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Politik: Patent auf Sittenwidrigkeit

Die Firma Vitrolife hat die Herstellung von lebensfähigen menschlichen Embryonen europaweit schützen lassen. Selbst Befürworter der Genforschung sind empört

Die Produktpalette umfasst „Embryo-Glue“ (Embryonen-Kleber) und „Sperm-Rinse“ (Sperma-Lauge). Der Hersteller heißt „Vitrolife“, eine Firma mit Sitz in den USA und in Schweden. Und ein Unternehmen, das vom Europäischen Patentamt in München ein so heftig umstrittenes Nutzungsrecht eingeräumt bekam, dass nun die deutsche Forschungspolitik dagegen Sturm läuft. Nicht gegen „Vitrolife“ –, sondern gegen die Entscheidung der Münchener Behörde. Greenpeace vermauerte am Montag den Eingang des Amtes und legte es damit lahm. Eingefrorene Babypuppen in Eisblöcken sollten klar machen, um was es geht.

Ulrike Flach, Chefin des Bundestags-Forschungsausschusses, erklärt das Problem so: „Die haben einen neuen Kühlschrank erfunden, aber alles, was im Kühlschrank drin ist, gleich mitpatentieren lassen.“ Greenpeace kritisiert das so genannte „Baby-Patent“ als „Weg hin zur Industrieproduktion von Menschen“ und wittert einen Skandal, der bisherige Streitigkeiten in der Genpolitik in den Schatten stelle. Für diese Sichtweise spricht einiges. Nicht zuletzt der Umstand, dass selbst Forschungsbefürworter das bereits im November 2003 erteilte Patent mit der Nummer EP 1121015 für fragwürdig halten.

Flach, die für die FDP im Bundestag sitzt, bezeichnet die Patenterteilung als „wahrscheinlich zu weit gehend“. Katherina Reiche, forschungspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, rügt die „falsche Entscheidung“ der Münchner. Der Tübinger Ethiker Dietmar Mieth erklärt, hier sei kein Verfahren, sondern ein lebensfähiger menschlicher Embryo patentiert worden – „gewiss ein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung und die guten Sitten“, wie Mieth der Agentur KNA sagte.

„Vitrolife“ verkauft Produkte, die in der Reproduktionsmedizin Fortschritte ermöglichen sollen. Nährlösungen für menschliches Gewebe gehören ebenso dazu wie Mittel, die die Einnistung einer künstlich befruchteten Eizelle in der Gebärmutter erleichtern. 2004 will das Unternehmen die jetzt patentierte Mischung aus Einfriertechnik und eingefrorenen Embryos auf den Markt bringen.

Greenpeace-Vertreter haben nun dem Justizministerium „Verantwortungslosigkeit“ vorgeworfen. Dabei geht es um die deutsche Umsetzung der EU-Richtlinie 98/44. Die steht noch aus – und Kritiker sehen dies als jene Gesetzeslücke, die „Vitrolife“ nutzt. Reiche widerspricht: „Wir sollten nicht nach Gesetzesverschärfungen rufen, nur weil das Münchner Patentamt eine falsche Entscheidung getroffen hat.“ Mit dem europäischen Patentrecht habe das „Baby-Patent“ nichts zu tun, denn das Europa-Recht lasse eine solche Patentierung nicht zu. Reiche verlangt im Einklang mit Flach und der forschungskritischeren Unions-Vizefraktionschefin Maria Böhmer von Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) „die Eins-zu-Eins-Umsetzung“ der europäischen Richtlinie.

Die CDU-Politikerinnen Böhmer und Reiche geben Greenpeace zwar inhaltlich Recht, wenn die Umweltschutzorganisation das Münchner Patent für zu weit gehend hält. Doch Reiche rügt zugleich das Vorgehen von Greenpeace. „Permanent wird hier mit einer unerträglichen Militanz vorgegangen, nur um den Beifall der Öffentlichkeit zu erhalten. Das tut der Debatte um die Genforschung nicht gut und ist einer so komplexen Materie nicht angemessen“, sagte Reiche dem Tagesspiegel. Mieth zieht noch eine andere Schlussfolgerung. Das europäische Patentamt brauche dringend einen Ethikrat, sagt er.

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