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Ernstfall. Ein Arzt überwacht einen Patienten auf der Intensivstation.

© dpa

Patientenverfügung: Ärzte fordern Beratungspflicht

Unter Ärzten sind Patientenverfügungen umstritten. Die einen halten sie für „Gedöns“, andere für eine wertvolle Handreichung - wenn der Verfasser vorher richtig aufgeklärt wird.

2008 war Vincent Lambert mit dem Motorrad verunglückt und ins Koma gefallen. Der Fall des heute 39-Jährigen hat in Frankreich zu einer Sterbehilfe-Debatte geführt, weil Lamberts Frau seine künstliche Ernährung einstellen lassen möchte, seine streng katholischen Eltern jedoch für deren Fortsetzung kämpfen. Sie setzten beim Europäischen Gerichtshof durch, dass ihr Sohn vorerst weiter ernährt wird, bis zur abschließenden Entscheidung des Gerichts. Bis dahin können Monate oder sogar Jahre vergehen.

Vorsorgen für den Fall der Fälle

Schicksale wie die des Franzosen Lambert sind es, die Bürger dazu bewegen, eine Patientenverfügung auszufüllen. Sie wollen für den Fall der Fälle vorsorgen. Vor fünf Jahren beschloss der Bundestag nach heftiger Debatte ein neues Gesetz zur Patientenverfügung, das dem Willen des Patienten Vorrang gab. Sein vorab schriftlich festgelegter Wunsch ist danach in jeder Krankheitsphase rechtlich bindend. Das Gesetz habe „mehr Klarheit am Krankenbett“ geschaffen, sagte der Bonner Palliativmediziner Lukas Radbruch gegenüber der Nachrichtenagentur KNA. „Zwar gibt es immer noch Ärzte, die solche Verfügungen für Gedöns halten und aushebeln wollen. Aber diese Hardliner werden weniger.“

Ärzte empfehlen ein persönliches Gespräch

Die meisten Patientenverfügungen seien untauglich für die Praxis, kritisiert dagegen die Deutsche Stiftung Patientenschutz. Der häufigste Fehler seien schwammige Formulierungen. „Ich möchte nicht künstlich ernährt werden“ – solche Aussagen seien zu vage, bemängelt Alexander Ebert, Sprecher der Stiftung. Er fordert, dass es eine Beratungspflicht geben müsse, damit die Verfügung im persönlichen Gespräch an die Bedürfnisse des Patienten angepasst werden kann. Allerdings weiß auch Ebert, dass an eine Novellierung des Gesetzes vorerst wohl nicht zu denken ist.

Nicht alle Formulare erfüllen den Zweck

Dass Ärzte Verfügungen immer wieder für „Gedöns“ halten und nicht anerkennen, hat die Stiftung ebenfalls beobachtet. Allerdings seien die Patienten daran nicht unschuldig, wenn sie etwa Formulare aus dem Internet downloaden würden, die den Ansprüchen nicht genügten. Jede Woche müsse sich die Schiedsstelle der Stiftung in Konflikte um Patientenverfügungen einschalten.

Solche negativen Erfahrungen macht Michaela Schwabe von der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland eher selten. Sie verteidigt bereits vorformulierte Patientenverfügungen, die oft ausführlich auf typische medizinische Grenzsituationen wie künstliche Ernährung oder Beatmung eingehen. Schwabe empfiehlt etwa die Muster-Verfügungen des Bundesjustizministeriums, des bayerischen Staatsministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz, der Stiftung Warentest und des Sozialverbands VDK.

Eine Verfügung kann nicht alles abdecken

Wie konkret, wie genau auf den Einzelfall bezogen muss eine Verfügung sein? Der Palliativmediziner Radbruch gibt zu, dass eine vorab verfasste Patientenverfügung kaum „auf den jeweiligen Krankheitsfall passt“. Dennoch seien Verfügungen „unschätzbar wertvoll, weil sie die Richtung zeigen, in die der Patient denkt, und welche Werte für ihn wichtig sind“.

Jochen Vollmann reicht das nicht. Der Medizinethiker von der Uni Bochum hält das Gesetz zwar für einen Fortschritt, weil es liberal ausgefallen sei und sich am Willen des Patienten orientiere. „Aber es ist unrealistisch anzunehmen, dass eine rechtliche Regelung sogleich die Praxis verändert.“ Vollmann geht es wie seinem Kollegen Georg Marckmann von der Münchner Universität darum, die in der Praxis aus ihrer Sicht weitgehend gescheiterte Patientenverfügung weiterzuentwickeln. „Gesundheitliche Vorausplanung“ heißt das Konzept, das sie als lebenslangen Gesprächsprozess verstanden wissen wollen. Wesentlich sei, dass Personen, für die eine Patientenverfügung infrage kommt, aktiv von Beratern aufgesucht werden, etwa in Altenheimen. In einer kürzlich veröffentlichten Studie, an der drei Seniorenheime beteiligt waren, habe sich gezeigt, dass viele Bewohner aufgrund der Beratung ihre Verfügungen geändert hätten – oder überhaupt erst eine formuliert hätten, berichtet Marckmann.

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