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Politik: Palästinenser gegen sich selbst

Hamas stellt allen bewaffneten Fatah-Anhängern ein Ultimatum: Wer nicht aufgibt, wird erschossen

Der bewaffnete Machtkampf der beiden großen palästinensischen Regierungsparteien, der radikalislamischen Hamas und der säkular-nationalistischen Fatah, hat sich im Gazastreifen zu einem mörderischen Bürgerkrieg ausgeweitet. Die Fatah will aus der von Hamas-Ministerpräsident Ismail Hanija geführten „Regierung der nationalen Einheit“ austreten. Präsident Mahmud Abbas von der Fatah beschuldigte Hamas jetzt offiziell, „einen Coup gegen die legitimen Institutionen“ zu planen um „mit Gewalt die Kontrolle über den Gazastreifen“ zu übernehmen und ihn selbst zu stürzen.

Die jüngste Eskalation begann, nachdem Hamas-Kämpfer einen Offizier von einem Hochhausdach in den Tod hatten stürzen lassen. Als ein Hamas-Milizionär erschossen wurde, stürmten andere ein Krankenhaus in Beit Hanun und ermordeten dort einen Vater und seine Söhne praktisch in den Betten. In der Nacht ging das Haus eines Fatah-Sicherheitsoffiziers in Flammen auf. Seine Mutter (75) und zwei Töchter (15 und 19) starben in den Flammen.

Die Führungsgremien der Fatah wollten Dienstagabend in Ramallah im Westjordanland über ihr weiteres Vorgehen entscheiden. Geplant war angeblich der Austritt aus der von Hamas-Ministerpräsident Ismail Hanija geführten und von Saudi-Arabien in Mekka erzwungenen „Regierung der nationalen Einheit“ sowie der Rücktritt aller Fatah-Abgeordneten aus dem Autonomieparlament, dem Palästinensischen Legislativrat PLC.

Hamas ist nicht nur die weitaus stärkere politische Macht im Gazastreifen, sondern ist der Fatah auch militärisch deutlich überlegen. Sie stellte den Fatah-loyalen Truppen ein Ultimatum bis Dienstag, 14 Uhr. Die Fatah-Kämpfer müssten bis zu dessen Ablaufen sämtliche Basen, Kasernen und Hauptquartiere der militärischen Geheimdienste, der Präsidialgarde, der sogenannten Nationalen Sicherheit und des Abwehrdienstes verlassen: „Wer nicht räumt wird erschossen", heißt es in der entsprechenden Hamas-Botschaft.

Kurz nach Ablauf des Ultimatums griffen Hamas-Truppen einzelne Posten und Stellungen an und meldeten erste Kapitulationen des Gegners. Schon zwei Stunden später meldete der Fernsehsender der Hamas, deren Truppen hätten das gesamte Gebiete des nördlichen Gazastreifens unter ihre Kontrolle gebracht. Sämtliche dortigen militärischen Stellungen seien von den „Kollaborateuren mit Israel“ geräumt worden.

Fatah-Sprecher Maher Mikdad sprach von offenem Krieg und machte den Iran verantwortlich, weil er die Hamas umfassend unterstützt. Er rief alle Fatah-Mitglieder auf, die politische und militärische Führung der Hamas anzugreifen. Die starke Eskalation der Kämpfe am Dienstag war auch durch Bewaffnete der Fatah ausgelöst worden, die auf das Haus von Ministerpräsident Ismail Hanija im Flüchtlingslager Schati eine Granate abschossen. Weder der Regierungschef, der im Gebäude weilte, noch seine Familienangehörigen kamen zu Schaden. Hamas-Kämpfer nahmen dafür im Gegenzug die Kanzlei des abwesenden Präsidenten Abbas unter Beschuss.

Hamas-Kämpfer eroberten im Laufe des Tages nach heftigen Schusswechseln in Chan Junis ein drittes Krankenhaus im Gazastreifen. Die Zahl der Toten liegt mittlerweile bei mehr als zwei Dutzend.

Hamas und Fatah lehnten in der Zwischenzeit eine Aufforderung von Generalmajor Burhan Hamad, Chef der ägyptischen Vermittlerdelegation, zu Verhandlungen über einen neuen, anhaltenden Waffenstillstand ab. Hamad plädierte dafür, dass beide Seiten sich „auf die totale Einstellung dieser beschämenden Kämpfe einigen“. Andernfalls drohte er mit einem Appell an die Zivilbevölkerung, zu Tausenden gegen die Kämpfe und die beiden Bewegungen auf den Straßen zu demonstrieren.

In Gaza-Stadt, den meisten anderen Städten und vielen Flüchtlingslagern im Gazastreifen ist das öffentliche Leben total zum Erliegen gekommen. Alle Geschäfte sind geschlossen, nur einzelne Lebensmittelläden sind noch offen, die Märkte und die Straßen sind praktisch menschenleer. Die Abschlussprüfungen in den Schulen wurden unterbrochen. Unter Lebensgefahr versuchen Väter und Jugendliche Nahrungsmittel für ihre Familien zu kaufen oder aber zu einem der immer zahlreicher werdenden Kondolenz-Zelte zu gelangen.

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