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ORTSTERMIN: Ehrenwerte Gesellschaft

Der Minister komme in fünf Minuten, hieß es, dann hieß es, er sei gleich da. Schließlich: Der Minister stecke in einem wichtigen Telefonat, leider nein – so verdampfte am Donnerstag der Termin mit Italiens Justizminister Angelino Alfano an der Humboldt-Universität.

Der Minister komme in fünf Minuten, hieß es, dann hieß es, er sei gleich da. Schließlich: Der Minister stecke in einem wichtigen Telefonat, leider nein – so verdampfte am Donnerstag der Termin mit Italiens Justizminister Angelino Alfano an der Humboldt-Universität. Er hatte über den „ Kampf gegen internationales organisiertes Verbrechen und Terrorismus aus italienischer Perspektive“ sprechen wollen. Er sei „völlig von den Socken“, bekannte der entgeisterte Gastgeber, Professor Martin Heger von der Juristischen Fakultät, dem der hohe Gast soeben im Handumdrehen abhanden gekommen war. Die Gründe – doch dazu kam Heger gar nicht mehr. „Vigliaccheria!“ scholl es ihm aus dem Saal entgegen. „Feigheit“.

Darauf gab es in der Tat Hinweise. Schließlich liefen die Telefone der italienischen Offiziellen im Saal sichtlich warm, als klar wurde, dass das mehrheitlich junge und italienische Publikum ganz überwiegend aus Gegnern Alfanos bestand, als Sprechchöre erklangen und Plakate entrollt wurden, auf denen „Schluss mit der Mafia“ und „Schande“ stand. Und als schließlich einer von ihnen nach vorn trat: „Minister Alfano hat keine moralische Autorität, über dieses Thema zu sprechen. Wir bedauern, dass die Humboldt-Universität keine Rücksicht auf die Opfer der Mafia nimmt.“

Die Lage an diesem Morgen war in der Tat pikant: Am Vorabend hatte in Rom das Abgeordnetenhaus mit großer Mehrheit einen Gesetzentwurf beschlossen, der die Verjährungsfristen für bisher nicht vorbestrafte Täter drastisch und auch rückwirkend verkürzt (siehe Bericht rechts). Nutznießer ist Alfanos Regierungschef Berlusconi. Gute Dienste leistet Alfano dem Chef aber nicht erst, seit er Justizminister ist und als erstes ein Gesetz ins Werk setzte, das die Repräsentanten der vier höchsten Verfassungsorgane von Strafverfolgung ausnehmen sollte. Als Berlusconis Statthalter in Sizilien hatte er zuvor die Koalition mit einem verurteilten Mafia-Unterstützer zusammengehalten. Berlusconi belohnte seinen Minister am Mittwoch mit der Ankündigung, der werde sein Nachfolger.

Über Alfanos Person hatte es schon Minuten vor dessen Abhandenkommen eine kurze Diskussion zwischen Uni-Vertretern und Publikum gegeben, und sie ging danach weiter. Humboldt-Präsident Jan-Hendrik Olbertz, der eigentlich ein Grußwort hatte sprechen wollen, zeigte Verständnis für die Kritiker, beharrte aber darauf, dass man genau darüber doch reden könne in der Diskussion, mit „Argument und Gegenargument“. Schon dass ein Mann mit dieser politischen Geschichte zum Vortrag eingeladen würde, sei doch ein Statement, erwiderte ein Hörer. „Ist sich die Universität der Inszenierung bewusst, für die sie sich hergibt?“ Heger argumentierte, dass an der Universität nicht nur über Rechtswissenschaft gesprochen würde, sondern auch über Rechtspolitik. Aber Rechtspolitik dieser Regierung sei es, die Justiz abzuschaffen, war die Antwort. Tatsächlich wurde Berlusconi am Vortag mit der Drohung vor ausländischen Journalisten zitiert, er werde „Italien aus den Händen der Richter befreien“. Die dafür nötige große Justizreform wird ebenfalls Alfanos Werk sein.

So fügten sich Argumente und Gegenargumente doch noch zu einer instruktiven Lehrstunde über europäische Missverständnisse: Hier die deutschen Professoren mit viel gutem Glauben an Verfahren, die Kraft des Arguments und die grundsätzliche Legitimität jeder europäischen Regierung. Dort junge Leute, die erfahren mussten, was aus der Demokratie wird, wenn sie auf Verfahren reduziert und von einem beherrscht wird, der mächtig und entschlossen genug ist, sich die Regeln nach Gusto zurechtzuschneiden. Das hätte der abwesende Herr Alfano nicht besser hinkriegen können.

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