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Pakistan - Indien: Das große Misstrauen

Die historisch bedingte Feindschaft zwischen Pakistan und Indien ist die Existenzgrundlage der afghanischen Taliban.

Berlin - Während der Afghanistankonferenz im Juli dieses Jahres in Kabul muss jedem Teilnehmer bewusst gewesen sein, dass die pakistanischen Abgesandten ein doppeltes Spiel spielen. Einerseits unterstützt Pakistan als Gegenleistung für die von den USA erhaltenen Milliarden Dollar an Militär- und Wirtschaftshilfe den Kampf gegen die Taliban. Andererseits sind der pakistanische Geheimdienst ISI und vermutlich auch die Spitzen der Armee direkter Förderer der Taliban im Kampf gegen die Nato-Truppen und die Zentralregierung in Kabul. Wie aus den der Öffentlichkeit zugänglich gemachten geheimen US-Militärberichten vielfach hervorgeht, gibt es Erkenntnisse, dass der ISI die Taliban nicht nur mit Waffen, Gerät und Logistik versorgt, sondern auch durch eigene Offiziere deren Angriffe koordiniert und berät.

Der Grund für die ungebrochene Unterstützung der Taliban, denen Pakistan schon vor 2001 zur Macht in Kabul verholfen hatte, findet sich in einem extremen Misstrauen der pakistanischen Militärs und Politiker ihrem Erzfeind Indien gegenüber. Oberflächlich gesehen geht es dabei um den Besitz von Kaschmir. Einer landschaftlich reizvollen, aber wirtschaftlich armen Region im Himalaja, die von beiden Staaten in Gänze beansprucht wird. Bis an die Zähne bewaffnet stehen sich die Armeen der beiden Atommächte in der Mitte des geteilten Kaschmir gegenüber. Seit 1949 führten Indien und Pakistan bereits drei Kriege um dessen Besitz miteinander; zuletzt 1999.

Doch ist dieser Konflikt nur das Symptom tief sitzender kollektiver Traumata und gegenseitigen Misstrauens, deren Wurzel weit in die Geschichte und Entstehung der beiden Staaten hinabreicht. 1947 entließ Großbritannien seine Kronkolonie Indien in die Unabhängigkeit und erfüllte zugleich eine Forderung der moslemischen Inder nach einem eigenen Staat. Gegen den Widerstand der indischen Nationalisten und Mahatma Gandhis entstanden zwei unabhängige Staaten: Indien und Pakistan. Schwelender Hass zwischen Hindus und Moslems führten in der Geschichte Indiens schon vor dessen Unabhängigkeit immer wieder zu wechselseitigen Gewaltexzessen. Mit der Gründung der Indischen Union und Pakistans entluden sich die Gegensätze zwischen den Religionen in Massakern und Vertreibungen.

Dabei kam es zur Umsiedlung und Vertreibung von bis zu zehn Millionen Hindus aus Pakistan und umgekehrt zur Umsiedlung und Vertreibung einer ähnlich hohen Zahl von Moslems aus Indien. 500 000 Menschen starben in diesem Konflikt. Bis heute bestimmen die Erinnerungen daran das Bild vom jeweils anderen.

Den Indern erscheint Pakistan als permanente Quelle von Terrorismus und Aggression. Gerade im Kaschmirkonflikt versuchte Pakistan immer wieder, seine Ansprüche mit Waffengewalt durchzusetzen. Dazu ersann es schon weit vor dem Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan den heiligen Krieg. Gotteskrieger aus aller Welt kämpfen in Kaschmir im Interesse Pakistans und verüben auch immer wieder Terroranschläge in Indien. Als am 26.November 2008 eine Gruppe Terroristen aus Pakistan in Bombay ein Blutbad anrichtete, schrien aufgebrachte Demonstranten in ganz Indien nach militärischer Vergeltung und Krieg.

Pakistan dagegen fühlt sich durch das übermächtige Indien in seiner staatlichen und religiösen Existenz bedroht. Dort verdächtigt man den Nachbarn, die territoriale Einheit mit Pakistan unter seiner Herrschaft wiederherstellen zu wollen. Als indische Truppen 1971 in den Sezessionskrieg zwischen West- und Ostpakistan aufseiten der Separatisten, gegen die pakistanische Armee, aktiv eingriffen, musste dies wie ein Beweis der pakistanischen Befürchtungen wirken. Erst das indische Eingreifen ermöglichte es dem damaligen Ostpakistan, als Bangladesch die Unabhängigkeit von Islamabad zu erreichen und führte zu einer tiefen politischen Krise in Westpakistan.

Für dessen Machtelite ging die eigentliche – die existenzielle – Bedrohung schon immer von Indien aus. Aus diesem Grunde wäre es für pakistanische Politiker und Militärs ein absolutes Horrorszenario, ein stabiles und gemäßigtes Afghanistan im Rücken zu haben, welches zu einem Verbündeten Indiens werden könnte. Oder den Einfluss auf die afghanischen inneren Verhältnisse zu verlieren, während Indien in das Machtvakuum vorstößt, welches nach dem Abzug der ausländischen Truppen erwartet wird. Die Taliban sind die Trumpfkarte der pakistanischen Afghanistanpolitik. Den Glaubensbrüdern in Afghanistan zur Macht zu verhelfen, oder das Land in dauerndem Bürgerkrieg zu halten, ist Voraussetzung, um den eigenen Einfluss zu wahren.

Entsprechend gereizt reagieren ISI und Armee auf die Versuche Indiens, in Afghanistan durch Entwicklungshilfe und Aufbauprojekte selbst an Einfluss zu gewinnen. Der blutige Bombenanschlag auf die indische Botschaft am 7. Juli 2008 in Kabul erklärt sich aus diesem Zusammenhang.

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