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Politik: Parteispendenskandal: Mit einem Video gegen Jospin

Die Woche begann schlecht, der Enthaltungsrekord der Franzosen beim Referendum saß allen Politikern noch in den Knochen, da droht schon eine neue Staatsaffäre. Die ohnehin schon stark belastete, auf distanzierter Höflichkeit basierende "cohabitation" zwischen Staatspräsident Jacques Chirac (RPR) und Regierungschef Lionel Jospin (PS) scheint in einen offenen Krieg auszuarten.

Die Woche begann schlecht, der Enthaltungsrekord der Franzosen beim Referendum saß allen Politikern noch in den Knochen, da droht schon eine neue Staatsaffäre. Die ohnehin schon stark belastete, auf distanzierter Höflichkeit basierende "cohabitation" zwischen Staatspräsident Jacques Chirac (RPR) und Regierungschef Lionel Jospin (PS) scheint in einen offenen Krieg auszuarten. Schuld trifft den ehemaligen Wirtschafts- und Finanzminister Dominique Strauss-Kahn (PS). Er gab öffentlich zu, im April 1999, während seiner Ministerzeit, das Original der Videokassette erhalten zu haben, in der der damalige Finanzsekretär Jean-Claude-Méry Jacques Chirac okkulte Finanzierungsgeschäfte für seine Partei vorwirft. Die Aussagen des verstorbenen Méry wurden vergangene Woche in der Presse veröffentlicht. Angeblich hatte Strauss-Kahn damals jedoch keine Kenntnis des Inhaltes. Des weiteren wisse er auch nicht mehr, wohin er das Band gelegt habe. "Möglicherweise in den Papierkorb. So unglaubwürdig, dies auch alles klingt", meinte Strauss-Kahn am Dienstag. Unklar bleibt allerdings, ob er das Video als Staatsmann oder Privatperson erhielt. Eine am Montagabend erfolgte Durchsuchung vom Wohnhaus und den Büroräumen des Sozialisten im Conseil Général der Ile-de-France nach dem Band blieb erfolglos. Auf Anraten seiner Anwälte stellte sich Strauss-Kahn noch am selben Abend zu einer Zeugenvernehmung zur Verfügung. Er annulierte zugleich seinen angekündigten Fernseauftritt bei TF1.

Ihm wird nicht nur vorgeworfen, mit dem Band wichtiges Beweismaterial für die Justiz zurückgehalten zu haben, was laut Gesetz zwischen ein bis fünf Jahren Freiheitsentzug und eine Geldstrafe bis zu 500 000 Francs (über 160 000 Mark) zur Folge haben könnte. Auch die Umstände, unter denen er an die Kassette gelangte, sind suspekt: laut Aussagen von Steueranwalt Belot, einem ehemaligen Mitarbeiter des Ministers, der zudem bei der Videoaufzeichnung seines Klienten Mérys zugegen war, habe er Strauss-Kahn das Band im Gegenzug zu Steuerentlastungen von Karl Lagerfeld, ebenfalls ein Klient, übergeben. Strauss-Kahn hätte damals kommentiert, "es sei nicht der Moment, das Video auszuwerten".

Obwohl Strauss-Kahn dies entschieden zurückweist, schreien die RPR und selbst die Sozialisten Skandal. Bei ihrem Parteitreffen in Lyon am Montag verurteilte die PS aus schärfste das juristische Fehlverhalten ihres einst so beliebten Parteikollegen und Ministers. Die PS-Abgeordnete Odette Grzegrzulka resümierte, dies sei "Verrat an Jospin". Sie forderte sogar seinen Ausschluss aus der Partei. Regierungschef Jospin erklärte unterdessen, er habe "mit der Sache nichts zu tun", dies beträfe nicht die Partei, sondern sei einzig Sache von Strauss-Kahn. Auch wisse er erst seit der Veröffentlichung durch die französische Zeitung "Le Monde" von der Existenz des brisanten Videos. Die Justiz "müsse ihre Arbeit tun", auch was die angebliche Steuererleichterung betrifft. Damit wies er Präsident Chirac scharf in seine Schranken, der am Montagmorgen seinen Regierungschef um "eindeutige, öffentliche Aufklärung der steuerlichen Transaktion" gebeten hatte.

Die RPR gibt sich allerdings mit den Unschuldserklärungen von Jospin nicht zufrieden. Für sie ist die einstige Affäre Méry nunmehr eine Affäre Strauss-Kahn. Und damit eine Staatsaffäre. Achtzehn Monate vor den nächsten Wahlen, bietet sie der RPR eine willkommene Angriffsfläche, um den Regierungschef und die Sozialisten in Misskredit zu bringen und die Aufmerksamkeit vom Wesentlichen abzulenken: dem Inhalt des Videos, das Chirac als Ordnungsgeber unlauterer Geschäfte in den 80er Jahren während seiner Amtszeit als Bürgermeister von Paris beschuldigt. Nur die Untersuchungsrichter verlieren den Inhalt des Videobandes nicht aus den Augen, haben sie doch zwei weitere belastende Briefe Mérys an den Präsidenten am Dienstag im Banksafe von Anwalt Belot entdeckt. Strauss-Kahn dagegen bleibt für die Justiz sekundär. Für die Politik aber ist dessen Verwicklung der Auslöser für neue Grabenkämpfe zwischen den "cohabitation"-Akteuren.

Bettina Grosse

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