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Kurzsitzung: Nur die islamistischen Parteien kamen am Dienstag ins aufgelöste Kairoer Parlament. Voll wurde es dennoch; sie stellen die Mehrheit. Foto: rtr

© REUTERS

Parlamentsauflösung: Machtkampf in Ägypten spitzt sich zu

In Kairo wird um die Macht gerungen – aber auch darum, wie neue demokratische Regeln funktionieren. Bei seinem Besuch in der ägyptischen Hauptstadt lud Außenminister Westerwelle den neuen Präsidenten Mursi nach Deutschland ein, stellte aber auch klare Forderungen.

Nach zehn Minuten war alles vorbei. Parlamentspräsident Saad al Katatni hatte kurzerhand die für 14 Uhr anberaumte Sitzung des Parlaments auf 10 Uhr vorgezogen. Die meisten säkularen Parlamentarier blieben fern, Muslimbrüder und Salafisten waren praktisch unter sich. Draußen vor dem Gebäude lief der Verkehr normal, nur ein paar verlorene Grüppchen demonstrierten lautstark. „Wir stellen das Urteil des Verfassungsgerichts nicht infrage“, erklärte Katatni. „Aber wir wollen Mechanismen suchen, wie das Urteil in die Praxis umgesetzt werden kann.“ Dann schlug er vor, sich zu dieser Frage beim Revisionsgericht Ägyptens Rat zu holen und das Plenum so lange zu vertagen. Per Akklamation stimmten die Volksvertreter zu und eilten aus dem halbrunden Saal.

Die große Konfrontation am Nil ist damit zunächst einmal vertagt. Stattdessen sind nun sämtliche Obersten Gerichte Ägyptens damit befasst, das heillos verwickelte Knäuel um die Auflösung des Parlaments und das Gegendekret von Präsident Mohammed Mursi zu entwirren. Die machtpolitischen Kontrahenten, Armee und Muslimbruderschaft, beließen es dagegen zunächst einmal bei unterschwellig drohenden Erklärungen. Die Herrschaft des Rechts und die Integrität des Staates müssten respektiert werden, formulierte der Oberste Militärrat und strich demonstrativ „die Wichtigkeit der Verfassung angesichts der jüngsten Entwicklungen“ heraus. Das Präsidialamt wiederum hielt dagegen, Mursis Dekret widerspreche weder dem Urteil des Verfassungsgerichts noch verstoße es dagegen. Es setze lediglich einen neuen Zeitrahmen für dessen Umsetzung und trage damit „den höheren Interessen des Staates und dem Willen des Volkes Rechnung“. Friedensnobelpreisträger Mohammed al Baradei rief Militärs und Parteien auf, eine politische Lösung zu suchen.

Das Verfassungsgericht hatte am 14. Juni das Wahlrecht und damit ein Drittel der Mandate des Parlaments für nichtig erklärt. Ihre Entscheidungen seien bindend und könnten nicht mehr angefochten werden, unterstrichen die Obersten Richter am Montag erneut an die Adresse des Präsidenten. Das Oberste Verwaltungsgericht dagegen soll klären, ob die vom Militärrat noch am Tag der Stichwahl verfügte Auflösung des Parlaments rechtens ist. Ursprünglich wollte dieses Gericht dazu am Montag urteilen, angesichts der jüngsten Turbulenzen jedoch hüllt es sich nach wie vor in Schweigen. Das Parlament wiederum schaltete als drittes nun auch das Revisionsgericht ein. Es soll begutachten, welches der Obersten Gerichte Ägyptens grundsätzlich befugt ist, Mandate von Abgeordneten für ungültig zu erklären.

Hillary Clinton kommt Mitte Juli nach Kairo

Mit ihrem Schritt berufen sich die Parlamentarier auf Artikel 40 der Verfassungsdeklaration, die vom Volk im März 2011 per Referendum in Kraft gesetzt worden war. Danach muss das Kassationsgericht 30 Tage nach Verkündung der Wahlergebnisse formal feststellen, dass die Abgeordneten rechtmäßig gewählt und damit gültige Mitglieder des Parlaments sind – so geschehen im Januar 2012. Ägyptens Kassationsgericht hat die oberste Wächterfunktion über die Judikative, soll eine kohärente Auslegung des Rechts überwachen und hatte damals keine Einwände. Anders fünf Monate später das Verfassungsgericht, welches 166 Abgeordneten ihr Mandat entzog. Die Parlamentarier wollen daher klären lassen, ob ihre rechtliche Akkreditierung durch das Kassationsgericht nachträglich, wie geschehen, vom Verfassungsgericht annulliert werden kann.

International löst der Machtkampf in Ägypten Besorgnis aus. Außenminister Guido Westerwelle, der am Dienstag als erstes europäisches Regierungsmitglied mit Mursi zusammentraf, rief Ägypten auf, den Demokratisierungsprozess fortzusetzen. Er gehe davon aus, dass sich der neue Präsident für Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Pluralität einsetzen werde. Westerwelle lud Mursi im Namen von Bundeskanzlerin Angela Merkel nach Deutschland ein. Die Einladung sei angenommen worden, sagte er. Der FDP-Politiker zeigte sich zuversichtlich, dass eine Lösung des Konflikts möglich ist. Mursi habe erneut klargemacht, dass er nicht die Entscheidung des Gerichts infrage stelle, sondern dass es ihm um die Umsetzung des Urteils gehe.

US-Außenministerin Hillary Clinton forderte beide Seiten auf, miteinander zu verhandeln, damit die Machtübergabe in zivile Hände nicht gefährdet werde. Das ägyptische Volk solle bekommen, „wofür es demonstriert und bei den Wahlen votiert hat – ein vollständig gewähltes Parlament, welches die Entscheidungen für das Land trifft“, sagte sie. Clinton wird am 14. Juli in Kairo zu einem ersten direkten Gespräch mit Präsident Mursi erwartet. US-Präsident Barack Obama will den neuen ägyptischen Staatschef Mitte September am Rande der UN-Vollversammlung in New York treffen.

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