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Rheinsberg

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Ortstermin: Strahlendes Erbe in Rheinsberg

Die Menschen in und um Rheinsberg hatten sich mehr oder weniger mit dem Kraftwerk arrangiert. Claus-Dieter Steyer verfolgt nun die Demontage des ältesten deutschen KKW.

Fast 20 Jahre nach der letzten Kilowattstunde Strom aus dem stillgelegten Kernkraftwerk Rheinsberg müssen sich Besucher immer noch bis aufs letzte Hemd ausziehen. Damit sich keine belasteten Partikel in der Kleidung und auf der Haut festsetzen, gibt es firmeneigene Unterwäsche, Strümpfe, Schuhe, Overall, Handschuhe und einen Schutzhelm. Zurück ins Freie dürfen die Besucher, genau wie die unmittelbar mit der Demontage beschäftigten Ingenieure und Arbeiter, erst nach gründlichem Duschen und der Computeransage: „Keine Kontamination festgestellt.“ Die 1966 als erstes deutsches Atomkraftwerk in Betrieb genommene Anlage im Norden Brandenburgs strahlt also offenbar immer noch ziemlich stark, obwohl der Reaktorbehälter schon im Herbst 2007 ins Zwischenlager Lubmin bei Greifswald transportiert worden war.

„Eine reale Gefahr für Leib und Leben besteht eigentlich nicht mehr“, sagte Betriebsleiter Michael Schönherr am Mittwochabend in Berlin. „Die Strahlenbelastung ist abgeklungen. Aber die gesetzlichen Bestimmungen zwingen uns nach wie vor zu solchen strengen Sicherheitsvorkehrungen.“ Es müsse sich aber niemand ängstigen.

Allerdings zeigt der schon 1990 beschlossene Rückbau des mit 70 Megawatt Jahresleistung vergleichsweise kleinen Kraftwerkes in der Nähe des romantischen Stechlinsees den großen Aufwand eines möglichen Ausstieges aus der Atomenergie. „Auch für große Anlagen wie in Krümmel müssen die Betreiber mindestens mit 15 bis 20 Jahren Demontage rechnen“, erklärte Dieter Rittscher, Geschäftsführer der Energiewerke Nord, zu dem Rheinsberg und das ebenfalls nach der Wende abgeschaltete Kernkraftwerk Lubmin gehören. „Kürzere Fristen sind wegen der komplizierten Technik nicht drin.“ Das Kraftwerk Rheinsberg sei stark kontaminiert gewesen. Die DDR habe geforscht und selbst noch defekte Brennelemente weiter in Betrieb gelassen. Dennoch seien Menschen im Unterschied zur Natur nicht beeinträchtigt worden. „Bei allen Leukämieerkrankungen wurde kein Zusammenhang mit der Tätigkeit im Kraftwerk festgestellt“, meinte Betriebschef Schönherr. Eine Klage eines ehemaligen Beschäftigten hatte vor Gericht keine Chance. Allerdings trat kontaminiertes Wasser in den Untergrund aus.

Die Menschen in und um Rheinsberg hatten sich mehr oder weniger mit dem Kraftwerk arrangiert. „Nahezu jede Familie war damit verbunden", erinnert sich Erich Kuhne, der mehr als 20 Jahre im KKW arbeitete und heute der Stadtverordnetenversammlung vorsteht. „Bei 630 Jobs in einer 5000-Einwohner-Stadt ist das auch verständlich.“ Heute sind noch 145 Frauen und Männer mit der Demontage beschäftigt. Viele trauern offenbar der Zeit vor 1990 nach. Die Leute haben gut verdient und waren gut qualifiziert. „Seit dem faktischen Ende des Werks hat mit der Abwanderung vieler Spezialisten ein dramatischer Umbruch stattgefunden“, erzählt der Kommunalpolitiker Kuhne. Daher will die Stadt im Unterschied zur ersten Euphorie nach der Wende längst keine grüne Wiese mehr an Stelle des Kraftwerks. „Wir streben eine industrielle Nachnutzung der Gebäude für den Mittelstand an“, erklärte Kuhne. „Möglichst im Einklang mit der Natur.“

Spruchreif wird die Nachnutzung erst 2013. Dann soll das letzte radioaktiv belastete Teil aus Rheinsberg verschwinden. 420 Millionen Euro Steuergelder wird die in Eigenregie der Mitarbeiter erfolgten Demontage dann verschlungen haben. Die bis dahin noch nicht pensionierten Ingenieure aus Rheinsberg werden dann wohl ihren jetzt schon bei der Demontage russischer Atom-U-Boote oder dem Abbau eines Reaktors in Karlsruhe beschäftigten Kollegen folgen. „In Brandenburg wird es jedenfalls kein Kernkraftwerk mehr geben“, versicherte Umweltstaatssekretär Dietmar Schulze. „Dagegen spricht schon der riesige Demontage-Aufwand.“

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