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Politik: „Ostdeutsche könnten selbstbewusster sein“

Sie sind als Wahlkämpfer jetzt häufig in den neuen Ländern unterwegs. Wie ist die Stimmung in Ostdeutschland?

Sie sind als Wahlkämpfer jetzt häufig in den neuen Ländern unterwegs. Wie ist die Stimmung in Ostdeutschland?

Einerseits höre ich sehr selbstbewusste, offene, zukunftsorientierte Töne. Andererseits spüre ich wegen der hohen Arbeitslosigkeit eine skeptische, ja depressive Stimmung. Das ist kein Widerspruch. So ist die Realität.

Ist die Depression so groß, weil die Ostdeutschen erst an Helmut Kohls blühende Landschaften und dann an Gerhard Schröders „Chefsache Ost“ glaubten?

Das ist sicher so. Die Ostdeutschen sind besonders enttäuscht, weil die von Schröder – und vorher zum Teil von Kohl – gemachten Versprechungen nicht eingelöst wurden, obwohl sie sicher ernsthaft gemeint waren. Schröder hat zu verantworten, dass die Schere zwischen Ost und West weiter auseinander geht.

Wussten Sie denn, dass die deutsche Einigung so schwierig wird?

Nein, ich bin selbst nicht frei von Fehleinschätzungen: Ich habe zur Wiedervereinigung als damaliger Innenminister in Bayern gemeint, dass die soziale Marktwirtschaft stark genug ist, die Probleme des Ostens in sechs, sieben Jahren zu lösen. Im Laufe der Zeit musste ich erkennen, dass die Schwierigkeiten viel tiefgreifender, die Verheerungen des Sozialismus viel gravierender sind.

Was werfen Sie Schröder dann vor?

Dass er sich zu wenig um die neuen Länder gekümmert hat. Politik hat immer mit Personen zu tun: Er hat ein politisches Leichtgewicht für den Osten beauftragt, der die personifizierte Untätigkeit ist. Ich habe mit Lothar Späth einen Politiker gewonnen, der nicht nur den Westen, sondern auch den Osten mit seinen besonderen Problemen bestens kennt. Vor allem aber: Er weiß, wie man sie löst.

Sie haben für den Fall Ihres Wahlsieges gerade ein Investitionsprogramm über zwei Milliarden Euro für die neuen Länder angekündigt. Wie lange wird der Osten noch auf finanzielle Hilfen des Bundes, der alten Länder angewiesen sein?

Wir haben den Solidarpakt bis 2019/2020 verlängert. Dieser Zeitraum wird nötig sein, um eine weit gehende Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse von Ost und West zu erreichen. Die neuen Länder brauchen unsere ganze Aufmerksamkeit und sicher noch über ein Jahrzehnt besondere Unterstützung.

Der frühere polnische Botschafter Janusz Reiter meint, dass Ostdeutschland durch fehlendes Selbstvertrauen, Verzagtheit und Jammern potenzielle Aufbruch-Energien nicht freisetzt. Sein Fazit: „Der ostdeutsche Tiger steckt in den Köpfen“. Teilen Sie diese Einschätzung?

Ja, die Ostdeutschen könnten viel selbstbewusster auftreten. Denn sie haben etwas geschafft, was den Menschen in den alten Ländern erst noch bevorsteht. Sie haben ein hohes Maß an Flexibilität, an Bereitschaft für Veränderungen entwickelt. Dies sieht man schon daran, dass durch die tief greifenden Strukturumbrüche in den neuen Ländern heute jeder Zweite in einem anderen Beruf steht als er einst gelernt oder zu DDR-Zeiten ausgeübt hat. Der Westen kann in dieser Hinsicht vom Osten lernen.

Muss der Westen vom Osten lernen?

Ja, die Globalisierung, der zunehmende Wettbewerb zwischen Ländern wird in den nächsten Jahren zwangsläufig zu Strukturveränderungen führen, denen sich die Bundesrepublik stellen muss: Die Deutschen werden mit den Polen, mit den Tschechen, mit den Slowaken konkurrieren. Bestimmte Waren können dort kostengünstiger produziert werden als bei uns: Wir müssen Neues entdecken und entwickeln. Die neuen Länder sind flexibler, besser dafür gerüstet. Sie können dieses Pfund allerdings nur ausspielen, wenn sie die Mittel dafür bekommen: Vor allem der Mittelstand in Ostdeutschland muss dafür gestärkt werden.

Ein Grund für die Unzufriedenheit ist das immer noch große Ost-West-Einkommensgefälle. Wie lange müssen sich die Ostdeutschen gedulden, bis sie gleichen Lohn bekommen?

Wir wollen für die Bundesbediensteten bis zum Jahr 2007 eine Gleichstellung erreichen. Was die Lohnstrukturen in der Gesamtwirtschaft anbelangt, muss man den Menschen reinen Wein einschenken: Löhne müssen verdient werden, sie hängen von der Produktivität ab. Deshalb führt kein Weg daran vorbei: Die Wachstumskräfte müssen angeregt werden. Deutschland kann nur wieder Wachstumsmotor in Europa werden, wenn uns der Aufschwung im Osten gelingt.

Es gibt in Ostdeutschland Vorbehalte gegen einen Kanzler Stoiber, genährt durch die Klage Bayerns gegen den Länderfinanzausgleich.

Ich weiß nicht, ob es diese Vorbehalte wirklich so gibt. Natürlich versucht der politische Gegner dieses Bild zu malen. Wie kaum ein anderes Bundesland hat sich Bayern für die Wiedervereinigung eingesetzt. Und die Behauptung, dass sich die Klage Bayerns für eine Reform des Länderfinanzausgleichs gegen die neuen Länder richtete, ist wahrheitswidrig. Es war und ist keine Attacke gegen Ostdeutschland, sondern eine Auseinandersetzung, die sich vor allem gegen andere alte Länder richtet. Als der Solidarpakt für den Osten in der Ministerpräsidentenkonferenz abgesegnet wurde, stand Bayern dahinter.

Die Aufnahme der ledigen, schwangeren Bundestagsabgeordneten Katherina Reiche in Ihr Kompetenzteam mit der vollen Zuständigkeit für Familienpolitik hat kontroverse Reaktionen ausgelöst. Haben Sie mit den harschen Attacken wie der vom katholischen Kardinal Meisner gerechnet, der gar das „C“ im Unionsn infrage stellt?

Natürlich habe ich Gegenwind erwartet. Aber ich habe nicht mit dieser doch sehr aggressiven Kritik gerechnet, weil sie unangebracht ist. Frau Reiche verfügt über Kompetenz, eine hohe Intelligenz, ein starkes Durchsetzungsvermögen, das nötige Selbstbewusstsein. Sie ist eine Frau, die überzeugend das Lebensgefühl vieler junger Frauen in Deutschland verkörpert. Sie wird ihren Weg machen und hat meine volle Unterstützung.

Auch manchem Konservativen ist suspekt, dass sie als werdende Mutter ohne Trauschein für die Familienpolitik der Union zuständig ist.

Die ganze Argumentation, dass sie als Unverheiratete die Ehe relativieren würde, ist für mich nicht nachvollziehbar. Frau Reiche hat mehrfach erklärt, dass die Institution der Ehe nicht mit anderen Formen des Zusammenlebens gleichgestellt werden kann, dass ihr besonderer Verfassungsrang zu schützen ist.

Kann der Sympathie- und Solidaritätseffekt für Frau Reiche im Osten ambivalente Reaktionen bei katholisch-konservativen Wählern in den alten Ländern aufwiegen?

Ich bin dagegen, das Eine gegen das Andere auszuspielen. Mein Ansatz ist: Eine Volkspartei wie die CDU/CSU muss sich stets aufs Neue an Veränderungen der Gesellschaft orientieren, ohne eigene Grundsätze aufzugeben.

Teilen Sie auch Reiches Auffassung, homosexuelle Lebenspartnerschaften müssten bessergestellt werden?

Man muss fair sein: Sie wollte zum Ausdruck bringen, dass weder sie noch die Union gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften a priori ablehnen. Und dass es hier tatsächlich Verbesserungen im täglichen Leben geben muss, ob bei der Mietnachfolge oder im Besuchsrecht - alles Dinge, die bis zur jüngsten Gesetzgebung tatsächlich nicht vorhanden waren.

Die Union war gegen das rot-grüne Gesetz.

Weil unserer Ansicht nach für diese Verbesserungen kein Gesetz nötig war. Es ist falsch, dass wir das Zusammenleben gleichgeschlechtlicher Paare nicht akzeptieren würden: Unsere Kritik an dem Gesetz richtet sich insbesondere dagegen, dass die Lebenspartnerschaften faktisch der Ehe gleichgestellt werden. Noch einmal: Wir kritisieren nicht die Lebenspartnerschaften an sich. Wir erkennen durchaus an, dass es Veränderungsbedarf in dieser Richtung gab.

Ein Kanzler Stoiber wird das Gesetz über die „Homo-Ehe“ nicht kippen?

Wenn das Bundesverfassungsgericht das Gesetz nicht aufhebt, werden wir es nach Regierungsübernahme auch nicht tun. Allerdings werden wir auch nicht zulassen, dass die Lebenspartnerschaften der Ehe gleichgestellt werden. Das betrifft jene Teile des Gesetzes, die sich derzeit noch im Vermittlungsausschuss befinden.

Sie haben Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohms nicht ins Kompetenzteam berufen. Eine Vorentscheidung, dass Sie Schönbohm nicht in ein von Ihnen geführtes Kabinett holen werden?

Keineswegs. Es ist ein Kompetenzteam, kein Schattenkabinett. Jörg Schönbohm gehört zur absoluten Führungsmannschaft der Unionsparteien. Er hat in vielen Bereichen hohe Kompetenz, ob in der Inneren Sicherheit oder in der Verteidigungspolitik. Er bringt beste Voraussetzungen mit, nicht nur in Brandenburg, sondern auch in Berlin ein Ministeramt auszuüben. Wenn ich eine Regierung bilden kann, werde ich sicher auch mit Herrn Schönbohm reden.

Das Interview führte Thorsten Metzner.

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