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ORTSTERMIN: Nutzt diese Krise!

Hier hat er ein Heimspiel. An der Wand hängt noch die Tafel mit dem periodischen System, die erkennen lässt, dass dies sonst ein naturwissenschaftlicher Hörsaal ist.

Hier hat er ein Heimspiel. An der Wand hängt noch die Tafel mit dem periodischen System, die erkennen lässt, dass dies sonst ein naturwissenschaftlicher Hörsaal ist. Dabei ist Jean-Claude Juncker in der Universität Luxemburg nicht so sehr Gast als Ministerpräsident des Landes, der er auch ist, und das seit siebzehn Jahren. Es ist der Europäer, der langjährige Chef der Euro-Gruppe, der Mit-Weichensteller vieler europäischer Projekte, dessentwegen die Zuhörer, Studenten, Botschafter und Honoratioren, das Auditorium füllen. Im Dezember, sagt er en passant, „sind es dreißig Jahre, dass ich zum ersten Male als Politiker mit europäischen Themen zu tun hatte“.

Anlass ist eine Preisverleihung, und die BELA-Stiftung, die die Auszeichnung vergibt, hat dafür nicht zufällig eine Universität gewählt hat. Sie möchte Zeichen setzen für die Herausbildung europäischer Führungskräfte – Broader European Leadership Agenda steht als Programm hinter dem Namens-Kürzel. Und der große Mann der Europäischen Politik nutzt die Gelegenheit, um zu zeigen, was in diesen Tagen selten ist: Wie man klug und mutmachend über Europa und seine Krise sprechen kann. Er lenkt den Blick auf die Erfolge und fragt zugleich vorwurfsvoll, „warum wir uns eigentlich weniger zutrauen, als die Welt uns zutraut“.

Das gilt auch für die Krise: Immerhin, so konstatiert Juncker, haben wir innerhalb von 24 Monaten eine Entscheidungsdichte in der EU und der Eurozone zustande gebracht, „die ich mir in der Form nicht hätte vorstellen können“. Doch zweierlei fehlt: der Blick für die Leistungen, die die Gemeinschaft seit ihren Anfängen erbracht hat, und die Einsicht, in welcher Lage sich Europa heute befände, wenn es die Gemeinschaft und den Euro nicht gäbe: „Wir befänden uns in Europa ohne den Euro“, so Juncker, „in einem finanzpolitischen Grabenkrieg, den die Mitglieder der Gemeinschaft politisch nicht bewältigen könnten“.

Wie prekär die aktuelle Situation ist, wie groß die Probleme einzelner Länder sind – der langjährige Finanzminister, der vor der Währungsunion an unzähligen Brüsseler Sitzungen über Auf- und Abwertungen teilgenommen hat, ist überzeugt, dass es ohne Euro allen schlechter ginge. Doch das „unverantwortliche Gerede“, dass Griechenland die Eurozone verlassen müsse und dass der Euro gefährdet sei, müsse beendet werden. „Lasst diese Krise nicht ungenutzt!“, so lautet der Titel von Junckers Rede. Sie wird zu einem energischen Plädoyer gegen das, was Juncker als „Mode“ geißelt: Dass man sich mit dem Gedanken anfreunden müsse, „dass die EU als Gestaltungsprinzip unseres Kontinents ausgedient hätte“.

Der Rektor hat seine Begrüßung übrigens mit einem Gedanken angereichert, der der Debatte über die Entgegennahme des Friedensnobelpreises für die Europäische Union eine originelle Variante hinzufügt. „Wenn ich zu entscheiden hätte“, sagte er, „würde Juncker am 12. Dezember zur Verleihungszeremonie nach Oslo reisen.“ Keiner an diesem Montag in Luxemburg, der das nicht für einen überzeugenden Einfall gehalten hätte.

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