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Niemand da? Stimmt nicht. Es gibt durchaus Menschen, die gerade jetzt der FDP beitreten.

© picture alliance / dpa

Parteieintritt aus Protest: Warum Menschen noch in die FDP eintreten

Sinkende Umfragewerte, schwindende Mitgliederzahlen. Der FDP geht es schlecht. Doch es gibt Menschen, die der Partei beitreten. Gerade jetzt. Warum nur?

Es braucht Optimismus und Mut, sich derzeit zur FDP zu bekennen. Die Partei taumelt, Meinungsumfragen bescheinigen ihr einen tiefen Fall. Christian Poloczek aus Erfurt trat ihr trotzdem bei: Im Januar 2012 wurde er Mitglied im Landesverband Thüringen. „Ich bin zur richtigen Zeit aufgesprungen“, sagt Poloczek. „Es macht Spaß, dem Bundestrend zu trotzen.“ Der sieht vor allem einen Mitgliederschwund. Als die Partei 2009 Regierungsverantwortung übernahm hatte sie noch 72 000, drei Jahre später nur noch 63 000 Mitglieder. Und doch ist Christian Poloczek nicht allein. Es gibt es Menschen, die jetzt, mitunter gerade jetzt, Gefallen an der FDP finden. Die Gründe dafür sind unterschiedlich. Ein wenig Protest gehört aber wohl dazu.

Drei Landtagswahlen müssen sich die Liberalen 2012 stellen. Und es sieht nicht gut aus für sie: In Nordrhein-Westfalen geht es nach der Nominierung Christian Lindners als Spitzenkandidat in der Wählergunst nur ganz leicht aufwärts – auf vier Prozent. Bei dem Wert liegt die Partei laut Umfragen auch in Schleswig-Holstein. Im Saarland zeichnet sich nach dem Zerbrechen der Jamaika-Koalition, das den Personalquerelen der FDP angelastet wird, ein düstereres Bild: Zwei Prozent würden dort die Liberalen wählen. Es sind Werte einer Splitterpartei – die schrumpft.

„Viele Austritte in kurzer Zeit stellen für jede Partei einen Rückschlag dar. Das muss man ernst nehmen“, sagt Uwe Jun, der Sprecher des Arbeitskreises Parteiforschung der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft (DVPW) ist und Dekan des Fachbereichs Politikwissenschaft der Universität Trier. „Die Menschen machen die Zustimmung zu einer Partei weniger von programmatischen Positionen abhängig als vom Image“, erklärt Jun. Es zähle vor allem die sichtbare Politik, die Themensetzung und die Kandidaten. „In diesen Punkten ist die FDP im Moment nicht besonders gut aufgestellt“, sagt Jun. Christian Poloczek aber interessiert vor allem, wie vor Ort in seiner Heimat, Verwaltungsstrukturen vereinfacht und Bürokratie abgebaut werden können. Was in der Hauptstadt der Republik passiert, ist für ihn weit weg. Der Handelsfachwirt war längere Zeit als Inhaber eines Lebensmittelgeschäfts selbstständig – inzwischen arbeitet er als Führungskraft in einem Unternehmen, das Zeitarbeiter vermittelt. „Während meiner Selbstständigkeit habe ich nahezu jeden Tag erlebt, wie mir die Behörden im Weg stehen“, berichtet er. Auch heute erlebe er oft, dass es „Ärger mit dem Papierkram“ gebe. „Es werden riesige Mengen an Fördermitteln auf Kommunal-, Landes- und Bundesebene vergeben. Das Geld ist da, aber möchte ich es abrufen, etwa wenn ein Mitarbeiter einen Aufbaukurs bekommen soll, sitzt man vor Antragsbergen bei unterschiedlichen Stellen.“ Obwohl direkt vor dem Firmengelände eine Fläche brachlag, habe es ihn viel Zeit und Kraft gekostet, durchzusetzen, dass dort Parkplätze für die Kundschaft entstehen konnten.

FDP-Mitgliedschaft als Form des Protests.

Die FDP ist für den Unternehmer die einzige Partei, die sich für den Mittelstand einsetzt. Es geht ihm um genau diese Interessengruppe. Kleinere Betriebe bräuchten vor allem Flexibilität. „In schwierigen Zeiten darf ich mich nicht von leistungsschwachen Mitarbeitern trennen, die schon lange dabei sind. Aber junge Leute, die einen tollen Job machen und erst seit kurzem für mich arbeiten, die kann ich kündigen.“ Das versteht er nicht: „Die Leistung muss doch am Ende zählen.“ Poloczek will etwas verändern. Er meint das ernst. So ernst, dass er plant, in zwei Jahren als Stadtrat für die thüringische Landeshauptstadt zu kandidieren. Im Moment bastelt er an seiner thematischen Aufstellung.

Es gibt auch Neu-Liberale, die bis vor kurzem noch in ganz anderen politischen Gewässern unterwegs waren. Frank und Nadine Sievert waren seit Anfang 2011 Mitglieder im Landesverband Schleswig-Holstein der Grünen. „Wir interessieren uns im besonderen Maße für Infrastrukturfragen, und die Grünen schwammen auf einer Erfolgswelle, die uns das Gefühl gab: Da können wir jetzt was bewegen.“ Das Gefühl hielt nicht lange an, ihre Hoffnung auf Beteiligung wurde enttäuscht, das Ehepaar hatte den Eindruck, Vorschläge nicht gut einbringen zu können. „Ein Jahr lang habe ich mich dafür eingesetzt, eine parteiinterne Diskussion über verkehrspolitische Fragen anzustoßen“, erzählt Sievert, der lange Zeit für den Fahrgastverband Pro Bahn tätig war. Aber die Debatte kam nicht in Gang.

Der Bruch mit den Grünen folgte erst später, weil das Ehepaar Sievert das Frauenstatut der Partei infrage stellte. Jeder zweite Platz auf Listen für Kommunal- und Landtagswahlen ist für Frauen vorgesehen, die anderen für beide Geschlechter. Mit der Besserstellung der Frauen hatte Sievert kein Problem. Wohl aber damit, dass mitunter Listenplätze eher leer blieben, als dass ein Mann sie bekommen hätte. „Dazu haben wir gemeinsam mit mehreren Frauen einen Antrag gestellt, aber wir wurden massiv unter Druck gesetzt, die Sache zurückzuziehen. Es sollte auf keinen Fall zur Abstimmung kommen.“ Sievert empfand das Vorgehen als undemokratisch und inakzeptabel.

Das Ehepaar verließ die Grünen und trat der FDP bei. Ein Wechsel, der vielen, wie Sievert wohl weiß, unverständlich erscheint. Das ist Absicht: „Es war zumindest ein Stück weit auch eine Form von Protest“, sagt Sievert. Als sie dann aber im FDP-Ortsverband Kaltenkirchen offen aufgenommen wurden, das Diskussionsklima stimmte, die Leute freundlich waren, wussten sie: Es war der richtige Schritt. „Die FDP setzt sich in Schleswig-Holstein für mehr Wettbewerb in der öffentlichen Infrastruktur ein“, sagt Sievert. „Da habe ich offene Türen eingerannt.“ Sievert sagt, mit Partei-Ideologien könne er nichts anfangen, ihn interessierten Sachthemen.

Haben die Neu-Liberalen keine Angst, auf ein sinkendes Schiff gesprungen zu sein?

Im Mai wird der Kieler Landtag neu gewählt. In Umfragen sieht es für die FDP schlecht aus: vier Prozent. Der erneute Einzug ins Parlament wäre schon ein Erfolg. Frank Sievert ist dennoch optimistisch. Hat er nicht den Eindruck, auf ein sinkendes Schiff aufgesprungen zu sein? Ein klares „Nein“. Er glaubt nicht daran, dass die Liberalen von der politischen Bildfläche verschwinden könnten.

Noch optimistischer ist die Jugend. Zum Beispiel Linus Vollmar aus Berlin. Der 18-jährige Schüler besucht ein Gymnasium in Weißensee. Erst im Februar trat er dem Jugendverband der FDP, den Jungen Liberalen (Julis), bei. Von Wirtschaftsliberalismus ist bei ihm keine Rede. „Meine Eltern lebten zu DDR-Zeiten in Ost-Berlin. Sie haben sich aktiv bei Demonstrationen gegen die Diktatur eingesetzt“, erzählt Linus. „Die Freiheit, die ich heute genieße, hätten sie sich nie zu träumen gewagt. Ich kann Musik hören, die ich mag. Ein Jahr habe ich den USA als Austauschschüler verbracht, und ich reise wohin ich möchte.“ Liberalismus versteht der Schüler als Bekenntnis zur Freiheit. „Meine Eltern erinnern mich daran, dass es ein Wert ist, für den man sich einsetzen muss. Nicht nur dann, wenn alle Welt gegen das Internetabkommen Acta demonstriert, sondern in allen Lebensbereichen.“ Aber auch Vollmar erkennt, dass die FDP ein Problem hat. Die Berliner Abgeordnetenhauswahl mit einem Ergebnis von 1,8 Prozent ist gerade ein halbes Jahr her. „Wir haben ein Klischee-Problem“, gibt er zu.

Seine Eltern sind Sozialarbeiter, engagieren sich für sozial schwache Kinder. So wurde auch Vollmar von klein auf mit Menschen konfrontiert, die nicht per se einer rosigen Zukunft entgegensahen. Es verdeutlichte ihm, dass Chancengerechtigkeit wichtig ist. „Meine Eltern fahren keinen Benz und verdienen keine 10 000 Euro. Die FDP ist nicht die Partei der Besserverdiener. Aber das Bild ist in den letzten Jahren genau dorthin verrutscht.“ Der Abiturient versucht das zu ändern, zu betonen, dass es der Partei um Freiheit und Chancengerechtigkeit geht und nicht nur um Finanzmärkte. Ein Mammut-Projekt.

So unterschiedlich sie sein mögen, die neuen Mitglieder der FDP eint eines: Unzufriedenheit mit dem Auftritt der Bundespartei. Das Bild, das sie abgibt, ist geprägt von Zerwürfnissen, Personalfragen und der programmatischen Einengung auf Steuersenkungen. Bei der Bundestagswahl 2013 droht der FDP der Sturz von der Regierungsbank. Denn laut Infratest-Dimap käme sie allenfalls auf drei Prozent der Stimmen. Poloczek, das Ehepaar Sievert und Linus Vollmar haben die Probleme der Partei erkannt. Sie wollen etwas ändern – als aktive Mitglieder.

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