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Politik: Parlamentswahlen in Serbien: Sieg der Milosevic-Gegner gilt als sicher

Serbiens unvollendete Revolution wird an diesem Samstag fortgesetzt. Die Wende wird freilich weniger spektakulär - ohne Massenkundgebungen und ohne Parlamentssturm - an der Wahlurne abgeschlossen.

Serbiens unvollendete Revolution wird an diesem Samstag fortgesetzt. Die Wende wird freilich weniger spektakulär - ohne Massenkundgebungen und ohne Parlamentssturm - an der Wahlurne abgeschlossen. Der Wahlkampf ist lau und ohne Emotionen über die Bühne gegangen, denn Serbiens Demokratische Opposition (DOS) geht siegessicher in diese Runde. Auch die letzten Umfragen bestätigen den Vorsprung von DOS, einem Bündnis aus 18 Parteien. Die DOS kann mit bis zu 70 Prozent der Stimmen rechnen. Die ehemaligen Regimeparteien dürften entsprechend marginalisiert werden. Die Sozialisten (SPS) des gestürzten Staatschefs Slobodan Milosevic können laut Umfragen höchstens zehn Prozent erreichen. Nicht besser wird es den Radikalen (SRS) von Vojislav Seselj gehen, dem ultranationalistischen Juniorpartner der SPS von einst. Praktisch aus der politischen Landschaft verschwinden dürfte die Serbische Erneuerungsbewegung (SPO) von Vuk Draskovic, der abwechselnd mit dem Milosevic-Regime kooperierte, um dann wieder den feurigen Oppositionsführer zu spielen. Ebenfalls untergehen wird voraussichtlich die Jugoslawische Linke (JUL) von Milosevics Frau Mira Markovic. Die neokommunistische Partei konnte sich nur dank der politischen Ehe mit den Sozialisten bereichern und großen Einfluss ausüben.

Der ziemlich sichere Sieg hat bislang verhindert, dass das sehr heterogene Bündnis der demokratischen Kräfte noch vor der Wahl auseinander bricht. Die Differenzen innerhalb der Parteien-Koalition sind seit dem Sieg des Oppositionskandidaten Vojislav Kostunica bei den Präsidentenwahlen und dem Aufstand gegen den Wahlbetrug Milosevics aber deutlich zutage getreten. Der Zerfall des Bündnisses dürfte nach der Wahl nur eine Frage der Zeit sein. Es werde aber ein ganz natürlicher Prozess sein, relativiert man in Belgrad, denn Serbien erlebe mit zehnjähriger Verspätung die Geburtsstunde der Demokratie; und DOS sei der "Embryo" der künftigen Parteienlandschaft. Der Kommunismus hatte sich in Serbien, anders als im übrigen Ost- und Südosteuropa, über das Wendejahr 1989 hinaus retten können. Der kommunistische Apparatschik Milosevic tarnte sich als Nationalist und konnte so Serbiens Wende verzögern.

Die Hauptprotagonisten in dem künftigen Konflikt werden Zoran Djindjic und Vojislav Kostunica sein. Der Milosevic-Nachfolger schwebt seit dem Amtsantritt auf einer Welle der Sympathie und führt mit großem Abstand die Rangliste der populärsten Politiker an. Dementsprechend forderte die Demokratische Partei Serbiens (DSS) von Kostunica mehr Einfluss in dem DOS-Bündnis. Das neue Kräfteverhältnis innerhalb von DOS drückt sich auch in der Verteilung der Listenplätze für die Wahlen aus: Die einstige Splitterpartei DSS konnte für die gemeinsame Liste genauso viele Kandidaten nominieren wie die Demokratische Partei (DS) von Djindjic. Die DS verfügt zwar über die beste Parteiorganisation innerhalb von DOS. DS-Chef Djindjic ist aber als kühler Machtmensch mit einem Hang zum Opportunismus bei der Bevölkerung nicht besonders beliebt. Djindjic konnte sich immerhin den Posten des künftigen Regierungschefs sichern. Und er hat bereits ein Programm vorbereitet und sein Kabinett zusammengestellt. Dort sollen die wichtigsten DOS-Parteiführer vertreten sein.

Heikel war die Auswahl des künftigen Innenministers. Dieser wird nach Djindjic der zweitstärkste Mann im Kabinett sein, da er unter anderem über den mächtigen Polizeiapparat gebietet. Im Innenministerium schlummern zudem brisante Dossiers mit möglicherweise kompromittierenden Informationen, welche das Milosevic-Regime einst über die ehemaligen Oppositionsführer gesammelt hat. Kostunica konnte sich im Streit mit Djindjic mit einem Kandidaten seines Vertrauens durchsetzen. Im Konflikt zwischen den beiden unterschiedlichen Gegenspielern geht es weniger um ideologische als um persönliche Differenzen. Djindjic ist der Prototyp des Politikers ohne Überzeugung. Im Ausland gilt der sprachgewandte Djindjic als moderat und "pro-westlich". Die bösartigeren unter den Kritikern zu Hause charakterisieren das Organisationstalent Djindjics mit einem Hang zum autoritären Auftritt als eine "Milosevic-Kopie im Kleinformat". Der ungeduldige Djindjic drängt seit dem Sturz von Milosevic auf mehr Tempo. Er wollte nach dem Aufstand in Belgrad den "revolutionären Schwung" nutzen, um möglichst viele Bastionen der Sozialisten einzunehmen. Der Legalist Kostunica betätigte sich hingegen als Bremser.

Der künftige Premier Djindjic könnte Kostunica schon bald gefährlich werden. Die Verfassung lässt dem Präsident des Bundesstaates aus Serbien und Montenegro nur wenig Kompetenzen. Djindjic, so die Befürchtung im Kostunica-Lager, könnte mit dem ohnehin abtrünnigen Montenegro die Auflösung des Bundesstaates vereinbaren. Montenegro hätte dann die Unabhängigkeit gewonnen und Djindjic wäre seinen Rivalen Kostunica los. Dieser könnte so über Nacht zum Präsidenten ohne Staat werden.

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