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Der Bundestag soll lebendiger debattieren, fordern die Opposition und die SPD.

© John MacDougall/AFP

Opposition und SPD fordern Parlamentsreform: Bundestag soll lebendiger und transparenter werden

Öffentliche Ausschusssitzungen, eine neue Form der Regierungsbefragung - die Opposition und auch die SPD wollen eine Parlamentsreform. Nur die Union hat keine Eile.

Vor einigen Monaten war die SPD mal ziemlich frech im Bundestag. Von nun an Opposition, lautete das Motto nach dem Wahldebakel vom 24. September. Und wie man Opposition zu machen gedenkt, das zeigte Carsten Schneider gleich in der ersten Sitzung des Parlaments nach der Wahl. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion forderte, salopp gesagt, mehr Leben in der Bude.

Dass die Debatten keineswegs immer ein hohes Niveau erreichen, dass zu viel geredet wird, dass oft zu schlecht geredet wird, die Klage reicht weit zurück – der frühere Bundestagspräsident Norbert Lammert machte ein Markenzeichen daraus, dies gelegentlich mit der ihm eigenen Süffisanz anzumerken. Geändert hat sich in seiner Amtszeit wenig. Ob es unter Wolfgang Schäubles Präsidentschaft nun besser wird? „Wir sind uns jedenfalls alle einig darüber, dass die parlamentarischen Debatten in der letzten Legislaturperiode hätten besser und attraktiver sein können“, sagte er vor einigen Wochen im Tagesspiegel-Interview.

Der Reformeifer von Schneider und seinen Genossen richtete sich im Oktober vor allem auf eine parlamentarische Debattenform, die in Großbritannien zum Medienereignis geworden ist (mit mittlerweile fast schon zu viel Showcharakter), in Deutschland aber eine müde Nummer blieb – die direkte Befragung der Regierung und vor allem der Regierungschefin. Die findet immer mittwochs zum Auftakt der dreitägigen Beratungen des Bundestags in den Sitzungswochen statt, gefolgt von der Fragestunde.

Ein öffentlicher Hingucker ist sie nicht, die Unzufriedenheit unter den Parlamentariern ist groß, und das nicht erst seit Oktober. Zu langweilig, zu sehr von der Regierung geprägt, zu wenig spontan, nicht öffentlichkeitswirksam und vor allem mit zu geringer Beteiligung der Regierung selbst – im Grunde ist man sich fraktionsübergreifend einig. Aber der CDU/CSU-Fraktion fehlt der nötige Mut, das auch nach oben zu kommunizieren.

Oben ist in der Union das Kanzleramt. Und Angela Merkel will offenbar nicht häufiger und direkter befragt werden (während Theresa May, die auch keine begnadete Rednerin ist, sich in der „Question Time“ in jeder Sitzungswoche mittwochs eine halbe Stunde zu stellen hat).

Koalition plant Orientierungsdebatten

Das schlechte Gewissen ist freilich in einem Satz im Koalitionsvertrag zusammengefasst, der tief blicken lässt: „Wir wollen den Bundestag wieder zum zentralen Ort der gesellschaftlichen und politischen Debatte machen“, heißt es da. Beschlossen wurde, in schönster Merkel-Diktion, dass die Fraktionen „zweimal im Jahr zu internationalen und nationalen gesellschaftlichen Themen im Plenum Orientierungsdebatten führen“. Und: „Wir wollen, dass die Bundeskanzlerin dreimal jährlich im Deutschen Bundestag befragt werden kann und die Regierungsbefragung neu strukturiert wird.“

Schneider nimmt für die SPD in Anspruch, sie habe damit „einen Durchbruch erreicht und die Blockadehaltung bei der Union aufgebrochen“. Wobei die Zahl der Pflichtauftritte der Kanzlerin im Zermürbungsgeschäft der Koalitionsverhandlungen gegenüber der ohnehin schon mageren SPD-Forderung, es mögen vier sein, reduziert wurde. Mehr wollte die Union ihrer Regierungschefin nicht zumuten. Schneiders Ziel ist es, nun möglichst schnell zu einer Einigung mit den anderen Fraktionen zu kommen.

Britta Haßelmann hört das wohl, doch ihr fehlt noch der Glaube. Die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen sagt: „Es kann nicht bei der Absichtserklärung der Koalition bleiben, wir wollen, dass sich jetzt zeitnah auch etwas tut. Die Sache schreit nach Veränderung, es ist ein völlig anachronistischer Zustand, dass eine Regierung dem Parlament die Themen für die Regierungsbefragung vorgibt.“ Denn so ist es bisher Praxis in der Regierungsbefragung, in der das einleitende Hauptthema von der Exekutive gesetzt wird. Mit diesem „Mangel an Souveränität im Parlament“ mag Haßelmann sich nicht abfinden (wie übrigens auch die SPD nicht, die das aber nicht im Koalitionsvertrag verankern konnte).

Zettel verlesende Staatssekretäre

„Es darf auch nicht mehr so sein, dass in der Fragestunde nur Staatssekretäre erscheinen und Zettel verlesen“, sagt Haßelmann. Immerhin ist mittlerweile, nach einer zornigen Intervention Lammerts, in der Regierungsbefragung mindestens ein Minister zugegen, während zuvor bisweilen tatsächlich nur Parlamentarische Staatssekretäre auf der Regierungsbank saßen, die sich im Zweifelsfall bei Nachfragen auf ihren minderen Status, der keine Prokura vorsieht, zurückziehen können. „Eine Änderung der Geschäftsordnung wäre ein Beitrag für eine lebendigere Debattenkultur“, meint Haßelmann. „Wir brauchen jetzt einen verbindlichen Fahrplan.“

Auch die Linke will eine zügige Reform. „Die Bundeskanzlerin einmal im Quartal zu ihrer Politik befragen zu können, ist keine Zumutung, sondern sollte eine Selbstverständlichkeit sein“, sagt Jan Korte, der Parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion. „Seit der letzten Bundestagswahl ist nichts mehr wie gehabt. Das sollten alle demokratischen Parteien schnellstmöglich kapieren und reagieren. Politik und Demokratie müssen erfahrbarer, spannender und attraktiver werden.“

Grüne und Linke haben eigene Anträge eingebracht, die sich zum Teil mit dem Vorstoß der SPD vom Herbst decken. Die Regierungsbefragung soll demnach deutlich länger dauern. In ihr können die Abgeordneten Fragen stellen zu den Themen vorangehender Kabinettssitzungen, also immer wieder auch zu brandaktuellen Themen – weshalb die drei Fraktionen fordern, dass der Bundestag die Tagesordnungen der Ministerrunde offiziell vorab bekommen müsse. Die Befragung soll zeitlich ausgedehnt werden: SPD und Linke möchten mindestens 60 Minuten statt der bisherigen Mindestdauer von einer halben Stunde, die Grünen wollen sogar auf 75 Minuten gehen.

Dafür soll die anschließende Fragestunde (tatsächlich bisher drei Stunden) deutlich kürzer ausfallen – in ihr werden schriftliche Anfragen von Abgeordneten in aller Regel durch die Staatssekretäre beantwortet, eine häufig etwas dröge Veranstaltung. Zudem soll der Bundestag in jeder Befragung einen Bericht der Regierung verlangen können zu Themen, welche die Fraktionen reihum bestimmen können.

Alle Minister sollen da sein

Das Kabinett soll auch, so wünschen es Linke und Grüne, geschlossen anwesend sein (und zwar die Kabinettsmitglieder, nicht allein die Parlamentarischen Staatssekretäre als Stellvertreter), weil nur so die „unmittelbare mündliche Beantwortung der Fragen“ gewährleistet werden kann, wie es im Grünen-Antrag heißt. Gegen juristische Einwendungen dagegen hat sich die Fraktion durch ein Gutachten des renommierten Konstanzer Rechtsprofessors Christoph Schönberger gewappnet, wonach schon jetzt die Teilnahme der gesamten Regierung verpflichtend ist.

Die FDP unterstützt den Ansatz. „Wir sind auch der Meinung, dass die Regierungsbefragung einen höheren Stellenwert erhalten muss“, sagt der Parlamentarische Geschäftsführer Marco Buschmann. Ihm geht es ebenfalls um mehr als nur eine quantitative Ausweitung Parlaments. Auch Buschmann hält es für angebracht, „dass die Regierungsmitglieder persönlich vor dem Parlament Rechenschaft ablegen müssen und sich nicht mehr standardmäßig durch Parlamentarische Staatssekretäre vertreten lassen dürfen, die dann wiederum bloß leblos formulierte Textbausteine aus Sprechzetteln der Ministerialbürokratie vortragen“. Die AfD ist wohl ebenfalls für eine Reform.

Ob die FDP auch bei einem Reformprojekt dabei ist, das sich auf die Praxis der Ausschusssitzungen richtet und das Parlamentsgeschäft nachhaltiger verändern könnte als die Reform der Regierungsbefragung, ist unklar. Linke und Grüne wollen nämlich durchsetzen, dass diese Parlamentsgremien grundsätzlich öffentlich tagen – und der Ausschluss der Öffentlichkeit extra beschlossen werden soll. Derzeit ist es umgekehrt: Ausschüsse tagen grundsätzlich hinter verschlossener Tür, ob Presse und interessierte Bürger dabei sein können, wird von Fall zu Fall beschlossen. Häufig ist das aber nur bei Expertenanhörungen zu Gesetzen der Fall.

Offenheit als Vertrauensmaßnahme

Zwei sich ähnelnde Anträge der beiden Fraktionen zur Änderung der Geschäftsordnung des Bundestags liegen dazu vor. Korte begründet den Vorstoß mit der Stärkung des Vertrauens der Bürger in die Politik. „Dieses Vertrauen gibt es aber nur, wenn es Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Entscheidungen gibt“, sagt der Linken-Politiker. „Die Öffentlichkeit der Beratungen muss deshalb die Regel und die Geheimhaltung zur absoluten und wohlbegründeten Ausnahme werden.“

Die Grüne Haßelmann meint: „Eine Umkehr des Grundsatzes der Nicht- Öffentlichkeit würde dazu führen, dass politische Debatten und Standpunkte besser nachvollziehbar wären.“ Beide Fraktionen wollen Livestream-Übertragungen im Internet ermöglichen. Haßelmann hofft auf Bewegung in den Koalitionsfraktionen. Die haben das Thema jedoch nicht auf der Agenda.

Buschmann sagt, die Idee der Ausschussöffentlichkeit habe auch in der FDP-Fraktion Anhänger. „Allerdings ist zu bedenken, dass die Öffentlichkeit den Charakter der Debatte verändert. Der Ausschuss wird sich dann in Richtung einer kleinen Parlamentsdebatte entwickeln“, fügt er hinzu. Er befürchtet, dass die Mehrheitsfraktionen dann auf ähnliche Regelungen wie im Plenum bestünden, etwa die Begrenzung der Zahl der Beiträge und ihrer Länge nach der Größe der Fraktionen. „Das wäre dem Ziel abträglich, dass im Ausschuss eigentlich ein Fachgespräch stattfinden soll.“

Sein Fraktionskollege Stefan Ruppert befürchtet „frühzeitige Verfestigungen“ und „ritualisierte Debatten“, wo doch die Ausschussarbeit auch dem Abwägen und Annähern von Positionen dienen soll. Buschmann unterstützt allerdings den Vorschlag von Linken und Grünen, die Ergebnisprotokolle der Ausschusssitzungen zu veröffentlichen – um so „mehr Transparenz in der Ausschussarbeit herzustellen“.

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