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Ortstermin: Piratenpartei: Alle Mann an Deck

Johannes Schneider besucht ein Treffen der Piratenpartei, das von den eigenen Anhängern überrannt wird.

So etwas hat der Wirt des Restaurants „Melissa“ noch nicht erlebt. „Das ist das Chaos, das geht nicht“, stammelt er. 20 Plätze seien reserviert gewesen, alles habe seine Ordnung gehabt. Und jetzt? Der Wirt traut seinen Augen kaum: überall Piraten! „Damit haben auch wir nicht gerechnet“, sagt Fridtjof Bösche und zuckt mit den Achseln. Es sei noch nicht so lange her, da hätten sie zu fünft dagesessen, wenn die Partei, die für ein freies Internet eintritt, gerufen habe. Erste Anzeichen, dass sich das ändern würde, habe es ein paar Wochen vor der Europawahl gegeben. „Und seit zwei, drei Wochen“, sagt Bösche, „geht es richtig los.“

Es ist ein seltenes Schauspiel, das sich dem Betrachter beim Landesverbandstreffen der Hamburger Piratenpartei bietet: Man kann hier beobachten, wie es ist, wenn eine Partei von der eigenen Beliebtheit überrannt wird.

Gut 60 Leute sind am frühen Abend in die kleine Gaststätte in Hamburg-Barmbek gekommen. Fast alle Männer, fast alle zwischen 20 und 40, fast alle haben beruflich mit Computern zu tun. Viele von ihnen finden keinen Sitzplatz mehr und quetschen sich bis in die Ecken.

Gunnar, 31, fasst die Lage zusammen: „Wir haben ein Problem: Wir sind zu viele.“ Er beginnt, die Tagesordnung durchzugehen. Neue Ortsgruppen sollen aufgebaut werden, und ein Begrüßungskomitee für „Zensursula“ müsse auch organisiert werden. Die Familienministerin Ursula von der Leyen kommt für einen Vortrag nach Hamburg. Die Piraten wollen ihr mit Plakaten und Transparenten zeigen, was sie von ihrer Politik halten. Dass von der Leyen plant, den Zugang zu Internetseiten zu sperren, auf denen Kinderpornografie zu sehen ist, ist für die Piraten der Anfang vom Ende. Zensur droht, sagen sie.

In einer Ecke wird getuschelt. Gunnar legt den Zeigefinger auf seine Lippen. „Schschsch. Es tut mir leid, aber es muss sein.“ Gunnar ist Vorstandmitglied der Hamburger Piraten. Er achtet darauf, dass das Piratenschiff auch wirklich mal ausläuft. „Wir haben hier viele Leute, die viel reden, und wenig Leute, die was machen“, sagt er. Seinen Nachnamen möchte Gunnar nicht nennen. Auch, weil sein Verhältnis zur eigenen Partei zurzeit etwas getrübt sei. Die Aufnahme des ehemaligen SPD-Politikers Jörg Tauss in die Piratenpartei geht ihm an die Nieren. „Dadurch kann man mich mit Kinderpornografie in Verbindung bringen, und damit habe ich ein ganz großes Problem.“

Sein Vorstandskollege Fridtjof Bösche, ein Endzwanziger mit Irokesenschnitt, sieht das anders. „Tauss ist kein Extremist oder Faschist, deshalb gibt es keinen Grund, ihn abzulehnen.“ Es gehöre zu den Piraten, dass sie auch mal anecken, sagt Bösche noch. Der Wirt des „Melissa“ wird ihm sicher recht geben. Nach dem Treffen macht er klar, dass er so einen Überfall nicht noch einmal erleben möchte. Offenbar wird es Zeit für die Piratenpartei, sich nach etwas Größerem umzusehen.

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