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An der Basis. Claudia Roth und Cem Özdemir im März in Stuttgart. Nicht alle in der Partei wollen dem Atomausstieg in seiner jetzigen Form zustimmen. Foto: Daniel Maurer/dapd

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Parteidebatte: Wie grün ist der Ausstieg?

Die Grünen haben schon immer gegen Kernkraft gekämpft – einfach zustimmen können sie dennoch nicht. Das Führungsquartett muss auf den Sonderparteitag warten.

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Berlin - Für die einen winkt ein politischer Sieg von historischen Ausmaßen, die anderen wittern Verrat an den eigenen Prinzipien. Der Atomausstiegsbeschluss der schwarz-gelben Koalition stellt die Grünen vor eine Richtungsentscheidung: Sollen sie für die Pläne der Regierung im Bundestag die Hand heben und der Energiewende damit ein grünes Gütesiegel verleihen? Oder müssen sie schon deshalb dagegen stimmen, weil Angela Merkels Ausstieg einige Jahre länger dauert als das eigene Szenario?

In zweieinhalb Wochen wird ein Sonderparteitag darüber entscheiden, welchen Weg die Ökopartei einschlägt. Bis dahin muss das grüne Führungsquartett – die Fraktionschefs Renate Künast und Jürgen Trittin sowie die Parteivorsitzenden Claudia Roth und Cem Özdemir – für ein Mindestmaß an Geschlossenheit sorgen. Sollte das Delegiertentreffen in einer für die Grünen existenziellen Frage nur mit knapper Mehrheit entscheiden, wäre das ein schwerer Rückschlag für die siegesverwöhnte Partei. Viele Wähler würden abgeschreckt, wenn sich herausstellte, dass die Grünen in Wirklichkeit aus zwei Parteien bestehen – aus Pragmatikern auf der einen und kompromisslosen Idealisten auf der anderen Seite. Der alte Fundi-Realo-Streit – er wäre auferstanden.

Es wird keine leichte Aufgabe für Trittin und seine Mitstreiter, die unterschiedlichen Positionen zusammenzubringen. Das wurde schon am Montag deutlich, als die Bundestagsfraktion um eine gemeinsame Haltung rang. Eindringlich warnten Realpolitiker davor, sich dem breiten Ausstiegskonsens zu verweigern und damit ins politische Abseits zu katapultieren. Dies gelte um so mehr, als dass alle drei Länder mit grüner Regierungsbeteiligung schon ihre Zustimmung signalisiert hätten. Die Abgeordnete Marieluise Beck verglich in der Fraktion ein mögliches Nein sogar mit einem der größten Fehler in der Parteigeschichte, wie sich Teilnehmer erinnern. Im Einheitsjahr 1990 hatte die Ökopartei den Slogan plakatiert: „Alle reden von der Einheit, nur wir reden vom Wetter“. Prompt verfehlte sie im Westen die Fünf-Prozent-Marke und war nur durch die Abgeordneten von Bündnis 90 im Parlament vertreten.

Die Diskussion vom Montag in der Fraktion war nur ein Vorgeschmack auf die Auseinandersetzung, die in den Reihen der Grünen bis zum Sonderparteitag geführt werden wird. „Wir sollten das Ausstiegskonzept unterstützen und konstruktive Veränderungen vorschlagen“, sagte die Abgeordnete Christine Scheel. Schließlich dürften die Grünen die Atomwende der schwarz-gelben Koalition als eigenen Erfolg verbuchen. Am Umstand, dass der Ausstieg laut Regierung fünf Jahre länger dauern werde als nach grüner Beschlusslage, dürfe ein Ja der Ökopartei nicht scheitern. „Es gibt einen gesellschaftlichen Konsens. Da ist es nicht mehr angebracht, auf 2017 zu bestehen“, sagte die Realpolitikerin

Der klimapolitische Sprecher Hermann Ott bekräftigte dagegen sein Nein. „In der jetzigen Form dürfen wir dem Atomausstieg auf keinen Fall zustimmen“, sagte er dem Tagesspiegel. Ott appellierte an die Grünen-Führung, den Delegierten des Sonderparteitags keine Vorgaben zu machen. „Die Führung sollte auf der Bundesdelegiertenkonferenz keine Empfehlung abgeben, sondern zwei Optionen zur Abstimmung stellen.“

Der Klimapolitiker warnt auch davor, wichtige Verbündete zu verprellen. „Wenn wir das mittragen, verspielen wir unsere Glaubwürdigkeit bei den Umweltverbänden und der Anti-Atombewegung.“ Tatsächlich riskieren die Grünen den Bruch mit den Anti-Atom-Aktivisten, wenn sie für den Ausstieg à la Merkel stimmen. Schon nach dem Kompromiss zum rot-grünen Atomausstieg von 2001 hatten die Akw-Gegner den Grünen Verrat vorgeworfen.

Schon droht Jochen Stay, einer der bekanntesten Anti-Atom-Aktivisten, mit neuerlichem Liebesentzug. „Es würde die Glaubwürdigkeit der Grünen extrem beschädigen, wenn sie nun zustimmen“, warnt der Sprecher der Gruppe „Ausgestrahlt“. 95 Prozent der Kriterien, die die Grünen selbst aufgestellt hätten, würden mit dem Ausstieg „nicht erfüllt“.

Auf der anderen Seite befürchten Realpolitiker wie Özdemir und Ex-Fraktionschefin Krista Sager, die Grünen könnten bei einem Nein eben jene bürgerlichen Wähler verprellen, denen sie ihre jüngsten Erfolge verdanken. In der Fraktion am Montag fuhren sie deshalb schweres Geschütz auf. Die Grünen müssten dem Enddatum 2022 für das letzte Akw schon deshalb zustimmen, weil sie nach einem Wahlsieg 2013 als Regierungspartei auch keinen schnelleren Ausstieg durchsetzen könnten als nun Angela Merkel.

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