkenberger, ein Erfurter, der in Brighton studiert und ein paar Tage in London ist. Die meisten sind verärgert, dass Clement ausgeschlossen werden soll. „Auch wenn es nicht richtig war, was Clement gemacht hat, es wäre ein Armutszeugnis für eine Partei, würde man ihn ausschließen“, sagt Fedder. Nur Falko sieht das anders. Schnell wird klar, dass die Diskussion um Clement auch eine um die Richtung der Partei ist. Es scheint als würden die Linien der SPD allesamt über diesen Holztisch laufen, den mittlerweile einige Chipstüten bedecken. Einige ärgern sich noch immer über Schröders Umgang mit der Partei. „Das ist ein Trauma, das bis heute nachhallt“, sagen einige. „Hartz IV ist prinzipiell nicht gut“, sagen andere. Jan entgegnet, dass er als Student ganz froh wäre über 400 Euro, Mietzuschüsse und Fortbildungen. Die Diskussion über die Reichweite der Agenda 2010 bringt sie zu New Labour. „Die sind deutlich weiter gegangen, die SPD könnte auch wegen des politischen Klimas in Deutschland nie so weit gehen“, sagt Stefan Marx.

Damit ist die Runde beim zweiten Aufreger des Abends angekommen: der Krise des britischen Premierministers Gordon Brown. „Es ist ein Rätsel, wie er so schnell absteigen konnte von einer Führungsfigur zu einem beinahe hoffnungslosen Fall“, fragt sich Martin. Wahrscheinlich sind sie einfach aufgebraucht nach elf Jahren, mutmaßen einige. Andere sehen in der Person Brown das Problem. Nach zweieinhalb Stunden wird es Zeit. Die SPD-Freunde verschwinden in alle Londoner Himmelsrichtungen mit dem Gefühl, die Sozialdemokratie nicht gerettet zu haben, aber dabei zu sein – bei der SPD in London.

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