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Parteienforscher über die Wahl: "Ein harter psychologischer Schock"

Das Misstrauen in der Regierung wird nach der Bundespräsidentenwahl weiter geschürt, sagt Parteienforscher Jürgen Falter. Ein Gespräch über den Verlauf der Wahl und die Zukunft der Regierung Merkel.

Herr Falter, Christian Wulff, der Kandidat der schwarz-gelben Koalition, ist in zwei Wahlgängen der Bundespräsidentenwahl gescheitert. Hat Sie das überrascht?

Ein wenig. Ich bin davon ausgegangen, dass es im ersten Wahlgang nicht reichen würde für Wulff. Denn in der ersten Runde wählen doch viele sehr expressiv, der persönlichen Stimmung nach; die aber ist in der schwarz-gelben Koalition derzeit nicht besonders gut und das sollte damit zum Ausdruck gebracht werden. Meist überlegen sich diejenigen dann aber im zweiten Wahlgang, ob die eigene Präferenz wichtiger ist als das Überleben der Regierung. Womit ich allerdings nicht gerechnet habe, sind die Deutlichkeit der Ablehnung. Und auch, dass ein dritter Wahlgang notwendig wurde, um Christian Wulff zum Bundespräsidenten zu wählen, hätte ich vorher nicht gedacht.

Was heißt das für die schwarz-gelbe Regierung von Angela Merkel?

Dass es zu einem dritten Wahlgang gekommen ist, könnte die Saat des Misstrauens, die ja schon gelegt ist, voll aufgehen lassen. Das kann einen harten psychologischen Schock verursachen. Auf jeden Fall wird das ohnehin vorhandene Misstrauen in dieser Regierung weiter geschürt. Zwar werden zu den Abweichlern sowohl Wahlleute der Union als auch der FDP gehören, weil es in allen drei Koalitionsparteien Unzufriedene gibt. Allerdings wird man in der Koalition vor allem den Liberalen den schwarzen Peter zuschieben. Man kann sich vorstellen, wie die CSU die FDP attackieren wird und dann die FDP wiederum auf die CSU reagieren wird. Die „Wildsäue“ könnten zurückkehren.

Rot-Grün hat also mit dem Kandidaten Joachim Gauck alles richtig gemacht?

Das war auf jeden Fall ein genialer Schachzug. Einen Kandidaten aufzustellen, der eigentlich viel eher dem schwarz-gelben Lager zuzuordnen ist und damit einen Keil in dieses Lager treibt, war aus Sicht von Rot-Grün die richtige Entscheidung.

Sagt der Ablauf dieser Bundespräsidentenwahl etwas über das Amt und seine Art, wie es gewählt wird aus?

Es drückt zumindest das tiefe Misstrauen, das es in der Bevölkerung und auch in den Medien gegenüber Parteien und dem Parteienstaat gibt, aus. Und das ist gefährlich. Denn eine repräsentative Demokratie kann nur mit Parteien funktionieren. Vielleicht wird es auch die Debatte um eine Direktwahl des Bundespräsidenten wieder befeuern.

Wäre ein solches Verfahren denn wünschenswert?

Ich finde nicht. Denn schon jetzt ist die Wahl formaljuristisch in der Bundesversammlung ja frei. Allerdings findet natürlich eine Güterabwägung statt: Ist mir der Kandidat wichtig oder die Zukunft der Regierung. Ein direkt vom Volk gewählter Bundespräsident wäre meiner Meinung nach nicht adäquat zu seinen Aufgaben. Denn er hat hauptsächlich repräsentative Funktionen und eine Direktwahl würde das Amt gegenüber den anderen obersten Bundesorganen erheblich aufwerten, was dann zwangsläufig zu Konflikten mit diesen anderen Institutionen führen würde.

Was muss der neugewählte Bundespräsident jetzt machen?

Er muss Vertrauen gewinnen – auf beiden Seiten des politischen Spektrums und in der Bevölkerung. Er sollte möglichst schnell eine sinnstiftende Funktion einnehmen. Das heißt, Probleme ansprechen, die im aktuellen politischen Tagesgeschäft nicht immer betrachtet werden. Dies könnten die demografische Entwicklung, Integrationsfragen oder das weitere Zusammenwachsen von Ost und West sein. Einen dauerhaften Schaden hat das Amt aber trotz der Diskussionen um den Rücktritt von Horst Köhler nicht genommen.

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