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Mittendrin. Gauck will die Regierung nun bitten, mehr Syrer aufzunehmen. Foto: Reuters

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ORTSTERMIN: Ein Herz für Flüchtlinge

Üblicherweise geht es im Grenzdurchgangslager Friedland ruhig und beschaulich zu. Doch beim Besuch des Bundespräsidenten am Donnerstag herrscht in der Einrichtung im Kreis Göttingen eine Art Ausnahmezustand.

Üblicherweise geht es im Grenzdurchgangslager Friedland ruhig und beschaulich zu. Doch beim Besuch des Bundespräsidenten am Donnerstag herrscht in der Einrichtung im Kreis Göttingen eine Art Ausnahmezustand. Beamte des Bundeskriminalamts patrouillieren mit Kabeln im Kragen um die Baracken, Polizisten beäugen vor dem Tor eine Mahnwache der Gesellschaft für bedrohte Völker, und Hunde durchschnüffeln die Taschen der Journalisten nach Sprengstoff. Es ist halb zehn, als die Friedland-Glocke läutet und der präsidiale Konvoi auf das Lagergelände rollt.

Gauck und seine Lebensgefährtin Daniela Schadt sind wegen der syrischen Bürgerkriegsflüchtlinge nach Friedland gekommen. Für die insgesamt 5000 Erwachsenen und Kinder, deren Aufnahme die Bundesregierung im März zugesagt hatte, ist das Lager die erste Station in Deutschland. Bislang sind vier Flugzeuge mit etwa 520 Syrern in der Bundesrepublik gelandet. Diese sogenannten Kontingentflüchtlinge brauchen keine Asylanträge zu stellen und dürfen zunächst zwei Jahre in Deutschland bleiben. Sie sind 14 Tage im Lager Friedland untergebracht, bevor sie auf die einzelnen Bundesländer verteilt werden.

Neben den begünstigten Flüchtlingen haben sich zuletzt mehr als 1500 weitere Syrer auf eigene Faust nach Friedland durchgeschlagen. Sie müssen ein Asylverfahren durchlaufen, und sie dürfen nicht an den sogenannten Wegweiserkursen im Lager teilnehmen. „Diese Kurse dauern eine Woche und bestehen aus ein bisschen Sprachunterricht, ein bisschen Landeskunde und Alltagstipps“, sagt Lagerleiter Heinrich Hörnschemeyer.

Nachdem Gauck kurz bei einem dieser Kurse zugeschaut hat, trifft er eine Gruppe von zehn Flüchtlingen, die am vergangenen Montag nach Deutschland gekommen ist. Nach ihrer Flucht aus Syrien verbrachten alle mehrere Monate oder sogar Jahre im Libanon. Sie sind Akademiker oder gehörten als Kaufleute der syrischen Mittelschicht an. Eine Frau erzählt, dass sie neun Angehörige im Krieg verloren hat. Eine andere berichtet, wie sie im letzten Moment aus der Stadt Homs gelangte – „aus einer Trümmerwüste, das Töten dort war wahllos und willkürlich“.

Gauck sagt, er wünsche sich, „dass Sie den Eindruck haben, in ein Land zu kommen, das offene Arme hat für Menschen in Not“. Er wisse aber auch, dass sich nicht alle Deutschen über die Anwesenheit der Syrer freuten. „Manche haben Probleme mit Flüchtlingen oder Angst, einige sind sogar bösartig“, erklärt der Bundespräsident. Deutschland sei auch „kein Paradies, sondern ein Land, in dem nicht alle Dinge in Ordnung sind“.

Gauck kündigt an, dass er die Regierung um die Aufnahme weiterer Syrer bitten will. „Wir können das Gesicht dieses Landes nicht nur prägen durch Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit, durch Demokratie und Rechtstreue, sondern auch durch Menschenfreundlichkeit und Menschlichkeit“, sagt er. Anordnen kann Gauck aber nicht, dass mehr Syrer kommen. Denn in Deutschland, das soll die Dolmetscherin unbedingt noch übersetzen, ist es so, dass der Präsident nicht regiert. Es sei ein Unterschied, „ob man in der Zeitung die Zahl 5000 oder 10 000 liest oder ob man in die Gesichter der Menschen schaut und ihre Geschichten hört“, sagt Gauck.

Am frühen Nachmittag kehrt wieder Ruhe ein im Lager Friedland. Der Präsident ist abgefahren. Dicke Schneeflocken fallen. Die Menschenrechtler draußen am Tor haben ihre Transparente eingerollt.

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