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Patientenverfügung: Keine Einigung, weil jeder siegen will

Der jahrelange Streit um die gesetzliche Absicherung des Willens von Schwerkranken droht im Nichts zu enden. Der Grund: Die Abgeordneten können sich nicht auf ein Abstimmungsverfahren einigen.

Der Streit um die gesetzliche Regelung von Patientenverfügungen füllt mittlerweile ungezählte Aktenordner. Papiere wurden verfasst, Experten beleuchteten in Stellungnahmen und Anhörungen alle Aspekte der Problematik gleich mehrfach. Im Kern ging es dabei stets um die Frage, wie bindend der Wille eines Menschen sein soll, der verfügt hat, unter bestimmten Umständen nicht mehr leben, sondern sterben zu wollen. Nach sechsjähriger Arbeit sollte eigentlich an diesem Donnerstag der Bundestag entscheiden. Doch am Dienstag wurde die Abstimmung von der Tagesordnung gestrichen.

Die Gründe dafür sind weder medizinischer, noch ethischer oder juristischer Natur. Es ist viel simpler. Die Initiatoren der ersten drei parteiübergreifenden Gruppenanträge zu der Problematik konnten sich schlicht nicht einigen, in welcher Reihenfolge ihre Gesetzesentwürfe abgestimmt werden sollen.

Dass über eine scheinbare Formalie nun ein so heftiger Streit entbrannt ist, dafür hat der Vize-Fraktionsvorsitzende der Union, Wolfgang Bosbach, eine einfache Erklärung: Jeder der Initiatoren wolle schließlich seinem Antrag die besten Chancen verschaffen, sagt er. Am schlechtesten stehen dabei die Karten für den Antrag, über den zuerst abgestimmt wird.  Denn anders als für die beiden folgenden fallen für diesen keine Stimmen von Abgeordneten an, deren Vorschlag bereits abgelehnt wurde.

Die Gruppe um den Unionsabgeordneten Bosbach, zu der auch SPD-Abgeordnete und Grüne gehören, und die die Reichweite von Patientenverfügungen begrenzen will, hat deswegen vorgeschlagen, "objektive Kriterien" für die Abstimmung zu benennen. Demnach solle entweder der Antrag, der zuerst in das Parlament eingebracht wurde, oder der weitestgehende oder der mit den meisten Unterstützern an die erste Stelle gesetzt werden. Für die Bosbach-Gruppe ginge dies in jedem Fall günstig aus. Ihr Antrag läge dann immer an der zweiten oder dritten Stelle.

Dagegen allerdings wehrt sich nun der SPD-Abgeordnete Joachim Stünker, der Initiator jenes Gruppenantrags, der Patientenverfügungen eine möglichst weitgehende Gültigkeit einräumen will. Auch dies ist wenig erstaunlich, schließlich würde sein Antrag in all diesen Fällen auf Platz eins liegen.

Stattdessen will Stünker über alle Anträge gleichzeitig abstimmen lassen. Dies ist ein durchaus mögliches Verfahren. Es wurde beispielsweise bei der Abstimmung über das Transplantationsgesetz Mitte der 90er Jahre angewandt, bei dem es unter anderem darum ging, zu entscheiden, ob der Hirntod mit dem Tod eines Menschen gleichgesetzt werden solle. Die Abgeordneten würden in diesem Fall einen Zettel erhalten, auf dem sie zwischen mehreren Möglichkeiten nur eine auswählen können.

Doch auch dieses Vorgehen hat einen eindeutigen Nachteil. So hätten die Abgeordneten nämlich nicht die Möglichkeit sich gewissermaßen für das kleinste Übel zu entscheiden, wenn ihre eigentliche Position keine Mehrheit bekommen habe, gibt etwa der SPD-Abgeordnete René Röspel zu bedenken, der zu den Mitinitiatoren des Bosbach-Entwurfs gehört.

Zusätzlich kompliziert wurde die Situation mittlerweile dadurch, dass der CDU-Abgeordnete Hubert Hüppe ankündigte, einen vierten Antrag einbringen zu wollen, in dem lediglich festgestellt wird, dass es keine gesetzliche Regelung geben solle.

Nicht ausgeschlossen ist, dass er damit am Ende im Bundestag – sollte es schließlich doch noch zu einer Abstimmung kommen – eine Mehrheit finden würde. Denn während die Anträge der anderen Initiatoren von insgesamt 350 Abgeordneten unterstützt werden, haben sich die übrigen 262 offensichtlich noch nicht entschieden. Es gäbe zur  Patientenverfügung eben noch keinen breiten gesellschaftlichen Konsens, sagt beispielsweise auch der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion Norbert Röttgen, der zu den Unterstützern Hüppes gehört. Deswegen wollten viele Abgeordnete nicht in letzter Minute eine Entscheidung mit der Brechstange herbeiführen.

Bosbach sieht dies allerdings anders. Dass den Verfechtern einer gesetzlichen Regelung häufig vorgeworfen werde, sie wollten das Sterben nominieren, sei falsch, findet er. Es gehe vielmehr darum, Rechtssicherheit zu schaffen. "Die Verbindlichkeit einer Patientenverfügung darf nicht vom Kräfteverhältnis am Krankenbett abhängen", sagt Bosbach.

Für ihn ist deswegen auch noch nicht aller Tage Abend. "Wir wollen in dieser Legislaturperiode über diese Frage abstimmen", sagt er. Wenn sich die Initiatoren nicht auf ein Vorgehen einigen könnten, müsse eben der Bundestag in einer Geschäftsordnungsdebatte über das Verfahren entscheiden. Dass ein solches Gezerre in einer ethisch wichtigen Frage nicht gerade einen guten Eindruck mache, stellt Bosbach allerdings auch nicht in Abrede.

ZEIT ONLINE

Katharina Schuler

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