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Hereinspaziert ins Kiezbüro! Parteien wie SPD, FDP und CDU freuen sich über Aufnahmeanträge.

© Kai-Uwe Heinrich

Parteieintritte: Mitmachen statt Rumtwittern

Jenseits von Onlinepetitionen und Twittergejammer gibt es eine neue Bewegung: rein in die Parteien. Dahin, wo die Arbeit ist und die Mühsal. Denn Politik ist mühselig. Ein Kommentar.

Vier Monate nach der Wahl geht die Berliner Politik in den Normalbetrieb über. Zu wenig neue Wohnungen, zu viele Schulen mit Bauschäden, deren Beseitigung zu lange dauert, brennende Autos, Streit über die Benachteiligung von Verkehrsteilnehmern, fehlende U-Bahn-Züge, ein Park in Kreuzberg, den die Jugend der Welt als Handelsplatz für Drogen kennt und sogar Linke für den Inbegriff politischen Versagens halten: Darum wird es in den kommenden Jahren gehen, falls nicht etwas ganz Großes dazwischen kommt – Polit-Aufreger von lokaler Bedeutung.

Wer gelegentlich verfolgt, mit welcher Inbrunst diese Lokal-Aufreger in den Ausschüssen des Abgeordnetenhauses und Bezirksverordnetenversammlungen besprochen werden, den kann ein seltsames Gefühl überkommen: eine Mischung aus Fassungslosigkeit und Bewunderung. Fassungslos ist man oft über das Unmaß an Zeit und Geduld, mit dem sich Menschen zum Beispiel über Hundeauslaufgebiete streiten. Bewundern kann man den Ernst, mit dem sie das tun, und ihre Entschlossenheit, Dinge voranzubringen.

So langsam nämlich verbreitet sich in der durchregulierten Hauptstadt des vermutlich durchorganisiertesten Staats der Welt der Eindruck, dass ein geregelter Politikbetrieb nicht die Norm ist. An eine Politik im Dauerkrisenmodus musste man sich gewöhnen, an die Langwierigkeit von Prozessen auch und daran, dass politische Projekte größeren Kalibers immer vor Gericht landen, bevor sie wirklich angegangen werden können. So ist das nach 66 Jahren Rechtsstaat.

Ziemlich neu ist aber, dass man bloß einmal die Zeitung durchblättern muss, um zu erkennen, dass politische Flieh- und Sprengkräfte stärker geworden sind als jeder Wille, etwas gemeinsam politisch hinzubekommen. Und das hat nicht bloß mit dieser gewissen Person zu tun. Das „System“, wie es früher mal mit Verachtung genannt wurde, ist unter Druck, und manchen von denen, die Druck machen, kann man die Freude daran anzumerken, wie leicht es ist, dieses System schlechtzureden.

SPD, FDP und CDU freuen sich über neue Mitglieder

Doch gibt es so etwas wie eine stille Gegenbewegung. Nicht allein die Organisatoren der SPD berichten, dass es neuerdings wieder Menschen gibt, und sogar eine Menge, die der Partei beitreten wollen. Das Gleiche sagt zum Beispiel auch der Generalsekretär der Berliner Liberalen, Sebastian Czaja: Es kämen wieder Leute, die bei den Liberalen mitmachen wollten, um denen etwas entgegenzusetzen, die die Parteiendemokratie für eine Veranstaltung von gestern halten. In der Berliner CDU wiederum heißt es, die Zeit der Austritte in Richtung AfD sei wohl so ziemlich vorbei; und dass Angela Merkel noch mal Bundeskanzlerin werden wolle, habe der Union neuen Zulauf gebracht.

Man kann das als lauter individuelle Bekenntnisse zum Normalbetrieb in der Parteiendemokratie nehmen. Partei-Eintritte sind ein bisschen aufwändiger als routinierte Klicks bei einer Online-Petition oder als die Unterschriften auf der Liste für das Fahrradvolksbegehren in Berlin oder gegen die Neuordnung der Landkreise in Brandenburg. Parteimitglied zu werden – das hat etwas Verbindliches, wegen des dann zu entrichtenden Mitgliedsbeitrags, wegen des Bekenntnisses, das man damit ablegt, und weil man kaum darum herum kommen wird, Aufgaben zu übernehmen, wenn man erst mal beim ersten Treffen mit den neuen Parteifreunden war. Die großen Volksparteien hatten ihre besten Zeiten, als der erste starke Reformimpuls durch die Bundesrepublik ruckte – in den frühen 1970er Jahren. Damals versprach ein Bundeskanzler namens Willy Brandt, „mehr Demokratie“ zu wagen. Und viele von denen, die als politisierte Studenten heftigste Systemkritik skandiert hatten, besannen sich eines besseren und machten mit: in den Institutionen, in den Parteien, im demokratischen Betrieb. Die Massigkeit dieser Zeit werden die Parteien heute kaum mehr erreichen – es sind auch ein paar mehr als damals. Dass aber in einer Zeit, in der politische Ordnungen zerbrechlicher denn je wirken, Leute den Weg in den Normalbetrieb gehen, verdient Anerkennung. Politiker in Bezirken oder im Abgeordnetenhaus machen die Arbeit, mit der sich die meisten Bürger nicht belasten wollen. Schlichte Parteimitglieder schaffen in ihrer Freizeit Voraussetzungen dafür, dass der Polit-Betrieb funktionieren kann. Bei der politischen Willensbildung ist das nachhaltiger als jede Facebook-Gruppe und sämtliches Getwittere.

Von Werner van Bebber

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