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ORTSTERMIN: Liberale Lehrstunde

Das Verhältnis zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich könnte derzeit kaum angespannter sein. Immer lauter fordern Briten ein Referendum über ihre Mitgliedschaft in der EU.

Das Verhältnis zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich könnte derzeit kaum angespannter sein. Immer lauter fordern Briten ein Referendum über ihre Mitgliedschaft in der EU. Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler versuchte am Dienstag in London den britischen Unabhängigkeitsbestrebungen entgegenzuwirken, indem er seine Sicht zur Lösung der europäischen Krise darlegte. Vor den geplanten offiziellen politischen Gesprächen stand ein Auftritt an der London School of Economics auf dem ministerialen Terminkalender.

Sichtlich nervös betritt Rösler die Bühne. Während Craig Calhoun, Direktor der Universität, den „Herrn Vizekanzler“ vorstellt, nestelt dieser an seiner Krawatte. Sein ernster Blick wandert zwischen Redner und Bühnenhintergrund. Vielleicht ist es der Respekt vor den heiligen Hallen des Liberalismus, der den FDP-Chef unsicher macht. Freidemokratische Urväter wie Ralf Dahrendorf und Friedrich August Hayek dozierten hier. Vielleicht zaudert Rösler, weil er sich der Verantwortung bewusst ist, die abtrünnige Insel von den Vorteilen der europäischen Familie überzeugen zu müssen.

Gleich am Anfang seiner Rede macht Rösler deutlich, worum es ihm geht: „Sich nur die Kirschen aus dem Kuchen zu picken, ist keine Grundlage für eine gute Partnerschaft.“ Mit anderen Worten: Hundertprozentige Loyalität zur Europäischen Union wird auch von Großbritannien verlangt. „Ein Europa ohne das Vereinigte Königreich kann ich mir nicht vorstellen“, sagt Rösler. Überhaupt: Europa leide nicht zuvorderst an der Finanzkrise, sondern an mangelndem Vertrauen.

Britisch-brav hören die „Elite-Ökonomen der Zukunft“ (Zitat Rösler) dem Wirtschaftsminister zu. Protest gibt es keinen. Die Plakate und Sprechchöre vor dem Hörsaal sind Werbung für die anstehenden Wahlen an der Universität. Spannend wird es erst, als die Vorsitzende der griechischen Studentenvereinigung das Mikrofon erhält. Wie sich Rösler denn das Verhältnis zwischen Griechenland und Deutschland vorstelle, fragt sie schüchtern. „Wie sollen wir es verstehen, dass Griechenland seine Hausaufgaben machen muss? Stehen wir in einem Verhältnis von Befehl und Gehorsam?“ Der Minister beschwichtigt: Es gehe lediglich darum, dass vereinbarte Reformen umgesetzt werden. Das sei der einzige Weg aus der Finanzkrise. „Nur halbherzig und unvollständig realisierte Reformen führen zu nichts.“ Und: „Die Krise kann nicht mit einer schuldenfinanzierten Ausgabepolitik überwunden werden.“ Derart klassischer Liberalismus kommt im Hörsaal der Wirtschaftsuni gut an. FDP-Chef Rösler kommt dann nicht umhin, die rot-grüne Arbeitsmarktpolitik der Schröder-Jahre zu loben: „1999 waren wir der kranke Mann Europas. Besonders die Arbeitsmarktreformen haben uns wieder auf den richtigen Weg gebracht.“

Wie die Zukunft Griechenlands in der EU denn aussehe, hakt ein Zuhörer nach und konfrontiert Rösler mit dessen Erkenntnis, dass ein Austritt aus dem Euro seinen Schrecken verloren habe. Der Wirtschaftsminister will sich noch nicht festlegen. Erst müsse man abwarten, was die Experten der sogenannten Troika berichten. Für den Fall eines Austritts aus der Währungsunion bleibe aber Hoffnung: „Es gibt genug EU-Mitgliedstaaten, die nicht in der Euro-Zone sind.“ Wie auch immer die Lage aussehe, auf dem Weg aus der Krise sei es nötig, das ein oder andere Mal seine Meinung zu revidieren. Die deutsche Regierung habe diese Flexibilität, verteidigt Rösler die eigene Arbeit: „Die Bundeskanzlerin hat seit zwei Jahren nicht mehr das Wort alternativlos benutzt. Sie sehen, auch wir können dazulernen.“

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