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Parteitag der Piraten: Ein Hashtag wie dieser

Sie sind müde. Erschöpft. Beim Bundesparteitag spüren die Piraten ihrem schlechten Wahlergebnis nach. Dabei immer präsent: das Raunen der Basis.

Trollaner Diplomat @Trollaner Unbestätigten Gerüchten zu Folge, sind auf dem #bpt132

einige Geheimdienstmitarbeiter der #nsa

Guido H. @Mabowie: Parteitag ist, wenn 40 Minuten darüber diskutiert wird,

wie gearbeitet werden soll, dann 15 Min Pause, dann 5 Minuten arbeiten. #bpt132

Julia Seeliger @zeitrafferin: Ich stelle den Antrag, die Piratenpartei Deutschland aufzulösen. #bpt132

Dennis Helmich @dhelmich: It’s Popcorntime! #bpt132

Jonathan Maurer @Pirat_JMaurer:…uuuuund: action! #bpt132

Vorne, auf dem Podium, steht der Wahlleiter, trägt ein schwarzes T-Shirt mit weißer aufgemalter Totenkopf-Krawatte, und sagt: „Ich läute jetzt die mal die erste Theaterglocke.“ Die Bremer Stadthalle, Ort solider Unterhaltung, ist gut gewählt für den ersten Bundesparteitag der Piraten nach dem Bundestagswahlergebnis, diesen 2,2 Prozent, die hier auch irgendwie mit im Saal sitzen, in den langen Reihen, zwischen den Mitgliedern vor ihren Computerbildschirmen. Etwas mehr als eintausend. Am Ende. Unruhig die einen. Wütend die anderen. Zweifelnd aber alle.

Viel besser, dachte man, hätte es für die Piraten eigentlich nicht laufen können. Nie war ihr Kernthema, Datenschutz, so groß wie in den vergangenen Monaten: Edward Snowden, NSA, Prism. Die totale Überwachung. Alle Verschwörungstheorien, die ganze Distopie des Orwellstaates, wahr geworden. Das hätte sie doch eigentlich hineintragen müssen in den Bundestag. Snowden, das hätte das Fukushima der Piraten sein können. War’s dann aber nicht.

Weil diese Partei aus der Wahrnehmung gefallen war, plötzlich am Rande der Relevanz kauerte. Sie hatte sich selbst unmöglich gemacht. Nach außen ein Bild des Jammers. Nach innen: ziellos, zerzaust. Im Krieg. Das sind keine Grabenkämpfe mehr, sagen einige, die beschießen sich mit Leopard-Panzern. Dazu sind ihnen die wenigen Köpfe, die sie hatten, abhandengekommen. Entweder abgeschlagen, oder selbst aus der Schlinge gezogen. War’s das jetzt?

Die Piraten sind gekommen, um ihren Bundesvorstand zu wählen, sie sind aber auch gekommen, um noch einmal, am Ende eines Absturzjahres, kollektiv in ihre Partei hineinzufühlen. Auf einem Parteitag, der immer auch Schauspiel ist. Eines, das auf gleich zwei Bühnen abläuft. Damit das jeder sofort versteht, hängen hinter dem Wahlleiter zwei Leinwände. Auf der einen, der rechten: der Parteitag in Echtzeit, im Stream. Auf der anderen, der linken: die Twitter-Wall, die Tweets der Mitglieder zum Hashtag #bpt132. Der Kurznachrichtendienst Twitter ist der „Vorwärts“ der Piraten. Ihr Medium.

Auf Twitter erzeugen die Piraten ein Dauerrauschen, das nichts anderes ist, als der Seismograf parteiinterner Befindlichkeiten. Das Raunen der Basis, immer präsent, erzählt auch von den Problemen einer Partei, in der alle durcheinanderzureden scheinen, bis die einzelne Meinung sich einfach auflöst. Wenn man den Stimmen jedoch bis zum Ursprung folgt, dann kann man dort auch die Antworten finden, auf die Frage nach den Gründen für diese Probleme.

Kurz nach zehn am Samstag, es geht langsam los, 1300 Tweets bereits, steht das Geschehen das erste Mal still. Geschäftsordnungsprobleme.

Klaus Peukert @klauspeukert

Dieses komische GO-Pimmelfechten –

Das ist sicher ein superguter Start in einen

„Wir haben aus den 2,2% Gelernt“

Neuanfang. #bpt132

Klaus Peukert @klauspeukert

Regeln, in die man je nach Mondphase

beliebiges reininterpretieren oder

rauslesen kann sind unnötiger Murks,

darauf Basierendes unbrauchbar.

Klaus Peukert @klauspeukert

Der #BPT132 kostet die Piratenpartei

übrigens ca. 100Euro pro Minute.

Klaus Peukert twittert unangenehm. Sagt Klaus Peukert. Peukert twittert kritisch. Deshalb hat er das mal ausgerechnet: Auch Stillstand kostet hier 100 Euro die Minute. Der Etat der Piraten für den gesamten Bundestagswahlkampf lag bei 600 000 Euro. Damit könnten sie also immerhin 100 Stunden Parteitag finanzieren. Lustig, oder? Peukert ist da nicht so sicher. Er sitzt auf einem der langen Tische, direkt am Durchgang zum Podium und schaut einfach. Kennt er alles, ist aber trotzdem immer wieder aufs Neue amüsiert. Entertainment eben. #Popcorn. „Eine Dreiviertelstunde reden“, sagt er, „um eine halbe Stunde einzusparen. Klassiker.“

Klaus Peukert war als Beisitzer fast eineinhalb Jahre Teil des Vorstandes. Er hat sich dagegen entschieden, noch einmal zu kandidieren. Hat Prioritäten gesetzt. Familie, Beruf, ein neues Studium und das Pfeifen am Wochenende. Peukert, 36 Jahre alt, arbeitet in einer Computer-Bude. Ja, weiß er natürlich: großartiger Piraten-Klischee-Job. Am Wochenende aber steht er als Schiedsrichter auf den Plätzen der Leipziger Kreisklasse. Das ließ sich mit der Arbeit für die Piraten nie vereinbaren. Das hat ihm gefehlt. Deshalb: Rückzug.

Im Saal stimmen sie erneut ab. Wahl- und Geschäftsordnung. Ja oder Nein. Gelbe oder Rote Karte. „Siehste“, sagt Peukert, der Schiedsrichter, „das ist wie auf’m Platz. Man muss sich entscheiden.“

Stopp. Grätsche von der Seite: Liegt das Problem der Partei nicht gerade darin, dass sie sich mit Entscheidungen so schwertut? „Nein“, sagt Peukert, „das Problem ist, dass man, egal welche Entscheidung man trifft, auf’s Maul bekommt.“ Früher hat Peukert zu Parteitagen ein T-Shirt getragen, auf dem „Ich bin schuld“ stand. Das passt nicht mehr. Er hat zugenommen. Parteiarbeit kann ungesund sein.

„In einer Partei muss man, wie als Schiedsrichter auch, Regeln anerkennen“, sagt Peukert, „aber es gibt immer ein paar Spezialgehirne, die alles anders machen wollen. Die spielen hier Fußball mit elf Eishockeytorhütern.“ Er hält kurz inne, nickt. Gutes Bild. Passt. „Genau das ist diese Partei für mich: Elf Eishockeytorhüter auf einem Fußballplatz. Und das finden, die dann auch noch geil.“

Dann läuft Peukert ein letztes Mal als Vorstandsmitglied durch die Reihen, vorbei an den ausgestreckten Armen. Gelbe und rote Karten. Daraus besteht dieser Parteitag. Und es gibt viel Rot. Viele Fouls, wie es der Schiedsrichter Peukert sagen würde. Viele Fails, wie es der Pirat, der Twitterer Peukert sagen würde. Verschleppte Debatten. Anträge, die aus kaum nachvollziehbaren Gründen gestellt werden. Anträge, die aus kaum nachvollziehbaren Gründen abgelehnt werden. Das erschöpft. „Die Partei ist müde“, sagt Peukert, „das trifft es ganz gut.“

Vorstand bei den Piraten, das klingt wie eine Bestrafung

Christopher Lauer @Schmidtlepp

Eine Kammer, sie alle zu knechten! #BPT132

Kollektiv Raufaser @insideX

Gibt es anständigen Kaffee auf dem #BPT132

Philipp Magalski @Piratenbaer

@insideX Crazy but not insane! x)

Müdigkeit, Erschöpfung – es sind nicht immer nur Rechtfertigungen, auch einfach Zustandsbeschreibungen, die man von den Piraten in den vergangenen Monaten oft gehört hat. Vor allem bei den Vorsitzenden, den Entscheidungsträgern. Vorstand bei den Piraten, das klingt selten wie ein Amt. Es klingt wie eine Bestrafung. Viel Arbeit, viel Verantwortung, wenig Ausgleich. Der Vorstand arbeitet ehrenamtlich. Wären die Piraten eine Firma, entspräche das einem einjährigen unbezahlten Praktikum, ohne die Aussicht, nach dessen Ende übernommen zu werden. Am Schluss gibt es nicht mal Blumen. Wenn es gut läuft. Wenn es normal läuft, gibt es einen Shitstorm zum Abschied.

Aber es finden sich ja immer wieder welche, die es trotzdem machen. Enthusiasten, Idealisten. Rampensäue.

Thorsten Wirth twittert als insideX. Wirth will neuer Vorsitzender werden. Er sitzt jetzt draußen, auf einer der Bänke vor dem Saal, und sieht keinen Stich. Mit ein paar anderen spielt er Quartett, das Piraten-Kandidaten Sammelkartenspiel. Zeitvertreib, das lange Warten. Das zieht sich piratig. Der letzte Wahlgang muss wiederholt werden. Das Spiel, so steht es in der Anleitung, dient zur Information. In sechs Kategorien sind hier die Stärken oder Schwächen der Kandidaten gelistet. Programm, Medien, Social-Media-Quotient, Shitstormresistenz, Erfahrung und Lanz-Quotient. Mit Medien (10), das verrät die Thorsten-Wirth-Karte, kann er gut. Programm (2) kann er nicht so gut. Auch sein Lanz-Quotient (1) ist eher dürftig. Nein, mit der Wirth-Karte ist hier nicht viel zu holen. Aber er kann jetzt ohnehin nicht länger spielen, er muss wieder rein.

Am selben Tisch sitzt eine junge Frau, die sich, fast durchsichtig, so feingliedrig, direkt in der Schusslinie versteckt. Die inmitten ihrer eigenen Prominenz untertaucht. Das kann sie. Es ist ruhiger geworden um sie.

Marina Weisband @Afelia

Ich wähle keinen Vorsitzenden, der nicht

theoretisch mit jedem in der Partei einen

Kaffee trinken könnte. #BPT132

Marina Weisband @Afelia

Ich bin dafür, die Vorstandsbezahlung

an den Bitcoin-Kurs zu koppeln

*trollface* #BPT132

Marina Weisband @Afelia

#BPT132 , ich bin in dir.

Fast überrascht es, dass sie auch da ist. „Wäre ich nicht hier“, sagt sie, „wäre das doch gleich wieder ein politisches Statement.“ Marina Weisband. Immer noch erst 26 Jahre alt. Obwohl man bei ihr das Gefühl hat, sie hätte die Politiklandschaft schon lange vor den Piraten betreten. Weil man eben bei ihr auch das Gefühl hat, sie wäre als eine der wenigen auch noch da, wenn es die Piraten nicht mehr geben sollte.

Die Revolution frisst hier ihre Köpfe

Was man von ihr weiß: Sie ist vor fast zwei Jahren als politische Geschäftsführerin zurückgetreten. Sie ist seit fast zwei Jahren erschöpft. Sie hat in dieser Zeit ein Buch geschrieben. Über Demokratie. Gerade reist sie viel durch Deutschland, hält Vorträge, ist Gast in Talkshows und arbeitet an ihrem eigenen Projekt. Schulen demokratisieren, sagt sie: „Ich züchte die nächste Generation Piratenwähler.“

Jetzt sitzt sie da, als ginge sie das alles nichts an, und ist natürlich doch wieder mittendrin. Instinktpolitikerin Marina Weisband. Schaut Thorsten Wirth nach und sagt, natürlicher Sarkasmus: „Wir machen jetzt einfach Politik 1.0. Wir wählen einfach gar keinen Vorstand. Und lassen einen Zufallsgenerator entscheiden.“

Johannes Ponader kommt an den Tisch. Auch eines der Gesichter der Partei, nur hat sein Name einen anderen Klang, einen Beigeschmack. Ex-Geschäftsführer, Hartz-IV-Debatte, Querulant, Talkshow-Rumpelstilz.

Zehn Meter entfernt, im Saal der Stadthalle 7, versucht seine Partei gerade einen neuen Vorsitzenden zu wählen. Zehn Meter entfernt, im Saal der Stadthalle 7, sagt Thorsten Wirth, auf dem Podium, am Mikrofon: „Wir haben eine Kultur entwickelt, die alles weghatet.“ Halt die Fresse, brüllt einer. Lieber ohne dich, ein anderer. Sie brauchen ihn, sie wollen ihn aber nicht. Sie wollen ihn, aber haben das Gefühl, dass sie ihn eigentlich nicht brauchen. Die Piraten pfeifen, aber sie können sich nicht entscheiden. Klaus Peukert ist längst verschwunden.

Marina Weisband hört die Pfiffe, kennt die Stimmungsschwankungen, die Unberechenbarkeit ihrer Partei. „Wir sind eine liberale Partei im Sinne der 70er“, sagt sie nun, „und deshalb versammeln sich hier viele machtkritische Menschen. Im Grunde ist das etwas sehr Positives.“ Noch mehr Pfiffe. Ponader setzt sich, hört zu. „Es wird aber dann grenzwertig, wenn wir anfangen, dieses Misstrauen gegenüber der Macht, auch gegen unsere eigenen Kandidaten zu wenden. Wir befragen sie nicht, wir grillen sie geradewegs. Das lähmt und hindert die Entscheidungsfindung.“

Die grundkritische Haltung gegenüber traditionellen Machtstrukturen, die nach außen für eine Partei wie die Piraten durchaus sinnvoll ist, weil das zu ihnen gehört, diese grelle Opposition, ist, nach innen gerichtet, eine zersetzende Kraft. Die Partei, so wie sie Marina Weisband beschreibt, kannibalisiert sich selbst. Die Revolution frisst hier keineswegs ihre Kinder, sondern ihre Köpfe, bis niemand mehr da ist, der sie noch führen könnte.

Die Piraten, Themenpartei, das betonen sie ja immer wieder, wollen genau das auch gar nicht: geführt werden. Wollen keine starken Figuren an der Spitze. Die große Ratlosigkeit, die Schizophrenie dieser Partei ist deshalb besonders daran zu erkennen, wie gegenwärtig Marina Weisband trotz dieser Prominenzphobie noch immer ist. Sie holt ihr iPhone aus der Tasche, zeigt das Display in die Runde: „Das habe ich gerade auf Twitter bekommen.“ Eine Bildschlagzeile. Eilmeldung: „Abrechnung mit Führungsmannschaft. Mitglieder haben große Sehnsucht nach Marina Weisband.“

Drinnen pfeifen sie. Draußen lacht Marina. Auch über das Flüstern der Flure, in der sich diese Sehnsucht spiegelt. „Es kursierten bereits Gerüchte“, erzählt Marina Weisband, „wie man Marina Weisband doch noch wählen kann. Entweder, man kreuzt auf allen Stimmzetteln Nein an oder faltet sie nach Origami.“

Einer am Tisch sagt: Marina, du könntest doch als Schatzmeisterin kandidieren.

Weisband: Das könnte ich

Einer am Tisch: Deine Qualifikation für dieses Amt?

Weisband: Ich war mal bei einem Online-Rollenspiel Schatzmeister. Und hatte am Ende eine positive Jahresbilanz von 20 Gulden.

Einer am Tisch: Klingt gut.

Weisband: Bis meine Stadt von Drachen zerstört wurde.

Einer am Tisch: Von Piraten?

Weisband: Nein von Drachen.

Einer am Tisch: Achso. Ich dachte schon.

Er wirkt erleichtert. Die Piraten, sie trauen sich derzeit alles zu.

Im Saal der Stadthalle 7 wird Thorsten Wirth zum neuen Vorsitzenden gewählt. 78,1 Prozent der Stimmen. Er nimmt das Amt an. Victoryzeichen. Die Siegergeste hat er für sich allein.

Wolfgang Dudda @Oreo_Pirat

Sehr viel leistungsunabhängiges

Selbstwertgefühl auf der

Vorstellungsbühne heute. #bpt132

Kollektiv Raufaser @insideX

DANKE IHR VERRÜCKTEN
tux0r @tux0r

Herr @insideX, ziehen Sie endlich

die Konsequenzen und treten Sie zurück! #bpt132

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