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Politik: Pamuks Absage bringt die Türkei ins Zwielicht

Von Nationalisten bedrohter Nobelpreisträger reist nicht nach Berlin – Autoren zeigen Verständnis

Berlin/Istanbul - Die Absage der Lesereise des türkischen Literaturnobelpreisträgers Orhan Pamuk ist in Deutschland mit Enttäuschung, aber auch mit Verständnis aufgenommen worden. Pamuk sollte am Freitag die Ehrendoktorwürde der FU Berlin erhalten, die Ehrung soll nachgeholt werden. Die Absage des Schriftstellers, der ein Freund des vor wenigen Tagen in Istanbul ermordeten armenischstämmigen Journalisten Hrant Dink war, verschärft die Debatte über die Meinungsfreiheit in der Türkei.

Pamuks deutscher Verleger Michael Krüger vom Hanser-Verlag sagte, Pamuk habe von einer „psychischen Blockade“ gesprochen, die es ihm unmöglich mache, seine Termine in Deutschland wahrzunehmen. Türkische Schriftstellerkollegen betonten vor allem die symbolische Wirkung der Absage. „Damit hat er die Diskussion mehr angeheizt, als wenn er gekommen wäre“, sagte Zafer Senocak dem Tagesspiegel. Der in Berlin lebende türkische Autor sagte: „Die türkische Regierung muss dringend handeln, weil der Fall zeigt, dass sich die Bürger in diesem Land nicht mehr frei bewegen können, aber sie ist zu schwach.“

Der Chef der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, gab zu, es gebe in Deutschland Potenzial, das Pamuk gefährlich werden könne. Zugleich erneuerte er seine Einladung an Pamuk. Der Sprecher des Zentralrats der Armenier in Deutschland, Toros Sarian, nannte die Absage Pamuks sehr verständlich: „Es ist ja bekannt, dass die türkischen Faschisten in Deutschland sehr gut organisiert sind und hier viele Anhänger haben.“ Ankara dämme die „zunehmende rassistische Hetze“ nicht ein. Pamuk hatte sich wie auch Dink dafür eingesetzt, dass die Türkei den Völkermord an den Armeniern während des Ersten Weltkriegs anerkennt. In der Türkei wird er schon lange mit Drohungen von Nationalisten überschüttet. Seit der Ermordung von Dink im Januar steht Pamuk in der Türkei unter Polizeischutz.

Möglicherweise wollte Pamuk vermeiden, dass er in Deutschland zu kontroversen Themen befragt wird und dadurch in der Türkei wieder ins Rampenlicht gerät. Eine unmittelbare Attentatsgefahr für Pamuk in Deutschland wird von deutschen Sicherheitsbehörden verneint. Bei der Berliner Polizei gab es keine Hinweise auf eine „irgendwie geartete Gefährdung“ des Autors. Ein hochrangiger Sicherheitsexperte sagte, es gebe keine konkreten Hinweise auf eine Bedrohung durch in Deutschland lebende nationalistische Türken. Angesichts der Drohungen, denen Pamuk in seiner Heimat ausgesetzt ist, könnte man höchstens vermuten, Attentäter würden aus der Türkei Pamuk nachreisen. Der Verfassungsschutz geht von etwas mehr als 7000 rechtsextremen „Grauen Wölfen“ in Deutschland aus.

Der Chef des EU-Ausschusses im Bundestag, Matthias Wissmann (CDU), sagte, die Absage verdeutliche „die nach wie vor große Diskrepanz in der türkischen Gesellschaft zwischen europäisch gesinnten Erneuerern einerseits und rückwärts gewandten Fundamentalisten andererseits“. Es wäre „wünschenswert, wenn die Verantwortlichen in der Türkei entschiedener als bisher eine Bresche für Toleranz und Meinungsfreiheit, für Vielfalt und Respekt vor Minderheit schlagen würden“. Der SPD-Europapolitiker Axel Schäfer sagte mit Blick auf die Verhandlungen um Ankaras Beitritt zur Europäischen Union: „Wir haben hier einen etwas längeren und schwierigeren Weg vor uns, als es zuletzt bei den EU-Beitritten Rumäniens und Bulgariens der Fall gewesen ist.“ ame/ctr/fan/güs/m.m./wvb.

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