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ORTSTERMIN: Gleichheit, die wir meinen

In diesem Sommer hat in Großbritannien ein Buch Furore gemacht, das zwei Sozialwissenschaftler geschrieben haben. Die Presse auf der Insel sah in „The Spirit Level“ gleich eine „big idea“, groß genug, das politische Denken zu verändern, wie die „Sunday Times“ befand.

In diesem Sommer hat in Großbritannien ein Buch Furore gemacht, das zwei Sozialwissenschaftler geschrieben haben. Die Presse auf der Insel sah in „The Spirit Level“ gleich eine „big idea“, groß genug, das politische Denken zu verändern, wie die „Sunday Times“ befand. Der Untertitel des Bestsellers der Soziologen Kate Pickett und Richard Wilkinson lautet: „Why equality is better for everyone“, und was passt besser in diese Zeit der Finanzkrise und der Globalisierung als ein Ruf nach mehr Gleichheit, die besser ist für alle. Es ist freilich eine sehr angelsächsische Sache – das ist am Montag in der Hertie School of Governance deutlich geworden, wohin das Progressive Zentrum geladen hatte, ein kleiner linksliberaler Berliner Thinktank.

Kate Pickett präsentierte Zahlen, die dreierlei deutlich machten. In den Staaten, die von besonders hoher sozialer Ungleichheit gekennzeichnet sind, häufen sich soziale Probleme. In den USA (da besonders), im Vereinigten Königreich, in Australien und Neuseeland (und auch Portugal) sind die Mordraten höher, der Missbrauch von Drogen, die Zahl der Gefängnisinsassen und der Übergewichtigen. Dort ist die Lesefähigkeit insgesamt geringer, das Vertrauen untereinander und die Lebenserwartung auch. In Japan und Skandinavien dagegen ist das Gegenteil der Fall, diese relativ egalitären Gesellschaften haben weniger Probleme. Deutschland liegt – drittens – irgendwo in der Mitte, mit einer Tendenz zur japanisch-skandinavischen Gruppe. Und bei einem wichtigen Maßstab für soziale Gleichheit, der Durchlässigkeit der Gesellschaft, der sozialen Mobilität, schneidet die Bundesrepublik recht gut ab.

So hatte es das Politikertrio – die Bundestagsabgeordneten Hubertus Heil (SPD) und Stefan Ruppert (FDP) sowie Tarek Al-Wazir, Grünen-Fraktionschef in Hessen – nicht leicht, in Streitgesprächslaune zu kommen. Zumal Ruppert nicht daran dachte, das Hohelied der angeblich aus Ungleichheit entspringenden produktiven Kräfte zu singen. Alle drei spazierten auf einem breiten Konsenskorridor: Wichtig sei, die soziale Balance zu wahren, das Aufstiegsversprechen zu erhalten und auch die aus ihrer Sicht nicht zu leugnende Überlegenheit der Marktwirtschaft gegenüber sozialistischen Ideen. Gleiches Ziel, unterschiedliche Ansätze, wie Heil sagte.

Wie überhaupt im Kern eine rot-grün- gelbe Übereinkunft festzustellen war: Dass es nämlich darum gehen müsse, die Mitte stark zu halten, ihre Abstiegsängste überflüssig zu machen. Eine starke Mitte gegen die Tendenz des Auseinanderstrebens. Mehr Zusammenhalt, ohne deshalb in den Paternalismus (so Heils Bezeichnung) des früheren schwedischen Volksheim-Modells zurückzufallen. Al-Wazir gab dabei zu bedenken, dass der klassische Mittelverdiener in den letzten Jahren real immer weniger verdient habe.

Pickett bestätigte, dass eine klassische Umverteilungspolitik nicht notwendig zu mehr Gleichheit führe. Japan zeige, dass es ohne gehe. Doch ihre Kernthese gilt wohl für alle Länder, die alle ihre eigenen Wege haben: Eine Politik, die auf mehr Gleichheit zielt, kommt zwar zunächst vor allem den Ärmeren zugute, letztlich profitiert aber die ganze Gesellschaft. Ihre Zahlen zeigten, dass dies in den USA und Großbritannien noch dringender ist als in Deutschland.

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