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Der Mensch und seine individuellen Lebensumstände sollen im Zentrum der Kirchenarbeit stehen, fordert Papst Franziskus.

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Papst Franziskus: Katholischer Frühling?

Der Papst warnt in einem Interview mit Zeitschriften des Jesuiten-Ordens vor der Überhöhung der Kirche und wirbt für mehr Toleranz - auch gegenüber Homosexuellen und Geschiedenen. Damit setzt der Pontifex Zeichen, auf die viele Katholiken gewartet haben. Doch folgen jetzt auch Taten?

Ein Ruck geht durch die katholische Kirche: Überall auf der Welt weinen Menschen vor Rührung, fühlen sich befreit, preisen in Internetforen die „mutigen“ und „weisen“ Worte des Papstes. Anlass ist ein erstes langes Interview, das Papst Franziskus Zeitschriften des Jesuiten-Ordens gegeben hat. Sechs Stunden lang stand er Ende August unter anderem dem in München erscheinenden Magazin „Stimmen der Zeit“ Rede und Antwort.

Auch Alois Glück ist begeistert: „Franziskus ist der Wegbereiter einer angstfreien Kommunikation. Das kann man gar nicht hoch genug schätzen“, sagte der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) dem Tagesspiegel. Der neue Papst vertrete „eine Theologie, die konsequent den Menschen zugewandt ist.“

Schon der Anfang des Interviews ist sensationell: Der Papst stellt sich als „Sünder“ vor. Aus dieser demütigen Haltung heraus warnt er vor der Überhöhung der Institution Kirche und der vatikanischen Behörden und wehrt sich gegen das offenbar weit verbreitete Denunziantentum: Es sei „eindrucksvoll“ zu sehen, wie viele „Anklagen wegen Mangel an Rechtgläubigkeit“ in Rom eintreffen würden. Solchen Verdächtigungen sollte in den Heimatbistümern nachgegangen werden, sagt Franziskus. Die vatikanischen Behörden seien keine „Zensurstellen“.

Papst Franziskus: "Wir müssen ein neues Gleichgewicht finden"

Der neue Papst unterscheidet zwischen Wichtigem und Zweitwichtigem, was unter seinem Vorgänger nicht mehr zu erkennen war. „Die Kirche hat sich manchmal in kleine Dinge einschließen lassen, in kleine Vorschriften“, sagt Franziskus. Auch das viele Reden über die Sexualmoral gehe am Kern des Glaubens vorbei. „Wir müssen ein neues Gleichgewicht finden, sonst fällt auch das moralische Gebäude der Kirche wie ein Kartenhaus zusammen, droht, seine Frische und den Geschmack des Evangeliums zu verlieren.“

Die Menschen stehen im Mittelpunkt

Für Franziskus stehen die Menschen und ihre jeweiligen Lebensumstände im Mittelpunkt. Die Kirche dürfe ihnen kein allgemeingültiges Gesetz überstülpen, sondern müsse jedem Einzelnen mit Barmherzigkeit und Liebe begegnen. Das gelte auch für diejenigen, die von der katholischen Lehre verurteilt werden, für Homosexuelle, für Frauen, die abgetrieben haben, oder für wiederverheiratete Geschiedene. „Es darf keine spirituelle Einmischung in das persönliche Leben geben“, stellt Franziskus klar. Auf die Frage, ob er Homosexualität billige, antwortet er mit einer Gegenfrage: „Wenn Gott eine homosexuelle Person sieht, schaut er die Tatsache mit Liebe an oder verurteilt er sie und weist sie zurück?“ Man müsse immer die Person anschauen. „Wir treten hier in das Geheimnis der Person ein. Gott begleitet die Menschen durch das Leben, und wir müssen sie begleiten und ausgehen von ihrer Situation. Wir müssen sie mit Barmherzigkeit begleiten.“

Papst Franziskus ist kein revolutionär.

„Franziskus ist kein Revolutionär, aber er setzt die Prioritäten anders“, sagt ZdK-Präsident Alois Glück. An erster Stelle stehe bei ihm die Liebe zu den Menschen und nicht das Gesetz. Dadurch setze Franziskus Kräfte der Erneuerung frei und schaffe Freiheitsräume. Das sei ein großer Unterschied zu Papst Benedikt XVI., seinem Vorgänger. Glück hat Hoffnung, dass mit Papst Franziskus eine „Vielfalt von Glaubenswegen und Frömmigkeitsstilen möglich sein wird“, ohne dass bestimmte Wege als falsch oder Verstoß gegen die Rechtgläubigkeit diskriminiert werden.

Es wird keine schnellen Veränderungen geben

Die neue Sprache und der neue Stil dieses Papstes sollten allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch mit Franziskus so schnell keine Veränderungen in der katholischen Lehre geben wird. Immer wieder stellt er klar, dass er ein „Sohn der Kirche“ ist. Das erinnert David Berger an das alte Motto der Jesuiten: „Fortiter in re, suaviter in modo“ („Hart in der Sache, weich in der Methode“). Berger ist katholischer Theologe. Vor drei Jahren gestand er seine Homosexualität öffentlich ein und löste damit einen Skandal aus. Der Jubel über den neuen, menschlichen Ton dieses Papstes sei dennoch gerechtfertigt, sagt Berger.

Besonders für katholisch geprägte Länder etwa in Afrika, wo der Hass auf Schwule groß ist, sei das ein „wichtiges Signal“. Doch er selbst fühle sich nach wie vor diskriminiert. „An der Lehre der Kirche, wonach Homosexualität Sünde ist und homosexuelle Menschen nur dann akzeptiert werden, wenn sie ihre Sexualität nicht ausübten oder es hinterher bereuen, hat sich nichts geändert“, sagt Berger. So sei es auch bei den anderen Themen, etwa, wenn es um die Frauen gehe.

Die Frauen müssten mehr wertgeschätzt werden in der katholischen Kirche, fordert Franziskus. „Maria steht über den Bischöfen“, sagt er. Frauen müssten präsenter sein in der Kirche und da zähle nicht allein die Funktion, sondern auch die „Würde“. Doch ohne Funktion gibt es keine Macht – das blendet der Papst aus. „Da muss noch mehr kommen“, sagen selbst Jesuiten.

Den stärksten, auch theologisch neuen Akzent setzt Franziskus, wo es um Wahrheit geht. Anders als Papst Benedikt, für den die Wahrheit absolut und statisch ist, versteht Franziskus Wahrheit als einen Prozess, als etwas Dynamisches, das in Beziehung entsteht. Wahrheit schließt für ihn auch Zweifel und Unsicherheiten ein. So verwundert es auch nicht, dass er für einen Führungsstil wirbt, der Beratung nicht fürchtet, sondern Entscheidungen gemeinschaftlich trifft. Allerdings, gibt Franziskus zu, habe er früher als Provinzial in Argentinien noch ganz anders gedacht und autoritär geherrscht. Das bereue er heute.

Zum Interview des Papstes mit dem Magazin „Stimmen der Zeit“ gelangen Sie hier.

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