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© ddp

ORTSTERMIN: Die Fans von Egon Krenz

Der Ex-DDR-Staatsratschef stellt sein Buch vor und lässt sich feiern.

Die erste Enttäuschung gibt es gleich am Eingang. Keine Sitzplätze mehr im großen Konferenzsaal beim „Neuen Deutschland“, dem ehemaligen Zentralorgan der SED. Und das eine halbe Stunde vor Beginn. Menschen mit Gehhilfen gehen wieder. Viel Grau ist zu sehen beim Blick in den Saal. Aber sie harren alle aus. Zwei Stunden. Stehvermögen, das beweisen sie seit Jahren, haben seine Fans. Sie kommen, um ihrem alten Chef zu huldigen: Egon Krenz, ehemaliger Staatsratsvorsitzender der DDR und Generalsekretär des ZK der SED. Ein politisches Amt darf er nicht mehr ausüben. Na gut, dann eben ein Buch. Zu sechseinhalb Jahren Haft wurde er 1997 verurteilt, weil er mitverantwortlich ist für den Tod von vier DDR-Flüchtlingen. Nach knapp vier Jahren kam er frei. Und seine Erlebnisse hat er aufgeschrieben.

Doch statt einer Buchpräsentation inszeniert Krenz lieber einen kleinen Sonderparteitag. Schließlich seien die politischen Passagen in seinem Buch ohnehin wichtiger. Brav klatschen alle. Zum Beispiel, als er sagt, dass Gewalt gegen das eigene Volk in der sozialistischen Ordnung der DDR ja überhaupt nicht vorgesehen war. Dass sie aber praktiziert wurde, sagt er nicht. Es wird ein politischer Rundumschlag, den er stets damit garniert, dass die DDR so schlecht nicht gewesen sei und sich niemand schämen müsse, dort gelebt zu haben. „Machen wir doch die DDR nicht schlechter als sie war und die Bundesrepublik nicht besser als sie ist“, sagt er. Der 9. November 1989 bekommt einen festen Platz in seiner kleinen Parteitagsrede. Er habe damals dafür gesorgt, dass nichts passiert sei, rühmt sich Krenz. Zu feiern, so viel steht für ihn und seine Genossen fest, gebe es an jenem 9. November nicht viel. "Das war kein Volksfest", sagt Krenz. Immer wieder wendet er sich mit den Worten „liebe Genossen“ an sein Publikum, das ihn dafür mit „lieber Egon“ anspricht. Wenn Krenz mal nichts zu seinem Buch sagt, übernimmt sein Verleger Frank Schumann. Immerhin zeige das Buch auch, dass die westdeutschen Gefängnisse nicht viel besser seien, als die ostdeutschen es waren, meint er. Über die Praktiken im Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen verliert Krenz keinen Satz. Dabei ist er gar nicht so wortkarg. Er redet laut und bestimmt, ganz in alter Parteichefmanier. Vor allem wenn er über ehemalige Weggefährten wie Günter Schabowski spricht, der "vielleicht wegen Unkonzentriertheit"  so Krenz zur Maueröffnung beigetragen habe. Schabowski ist einer der wenigen führenden SED-Politiker, der sich eindeutig vom damaligen Regime distanziert hat. Für Krenz und seine Fans nicht akzeptabel: "Entweder er hat damals geheuchelt oder er heuchelt heute."  

Nur einmal versagt die Regie, als seien sie doch etwas aus der Übung gekommen. Ein Kritiker meldet sich zu Wort und bekommt auch noch das Mikro. Der Mann fragt, nachdem Krenz sich über die Siegerjustiz beklagt hat: „Herr Krenz, ich wurde 1980 von der Staatssicherheit verhaftet, was glauben Sie, wann ich das erste Mal einen Anwalt gesehen habe?“ Nun ja, entgegnet Krenz, es habe auch ungerechte Urteile in der DDR gegeben. Außerdem müsse man schon auch mal fragen, warum jemand im Gefängnis saß. Applaus brandet auf. Dass der junge Mann nur sagt, er habe als politisch Verfolgter gesessen, geht unter. Dann lieber die junge Dame mit roten Haaren. Ihre Stimme klingt zerbrechlich. Sie weint fast. 1992 habe sie in eine Schule von Ostberlin nach Kreuzberg gehen müssen. Als „Ossi-Schlampe“ sei sie da beschimpft worden. Und überhaupt: Keine Chancen habe man den ostdeutschen Kindern gegeben. „Tief gerührt“ gibt sich Krenz. Er macht ihr Mut: Es werde einen zweiten Anlauf zum Sozialismus geben. Vielen anderen, außerhalb des Saals, macht er auch Hoffnung: Er werde das wohl nicht mehr erleben. Christian Tretbar

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