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Politik: „Oskar Lafontaine unterwandert die PDS“ Ost-Minister Manfred Stolpe über die Linkspartei,

eine große Koalition – und ein Louvre mitten in Berlin

Herr Stolpe, bleibt es dabei, dass Sie nach der Wahl aufhören?

Ich strebe nicht nach einem politischen Amt. Aber ich wollte auch nicht Ministerpräsident in Brandenburg und Bundesverkehrsminister in Berlin werden.

Vielleicht ruft man Sie noch einmal, so wie 2002.

Ich war und bin immer noch bereit, dort einzuspringen, wo wirklich Not am Mann ist. Auch wenn es genügend Jüngere gibt, die Verantwortung tragen könnten.

Brauchen Sie das: gerufen zu werden?

Es tut gut, wenn andere sagen, wir brauchen diesen Menschen. Und es ist schön, die innere Freiheit zu verspüren, nichts mehr werden zu müssen. Mit diesem Gefühl konnte ich all meine Entscheidungen, ob als Ministerpräsident oder als Verkehrsminister, ohne Zwang treffen.

Als Ministerpräsident haben Sie gesagt: „Wir tragen das Etikett der kleinen DDR mit Stolz.“ Bereuen Sie das heute?

Meine Äußerung aus dem Jahr 1996 ist aus dem Zusammenhang gerissen worden. Das Etikett der „kleinen DDR“ ist den Brandenburgern damals von anderen abwertend angeheftet worden. Ich habe seinerzeit gesagt, die Brandenburger legen Wert darauf, ihre Herkunft nicht zu verbergen. Das halte ich auch heute noch für richtig.

Sie haben damit auch Ostalgie befördert.

Ich halte nichts von Ostalgie, das ist mir zu rückwärts gewandt. Aber mir war wichtig, dass den Menschen das Heimatgefühl, die Nestwärme, nicht verloren geht. Heimatverbundenheit ist übrigens keine Verschrobenheit des Ostens. Alles andere hätte auch bedeutet, die Menschen ihrer Geschichte zu berauben.

Gehört zur Geschichte nicht auch, dass ganz Deutschland bis heute unter den Folgen der DDR-Misswirtschaft leidet?

Ja, aber es gibt noch eine andere Ursache: Niemand wusste vorher, wie die Wiedervereinigung vonstatten gehen soll, es gab keinen Plan der schnellen Transformation. Mit dem Beitritt des Saarlandes hat man sehr lange Übergangsmöglichkeiten geschaffen, anders als 1990. Die Bundestagswahlen haben seinerzeit – das muss man heute rückblickend sagen – zu überstürzten Reaktionen geführt. Damals wurden die Wurzeln für die Massenarbeitslosigkeit gelegt.

An der Massenarbeitslosigkeit hat sich in sieben Jahren mit Gerhard Schröder und in drei Jahren mit dem Ost-Minister Stolpe nichts geändert. Warum sollten die Ostdeutschen SPD wählen?

Weil sie sich darauf verlassen können, dass es mit der SPD weder eine neoliberal konservative Politik noch Versprechen auf eine unrealisierbare Zukunft gibt. Mit uns wird das Notwendige getan. Im Übrigen stimmt ihre Eingangsthese nicht: Im verarbeitenden Gewerbe haben wir im Osten heute höhere Zuwachsraten als im Westen. Das Positive wird leider oft übersehen.

Trotzdem liegt die Linkspartei im Osten weit vor der SPD.

Noch sind sieben Wochen Zeit bis zur Wahl. Im Osten treffen die Menschen ihre Entscheidungen erst kurz vorher, weil sie die Argumente der Parteien genau abwägen. Mit der Linken und der PDS sind Populisten am Werk, die den Menschen nach dem Munde reden, im Osten wie im Westen. Bis zur Wahl werden allerdings viele Menschen erkennen, was dahintersteckt. Zum Beispiel eine durch und durch unseriöse Finanzierungslücke von 80 Milliarden Euro.

Gregor Gysi sagt, der Osten brauche eine Stimme. Ist das falsch?

Im Sinne von ostdeutschem Separatismus ist es falsch. Als erkennbare Interessenvertreter der Regionen ist es richtig. Gerade deshalb sollte es nicht die Stimme von Gysi sein. Der vertritt nur seine eigenen Interessen und schlägt sich dann wieder seitwärts in die Büsche.

Die PDS nennt sich die Stimme des Ostens, und die Umfragen scheinen ihr Recht zu geben.

Auch da kann ich nur warnen. Es wird noch vielen in der PDS auffallen, dass sie jetzt ganz still und heimlich unter die Vormundschaft von Oskar Lafontaine und den extremen Linken aus dem Westen geraten, von denen sie benutzt werden. Dieser Unterwanderungsprozess wird die Basis der PDS im Osten angreifen. Ich setze darauf, dass die Menschen das noch vor der Wahl erkennen.

Die SPD wirft der Linkspartei vor allem Populismus vor. Reicht das?

Populismus kann man nicht mit Populismus enttarnen. Ich rate jedem Sozialdemokraten, das sachliche Streitgespräch zu suchen.

Warum verweigert der Kanzler die direkte Auseinandersetzung mit Lafontaine?

Warum soll der Bundeskanzler mit einem Saarländer debattieren, der in Nordrhein-Westfalen auf einer PDS-Liste für den Bundestag kandidiert? Niemand wird ja wohl ernsthaft behaupten, dass Lafontaine eine Chance hat, Kanzler zu werden.

Wollen Sie mit Gysi im Fernsehen streiten?

Warum nicht? Vor der Debatte um die Fakten muss ich mich nicht fürchten.

Kann Angela Merkel die Stimme des Ostens sein?

Das könnte sie schon, allerdings riskiert sie damit, Stimmen im Westen zu verlieren. Für die Union spielt der Osten keine große Rolle, das sieht man im Wahlprogramm. Das ist im Südwesten der Republik diktiert worden.

Wäre eine große Koalition eigentlich ein Unglück für Deutschland?

Das glaube ich nicht. Aber wir brauchen uns darüber jetzt nicht den Kopf zu zerbrechen. Das entscheiden die Wähler.

Herr Stolpe, was können Sie vor der Wahl noch bewegen, und was bleibt von dem, was Sie sich als Minister vorgenommen hatten?

Die zweite Hälfte des Aufbaus in Ostdeutschland muss noch absolviert werden. Das ist mir wichtig. Außerdem haben wir mit der Lkw-Maut einen ganz neuen Weg der Finanzierung öffentlicher Projekte beschritten. Einen Weg, bei dem uns das Engagement privater Kapitalgeber vollkommen neue Möglichkeiten eröffnet. Nehmen Sie diese böse Lücke im Zentrum der deutschen Hauptstadt…

...Sie meinen den Palast der Republik...

…Genau. Ich träume davon, an diesem Platz eine ideale Verbindung von privatem und öffentlichem Interesse zu realisieren.

Sie träumen vom Wiederaufbau des Schlosses?

Ja sicher. Der unvermeidliche Abbruch des Palastes der Republik darf aus meiner Sicht nicht in einer grünen Wiese enden. Dort, wo erst preußische, dann sozialistische und später gesamtdeutsche Geschichte geschrieben wurde, darf es keinen Abbruch ohne Aufbau geben. Der Neubau auf dem Schlossplatz muss die Ausmaße des ehemaligen Stadtschlosses haben. Wenn dann noch genug Geld da ist, kann man die historische Fassade wieder herstellen.

Das ist ein kostspieliger Traum.

Ja, ein Traum, aber ein realistischer. Es gibt ein großes nationales und internationales Interesse der Privatwirtschaft, dieses Projekt in Partnerschaft mit dem Staat zu realisieren. Und ich glaube, der Bund ist in der Pflicht, diese Wunde im Berliner Stadtzentrum zu schließen. Ein ideales PPP-Projekt also, das Maßstäbe setzen kann. Es wird dort private Nutzungen geben, und es deutet sich eine fantastische Verbindung zur Museumsinsel und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz an. In Berlin sind unzählige wertvolle Kulturgüter verstreut untergebracht und könnten am Schlossplatz vereint werden.

Sie wollen einen Louvre mitten in Berlin?

Gemeinsam mit der Museumsinsel wird es auf der Welt wenig Vergleichbares geben, und es wird ein Ort der Versöhnung sein. Menschen aus Ost und West werden dort spazieren, niemand wird den Palast vermissen, jeder Deutsche wird sich mit diesem Platz identifizieren können. Ich werde meine Pläne schon in den nächsten Wochen dem Bundeskanzler, dem Bundestag, dem Land Berlin und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz vorstellen. Ich bin sicher, dass selbst der Finanzminister leichter ansprechbar ist, wenn er weiß, dass private Investoren dabei sind.

Soll sich der Bundestag noch vor der Neuwahl im September, also mitten im Wahlkampf, mit diesen Plänen befassen?

Der grundsätzliche Beschluss über die Zukunft des Berliner Schlossplatzes ist über alle Parteigrenzen hinweg gefasst worden. Gleiches gilt für das Gesetz zur Realisierung von Investitionen in öffentlich-privater Partnerschaft, das erst vor wenigen Wochen vom Parlament beschlossen worden ist. Damit ist wohl ausgeschlossen, dass dieses langfristige nationale Projekt zu einem Objekt des Wahlkampfes wird. Es geht um ein nationales Projekt der Versöhnung.

Das müssen Sie erklären.

Nehmen Sie die neuen Bundesländer. Dort empfinden viele Menschen den Abriss des Palastes als einen Akt der Bilderstürmerei, als Raubzug gegen sie und ihre Geschichte. Deshalb ist es dringend nötig, dass vor dem Abriss klar ist, dass dort etwas Neues, etwas Besseres entsteht. Und auch für die Hessen und Bayern und Rheinländer muss dort der Ort sein, an dem ein Identität stiftender föderaler Ort der Kultur und Demokratie das alte preußische Stadtschloss ersetzt.

Gibt es eigentlich auch etwas, was die Deutschen in Ost und West eint?

Das fehlende Selbstbewusstsein. Die Ostdeutschen fühlen sich noch als Verlierer der Einheit, die Westdeutschen jetzt als Verlierer der Globalisierung. Beides ist falsch. Das müssen wir ändern. Dazu braucht es Sinn stiftende Symbole. Das Stadtschloss könnte eines sein.

Das Gespräch führten Stephan Haselberger und Antje Sirleschtov. Das Foto machte Kai-Uwe Heinrich.

KIRCHENMANN

Nach seinem Jurastudium arbeitete der 1936 in Stettin geborene Manfred Stolpe in der DDR jahrzehntelang als Kontaktperson der Evangelischen Kirche zum Staat.

GENOSSE

Nach der Wende waren Pfarrer und Kirchenfunktionäre in der aktiven Politik gefragt, und so trat der Ehrendoktor der Theologie 1990 der SPD bei.

REGIERUNGSCHEF

Zum ersten Ministerpräsidenten ihres neu geschaffenen Landes wählten ihn die Brandenburger am 1. November 1990. Zwölf Jahre lang blieb er ihr Landesvater, anfangs in einer Ampelkoalition, dann allein regierend und ab 1999 in einer großen Koalition.

KABINETTSMITGLIED Zur Überraschung vieler trat Stolpe am 26. Juni 2002 als Ministerpräsident zurück, nicht ohne der Politik ganz den Rücken zu kehren. Nach der Bundestagswahl 2002 wurde er Verkehrsminister und Aufbau-Ost-Beauftragter in Gerhard Schröders Regierung.

STASIVERDÄCHTIGT

Umstritten waren immer wieder seine einstigen Beziehungen zur Stasi, deren tatsächliches Ausmaß bis heute ungeklärt ist. 1978 bekam er zum Beispiel die Verdienstmedaille der DDR verliehen.

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