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Als erster SDP-Chef hielt Sigmar Gabriel auf dem Parteitag der Grünen eine Gastrede.

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Update

Parteitag der Grünen in Berlin: Spitzensteuersatz, Mindestlohn und Buh-Rufe

Seit Freitag ringen die Grünen in Berlin um ihr Wahlprogramm für die Bundestagswahl. Neben einem höheren Spitzensteuersatz wurde am Samstag ein Mindestlohn von 8,50 Euro beschlossen. Damit liegen die Grünen stark auf SPD-Kurs. Boris Palmer wurde für seine Rede hingegen abgestraft.

Die Grünen gehen ebenso wie die SPD mit der Forderung nach einem allgemeinen, gesetzlichen Mindestlohn von mindestens 8,50 Euro pro Stunde in den Bundestagswahlkampf. Das beschlossen die Grünen am Samstag auf ihrem Bundesparteitag in Berlin als Teil ihres Wahlprogramms. Die genaue Höhe des Mindestlohns soll von einer Kommission aus Gewerkschaften, Arbeitgebern und Experten festgesetzt werden. "Mit unserer grünen Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik wollen wir die Spaltungen am Arbeitsmarkt überwinden, gute und sichere Arbeit für alle ermöglichen“, heißt es in dem Programmbeschluss. Um den Missbrauch von Leiharbeit zu bekämpfen, fordern die Grünen „gleichen Lohn für gleiche Arbeit ab dem ersten Tag“. Leiharbeiter sollen vom ersten Tag an genauso bezahlt werden wie die Stammbelegschaft. Langfristig wollen die Grünen den gesamten Niedriglohnsektor reformieren und Minijobs durch sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ersetzen. Zunächst soll aber zumindest die Situation der Minijobber verbessert werden - unter anderem, indem sie Rentenansprüche erwerben. Bei den Kirchen wollen sich die Grünen dafür einsetzen, dass die Beschäftigten die selben Rechte bekommen wie andere Arbeitnehmer - unter anderem das Recht zur Bildung von Betriebsräten und Streikfreiheit.

Spitzensteuersatz

Im Mittelpunkt stand am zweiten Kongresstag auch die Steuer- und Finanzpolitik. Der Entwurf für das Programm der Grünen zur Bundestagswahl sieht einen Spitzensteuersatz von 49 Prozent ab einem zu versteuernden Einkommen von 80 000 vor, bei 60 000 Euro soll er auf 45 Prozent linear verlängert werden. Der Grundfreibetrag soll von 8130 auf 8700 Euro steigen. Menschen mit Einkommen unter 60 000 Euro sollen so entlastet werden. Der Antrag, den Spitzensteuersatz auf 53 Prozent anzuheben, erhielt nur wenige Stimmen. Sämtliche Basisforderungen, den Steuerkurs noch weiter zu verschärfen, wurden in Abstimmungen klar zurückgewiesen. Auch Forderungen nach stärkerem Maßhalten fanden wenig Resonanz. Somit setzte sich die Führung weitgehend durch.

Trittin verteidigte die grünen Steuerpläne, die unter anderem die Einführung einer Vermögensabgabe vorsehen. Diese betreffe das eine Prozent der Bevölkerung, das über ein Drittel des deutschen Privatvermögens verfüge. Scharf griff er den Präsidenten des Deutschen Industrie- und Handelskammertags, Eric Schweitzer, an. Es gehe nicht, öffentlich-rechtliche Zwangsabgaben „für eine verlogene Anti-Grün-Kampagne zu missbrauchen“, sagte Trittin. Schweitzer hatte erklärt, dass durch die grünen Steuerpläne 450 000 Jobs verloren gingen. Diese Äußerungen seien „am Rande der strafrechtlichen Untreue“, sagte Trittin. Die Grünen-Beschlüsse lobte er als „eine klare Entlastungsbotschaft für 70 Prozent der Bevölkerung“.

Kapitaleinkünfte sollen künftig progressiv besteuert, die heutige Abgeltungssteuer abgeschafft werden. „Ja, wir Grünen setzen auch auf Steuererhöhungen und sagen das vor der Wahl“, sagte die schleswig-holsteinische Finanzministerin Monika Heinold. „Wählerinnen und Wähler haben keinen Bock mehr auf rosarote Brillen und Schönfärberei.“ An die Adresse des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann sagte sie, alle Erhöhungen würden aufeinander abgestimmt. Kretschmann hatte im Vorfeld mit der Mahnung für Unmut in der Partei gesorgt, die Steuerschraube nicht zu stark zu drehen. Nun zeigte sich Kretschmann gegenüber dem SWR versöhnlich.

Tübingens grüner Oberbürgermeister Boris Palmer kritisierte die Beschlüsse am Samstag als wirtschaftsfeindlich. „Die Schraube wird überdreht“, warnte er in der Debatte und erntete dafür herbe Kritik. „Ich bin stolz auf diese Hartz-Gesetze, die uns Jobs brachten“, sagte Palmer in seiner Rede und wurde dafür mit Buh-Rufen abgestraft. „Es ist nicht zu viel verlangt, wenn ein Betrieb begründen muss, warum er befristet“, argumentierte dagegen die Arbeitsmarktexpertin Brigitte Pothmer. Sie warb für mehr „Sicherheit auf dem Arbeitsmarkt“ durch „existenzsichernde Jobs“.

Bildungspolitik

Auch das Thema Bildung war Thema des Parteitages am Samstag in Berlin. Die Grünen wollen Ganztagsschulen flächendeckend ausbauen, jährlich eine Milliarde Euro mehr für Hochschulen ausgeben und das BAföG um 300 Millionen Euro im Jahr stärken. Darauf legten sich die rund 800 Delegierten fest. Für 200 Millionen Euro soll ein Erwachsenen-BAföG als Mix aus Zuschüssen und Darlehen eingeführt werden. In der Forschung richten sich die Grünen dagegen, dass Ergebnisse militärischen Zwecken dienen. Allerdings erhielten Forderungen, nichtzivilen Nutzen quasi komplett auszuschließen, keine Mehrheit.

Bekenntnis zur SPD und Gastrede von Sigmar Gabriel

Drei Tage lang beraten die Delegierten von Bündnis 90/Die Grünen über ihr Programm für die Bundestagswahl im Herbst.
Drei Tage lang beraten die Delegierten von Bündnis 90/Die Grünen über ihr Programm für die Bundestagswahl im Herbst.

© dpa

Gastrede von Sigmar Gabriel

Als erster SPD-Chef war Sigmar Gabriel am Samstag Gastredner auf dem Grünen-Parteitag in Berlin. Er pries ein rot-grünes Bündnis als Chance für einen umfassenden politischen Richtungswechsel. „Ich bin deshalb überzeugt von einer Koalition von Roten und Grünen, weil ich der festen Überzeugung bin, es geht um mehr als um eine Liste von Einzelthemen“, sagte Gabriel am Samstag in Berlin. Er wolle zusammen mit den Grünen eine neue, andere Richtung einschlagen: „Wir müssen die Zukunft zurück in die Politik holen.“ Das rot-grüne Bündnis müsse mehr sein als eine rechnerisch mögliche Koalition und ein technisches Bündnis zur Erreichung der Regierungsmacht. „Natürlich sind SPD und Grüne keine Schwesterparteien“, sagte Gabriel. Die Grünen seien aber eine besondere Partei, die die Gesellschaft entscheidend verbessert habe.

Zuvor hatte auch Grünen-Chefin Claudia Roth den Regierungswechsel in Deutschland angriffslustig und mit einer klaren Aussage für Rot-Grün beschworen. „Jetzt ist die Zeit für die klare Ansage - und das wird Sigmar genauso sehen: Wir wuppen das!“, sagte Roth am Samstag an SPD-Chef Sigmar Gabriel gerichtet. Gabriel trat auf dem Grünen-Parteitag in Berlin direkt nach Roth ans Rednerpult.

Die Grünen müssten viele Schäden reparieren, die von Bundeskanzlerin Angela Merkel und einer „irrlichternden FDP“ angerichtet worden seien, sagte Roth. „Wenn die Union jetzt versucht, ihre gesammelten Luftblasen in neue Wahlversprechen umzumünzen, dann kommt mir das vor wie die Wundertüte auf dem Kindergeburtstag - leider hat Mama nur Nieten rein getan“, provozierte Roth, die immer wieder stürmischen Applaus erhielt. Das Wahlprogramm der Grünen dagegen sei kein Wolkenkuckucksheim, sondern machbar, betonte Roth.

Koalitionsfrage

Die Grünen-Führung hatte bereits zu Beginn des Parteitags am Freitagabend versucht, die Debatte über eine schwarz-grüne Koalition nach der Bundestagswahl einzudämmen. „Mit solchen korrupten Amigos von der CSU koalieren Grüne nicht“, sagte Spitzenkandidat Jürgen Trittin. Es gehe nicht darum, sich die SPD schön zu reden, sagte der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir. Über Koalitionen werde aber nicht aufgrund von Ideologien, sondern von Inhalten entschieden. Wenn man „ganz nüchtern und sachlich“ die Programme nebeneinander lege, komme man zum Ergebnis, dass es „die meisten Schnittpunkte“ mit der SPD gebe.

Die rund 800 Delegierten sprachen sich mehrheitlich dafür aus, im Wahlprogramm ein klares Bekenntnis für eine Koalition mit der SPD abzugeben. „Wir kämpfen in diesem Bundestagswahlkampf für starke Grüne in einer Regierungskoalition mit der SPD, weil wir in diesem Regierungsbündnis die besten Chancen sehen, den grünen Wandel umzusetzen“, heißt es in der Präambel, die am Freitagabend beschlossen wurde. Ein Antrag des Grünen-Politikers Henrik Neumann vom Kreisverband Frankfurt, diesen Satz zu streichen, weil die SPD nicht die „Schwesterpartei“ der Grünen sei, fand zwar Unterstützung, aber keine Mehrheit.

Zuvor hatte Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann seine Partei vor Lagerdenken gewarnt. Die Präferenz liege „klar bei Rot-Grün“, es gebe klare Unterschiede zur Union, etwa beim Thema Steuern sowie der gesellschaftlichen Modernisierung. „Wir sind aber, wenn man von den Einzelfragen mal zur Gesamtschau geht, von der Union auch nicht so weit weg, dass wir mit ihr, sollte es für Rot-Grün nicht reichen, nicht mal Sondierungsgespräche führen könnten“, sagte Kretschmann der „Süddeutschen Zeitung“. Eine „Ausschließeritis“ halte er für falsch. Er appellierte außerdem an seine Partei, der Wirtschaft keine unzumutbaren Belastungen aufzubürden.

Trittin verteidigte die grünen Steuerpläne, die unter anderem die Einführung einer Vermögensabgabe vorsehen. Diese betreffe das eine Prozent der Bevölkerung, das über ein Drittel des deutschen Privatvermögens verfüge. Scharf griff er den Präsidenten des Deutschen Industrie- und Handelskammertags, Eric Schweitzer, an. Es gehe nicht, öffentlich-rechtliche Zwangsabgaben „für eine verlogene Anti-Grün-Kampagne zu missbrauchen“, sagte Trittin. Schweitzer hatte erklärt, dass durch die grünen Steuerpläne 450 000 Jobs verloren gingen. Diese Äußerungen seien „am Rande der strafrechtlichen Untreue“, sagte Trittin.

Energiepolitik

Für die Energiepolitik bekräftigten die Grünen das Ziel, die Stromversorgung bis 2030 vollständig auf erneuerbare Energien umzustellen. Bereits bis 2022 soll ein Anteil von 50 Prozent erreicht werden. Die Treibhausgasemissionen in Deutschland sollen bis 2050 um 80 Prozent verringert werden, verglichen mit dem Stand von 1990. Um diese Ziele zu erreichen, planen die Grünen ein Investitionsprogramm von 3,5 Milliarden Euro für einen Energiesparfonds, ein Marktanreizprogramm und für mehr erneuerbare Wärme sowie eine Aufstockung des Programms für energetische Gebäudesanierung auf zwei Milliarden Euro. (mit dpa und AFP)

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