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ORTSTERMIN: Geh nach Hause, Florian!

Gewerkschafter wollen keinen Mindestlohn – wenn er vom Staat kommt

Von Antje Sirleschtov

So sehen wohl moderne Siegesfeiern aus: Voll besetzt an diesem Donnerstagnachmittag der Konferenzsaal des Beamtenbundes in der Berliner Friedrichstraße. Gerade haben sich beide Regierungsparteien dazu bereit erklärt, den von der Gewerkschaft Verdi ausgehandelten Tarifvertrag zum Post-Mindestlohn aufzuwerten. Und nun sitzen hier 300 Gewerkschafter – zumeist von der Post – und ihre gelben Mützen und Halsbänder dokumentieren: Wir haben es geschafft.

In einem flammenden Plädoyer wettert Frank Stöhr, zweiter Bundesvorsitzender des Beamtenbundes zuerst gegen den branchenübergreifenden gesetzlichen Einheitsmindestlohn. Weil er „die Kraft der Gewerkschaften zersetzt“ und weil er die untersten Löhne in allen Branchen gleichschalte. Um dann unter tosendem Applaus der Gäste den aktuellen Mindestlohn für Briefdienstleister zum „leuchtenden Beispiel“ dafür zu erklären, wie die Kraft der Gewerkschafter zu einem Mindestlohn von 9,80 Euro führt, „von dem die Menschen leben können und der gleichzeitig passgenau auf die Branchenbedingungen zugeschnitten ist“.

Allenfalls einer im Saal wagte da noch Widerspruch, wobei es zu der paradoxen Gesamtlage gehört, dass es ausgerechnet ein Sozialdemokrat ist: Florian Gerster, ehemaliger SPD-Arbeitsminister und Arbeitsamtschef, der jetzt dem Arbeitgeberverband der Post-Konkurrenten vorsitzt. Für ihn hat der von Verdi und der Post ausgehandelte Post-Mindestlohn „rein gar nichts“ mit einer unteren Lohngrenze zu tun, die aus gesellschaftlicher Sorge um Dumpinglöhne verhandelt wurde. Für Gerster hat sich die Gewerkschaft Verdi vielmehr „vor den Karren spannen lassen“, den der Monopolist Post AG zur Vermeidung von Wettbewerb auf dem Briefmarkt anziehe. Will das hier wirklich jemand hören? Eisernes Schweigen im Saal, ein Mann in Reihe zwanzig ruft: „Geh nach Hause, Florian.“

Nein, ein Beitrag zur Befriedung der Arbeitnehmerschaft im Postsektor hat der Tarifvertrag von Verdi und Post, den Bundestag und Bundesrat vor Weihnachten noch ins Mindestlohn-Gesetzblatt hieven wollen, wohl nicht geleistet. Das mussten später auch ein paar Postgewerkschafter zugeben, denen es „natürlich auch unbehaglich ist“, wenn jetzt in den Zeitungen steht, dass 1000 Briefzusteller der Pin AG entlassen werden und der Vorwurf zumindest nicht ganz vom Tisch zu wischen ist, dass mancher ohne den 9,80-Euro-Mindestlohn länger in seinem Job geblieben wäre.

Zwei Postpolitiker, die dem Mindestlohn nächste Woche im Bundestag zustimmen werden, meldeten sich übrigens auch zu Wort. Der SPD-Abgeordnete Klaus Barthel empfahl der Pin AG kurz heraus, Deutschland zu verlassen, „weil deren Geschäftsmodell der Dumpinglöhne hier fehl am Platz ist“. Und der CDU- Politiker Alexander Dobrindt wies darauf hin, dass man als Unternehmer ja auch geschickt Mindestlohngesetze umgehen kann. Antje Sirleschtov

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