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Update

Patienten drohen Wartezeiten: Ärzte stimmen für Praxisschließungen

75 Prozent der befragten Ärzte haben in einer bundesweiten Urwahl für Praxisschließungen votiert. In den kommenden Tagen soll nur noch einmal mit den Vertretern der gesetzlichen Krankenversicherungen gesprochen werden - die Mediziner bereiten sich schon auf einen Ausstand vor.

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Im Streit mit den Krankenkassen haben sich rund 75 Prozent der befragten Ärzte für zeitweilige Praxisschließungen ausgesprochen. Das ergab eine bundesweite Urabstimmung, zu der rund 30 Medizinerverbände aufgerufen hatten, sagte der Sprecher der Allianz Deutscher Ärzteverbände, Dirk Heinrich, am Donnerstag in Berlin. Patienten müssen sich bald womöglich bundesweit auf lange Wartezeiten beim Arzt einstellen. Denn die Mediziner wollen mit den Schließungen gegen das aus ihrer Sicht zu magere Ergebnis der Honorarverhandlungen mit den Krankenkassen protestieren. Die Aktionen sollen wohl noch im September starten.

Die niedergelassenen Ärzte fordern wegen gestiegener Kosten für Medikamente, Energie, Mieten und Personal höhere Entgelte von den Krankenkassen. Die Versicherungen hatten aber nur 0,9 Prozent mehr Geld angeboten - weniger als der Inflationsausgleich der vergangenen Jahre.

Ob auch in in Berlin und Brandenburg die Praxen geschlossen bleiben werden, steht noch nicht fest. Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Berlin, der alle niedergelassenen Mediziner der Stadt angehören müssen, die gesetzlich Versicherte versorgen, teilte am Donnerstag mit: Die Proteste belasten derzeit nicht die Patienten, sondern sind „ausschließlich gegen die Krankenkassen gerichtet“. Sollte es aber an diesem Wochenende nicht zu einer Einigung mit den Krankenkassen kommen, seien Praxisschließungen denkbar. Viele Berliner Mediziner seien dazu bereit.

Auch bei den Ärzten in Brandenburg sitzt der Frust über das Angebot der gesetzlichen Kassen tief. Flächendeckende Praxenschließungen quer durch alle Fachrichtungen sind zwar vorerst nicht zu erwarten. Weil in der bundesweiten Urabstimmung 75 Prozent der niedergelassenen Ärzte aber für Warnstreiks gestimmt hätten, werde dies die Verhandlungsposition der Kassenärzte stärken, erklärten Vertreter der Branche.

„Wir wollen nicht die Patienten instrumentalisieren, sondern die Kassen zwingen, ihre arrogante Haltung aufzugeben“, sagte der Sprecher der Brandenburger KV. Denkbar wäre auch, dass Ärzte einfach keine der üblichen Anfragen der Kassen beantworten. „Vor allem Hausärzte werden mit solchen Anfragen oft zugeschüttet. Die Kassen wollen etwa ständig wissen, warum dieser oder jener Patient dieses oder ein anderes Medikament bekommen hat, oder warum eine Behandlung noch immer nicht abgeschlossen ist“, sagte der KV-Sprecher.

Getragen werden die Proteste von Fachärzten, die allerdings oft mehr verdienen als Hausärzte – gerade in ländlichen Gebieten von Brandenburg. Sollte sich die Situation nicht deutlich entspannen, würden sich aber auch Letztere an Aktionen beteiligen, sagte Ulrich Schwantes, Chef des Hausärzteverbandes Brandenburg. So lange seien die Allgemeinmediziner bemüht, „alles, was dringlich und notwendig ist, abzuarbeiten“. Vor dem Hintergrund der unerwarteten Rekordüberschüsse der Kassen und den steigenden Kosten sei das Angebot von 0,9 Prozent mehr Geld „eine Frechheit“, hieß es nicht nur von KV-Vertretern, sondern auch von Sprechern der Fachverbände in der Region. Selbst äußern wollen sich viele der niedergelassenen Ärzte nicht.

Eine Internistin aus Teltow, südlich von Berlin, die anonym bleiben will, sagte am Donnerstag allerdings: „Ich beteilige mich nicht. Ich denke, Ärzte, Lehrer und Pfarrer gehören aus moralischen Gründen nicht auf die Straße. In Deutschland verarmt kein Arzt.“ Niedergelassene Mediziner sind meist selbstständige Unternehmer. Sie können ihre Praxis schließen, wann sie möchten. Weil ihnen vom Staat quasi ein Monopol auf die ambulante Versorgung zugestanden wird, sind sie aber in der Pflicht, diese langfristig aufrechtzuerhalten.

Noch besteht eine Chance, die Praxisschließungen zu verhindern: Am Samstag wollen beide Seiten zu Gesprächen zusammenkommen. Dazu Ärztechef Heinrich: „Wir sind entschlossen, die Maßnahmen auszuweiten: Kommt es am Samstag zu keiner Einigung, werden die Verbandsspitzen Anfang nächster Woche über Praxisschließungen noch in diesem Monat entscheiden“, warnte Heinrich.

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