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Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag.

© dpa

Palästina und der Strafgerichtshof: Nicht frei von Heuchelei

Strafrechtliche Verfolgbarkeit ist eine wichtige Voraussetzung für Frieden in Nahost. Die EU sollte sich deshalb für den Beitritt Palästinas zum Internationalen Strafgerichtshof einsetzen. Ein Kommentar

Die Außenminister aus Europa, dem Nahen Osten und Amerika treffen am heutigen Sonntag in Kairo zu einer Konferenz zusammen, in der es um den Wiederaufbau des Gazastreifens geht, der in diesem Jahr bei den israelischen Bombardements im Zuge der Operation „Protective Edge“ (Fels in der Brandung) zerbombt wurde. Die Palästinenser fordern von der internationalen Gemeinschaft vier Milliarden Dollar – genug, um die Hälfte der in diesem Konflikt angerichteten Sachschäden zu beheben, der auf Palästinenserseite mehr als 2000 Menschen das Leben kostete.

„Was wir auch wiederaufbauen, wird gleich wieder zerstört“

Die meisten Geber sind sich kurz vor ihrer Reise nach Kairo darin einig, dass sie nicht einfach weiter Geld für den Wiederaufbau von Gaza bereitstellen können, ohne zu versuchen, diesen Kreislauf der Zerstörung zu durchbrechen, bei dem jeder Krieg da beginnt, wo der letzte geendet hat, und die Zahlen der Todesopfer und Sachschäden immer größer werden. Im Vorfeld der Konferenz fasste ein EU-Diplomat seine Bedenken in die Worte „was wir auch wiederaufbauen, wird gleich wieder zerstört“.

Es hat schon etwas Sisyphushaftes, wie Europa als größter Geber für Palästina immer wieder Hilfsprojekte in den Gebieten durchführt, nur um sie beim nächsten Aufflammen des Konflikts wieder zerstört zu sehen.

Das Engagement Europas für Palästina hat auch etwas Heuchlerisches. Auch wenn die EU-Staaten weiterhin großzügig sind (600 Mio. Dollar jährlich allein von der EU, plus gesonderter Zahlungen einzelner Länder) und die Ausweitung illegaler Siedlungen von Israelis verurteilen, verweigern sie mit einiger Sturheit genau die Maßnahme, die den Frieden fördern und eine stark abschreckende Wirkung für künftige Zerstörungen haben könnte: der Beitritt Palästinas zum Internationalen Strafgerichtshof (IStGH).

Der IStGH ist ein unabhängiges, ständiges Gericht, das für die schwersten internationalen Verbrechen zuständig ist, nämlich Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Er handelt nur dann, wenn ein Fall nicht auf nationaler Ebene verfolgt wird, und kann nur Delikte untersuchen und verfolgen, die im Gebiet oder von Angehörigen der Staaten verübt wurden, die dem IStGH-Statut beigetreten sind oder die Gerichtsbarkeit dieses Strafgerichtshofs per ad-hoc-Erklärung anerkannt haben.

Weder Palästina noch Israel sind Mitglieder des IStGH

Palästina ist ebenso wenig Mitglied des IStGH wie Israel, wobei letzteres dessen Gerichtsbarkeit nicht anerkennt (ebenso wie China, Sudan, Simbabwe und die USA), ersteres, weil der Versuch, dem IStGH Gerichtsbarkeit zuzuerkennen im Jahr 2009 fehlgeschlagen ist, weil Palästina nicht offiziell als Staat anerkannt wurde. Seit 2012 hat Palästina allerdings einen Beobachterstatus bei den Vereinten Nationen und ist somit berechtigt, dem IStGH beizutreten – wie erst kürzlich von dem derzeitigen IStGH-Ankläger Fatou Bensouda bestätigt wurde.

Der Palästinenserführer Mahmud Abbas konzentriert seine Bestrebungen derzeit auf die Verabschiedung einer UN-Resolution über einen Zeitplan für den israelischen Rückzug, hat aber angedeutet, dass eine Mitgliedschaft beim IStGH der nächste Schritt sei, sollte es zu einem Veto gegen diese Resolution kommen. Unter dem Druck der USA und Israels würde Abbas wohl eher diese Option verfolgen, sollte die EU ihren Widerstand aufgeben und ihm den Spielraum dafür gewähren.

Der Beitritt Palästinas zum IStGH-Statut ist wünschenswert, weil damit beide Seiten für Kriegsverbrechen zur Verantwortung gezogen werden können, was die Gewalt in Zukunft eindämmen würde. Außerdem würde damit dem Ausbau der Siedlungen ein Riegel vorgeschoben, weil die Definition des Statuts für Kriegsverbrechen lautet: „unmittelbare oder mittelbare Überführung durch die Besatzungsmacht eines Teiles ihrer eigenen Zivilbevölkerung in das von ihr besetzte Gebiet […]“. Geber hätten mit dem Beitritt eine größere Garantie als bisher dafür, dass ihr Geld und ihre Hilfsprojekte nicht verschwendet oder vernichtet werden.

Trotz zahlreicher Argumente, die dafür sprechen, hat sich die EU allerdings sehr darauf verlassen, dass die Palästinenser nicht den Weg zum IStGH einschlagen. In den Schlussfolgerungen der EU-Ratsversammlung der Außenminister im Juli wurde Palästina ermahnt, „seinen UN-Status konstruktiv zu nutzen und keine Schritte zu ergreifen, die von einer Verhandlungslösung wegführen würden“. Hinter den Kulissen kam die Botschaft dem Vernehmen nach etwas deutlicher an: geht nicht zum IStGH.

Die Haltung der EU ist nicht frei von Heuchelei

Dieses Verhalten entspringt der Angst vor der israelischen Reaktion und ist verfehlt und kurzsichtig. Ein Mechanismus für die strafrechtliche Verfolgbarkeit schließt vernünftige Verhandlungen doch nicht aus, er führt vielmehr auf lange Sicht sogar eher zum Frieden. Dem Druck von Regierungen nachzugeben, die mit dem Abbruch von Friedensverhandlungen drohen, ermutigt nur zu weiterem Missbrauch. Ein Sprecher des Hilfswerks der Vereinten Nationen sagte kürzlich: „ohne ... strafrechtliche Verfolgbarkeit für Verletzungen des internationalen Rechts aller Konfliktparteien befürchten wir eine Rückkehr zu dem unhaltbaren Teufelskreis aus Blockade, Raketen und Zerstörung“.

Die Haltung der EU ist nicht frei von Heuchelei, da sie ständig ihre Unterstützung des IStGH bekundet und andere Länder ermutigt, dem Statut beizutreten (die Ratifizierung ist eine explizite Voraussetzung für einige EU-Handels- und Entwicklungsvereinbarungen und die EU hat bereits Hilfszusagen zurückgenommen, wenn ein Land die Ratifizierung verweigert hat). Außerdem widerspricht diese Haltung ihrer Verpflichtung als IStGH-Mitglied, die Ziele des Strafgerichtshofs zu unterstützen. Letztendlich unterminiert die EU damit doch ihre eigenen Interessen und Investitionen sowie die Hoffnung auf einen dauerhaften Frieden.

An diesem Wochenende sollten einsichtige Geber nicht nur Geld für den Wiederaufbau freigeben, sondern – das gilt vor allem für die EU – ihren Widerstand gegen eine Mitgliedschaft Palästinas beim IStGH aufgeben. Damit wäre sowohl Palästinensern als auch Israelis der Weg zur verdienten Gerechtigkeit geebnet. Dies könnte ein Schritt dahin sein, die Straflosigkeit zu beenden, die im Zentrum des herzzerreißenden Teufelskreises aus Gewalt und Hass im Nahen Osten steht.

Sir Desmond Lorenz de Silva ist ein prominenter britischer Anwalt und war UN-Chefankläger gegen Kriegsverbrechen in Sierra Leone. Sir Geoffrey Nice arbeitete von 1998 bis 2006 am Internationalen Strafgericht für das ehemalige Jugoslawien und leitete den Prozess gegen den früheren serbischen Präsidenten Slobodan Milošević.  

Beide sind Koautoren des „Caesar“-Berichts über Folterungen in Syrien.

 

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