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Politik: Patzte der Geheimdienst?

Ein Londoner Attentäter war überprüft und als ungefährlich eingestuft worden

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Im Zusammenhang mit den Anschlägen vom 7. Juli wächst in Großbritannien die Kritik an der Arbeit des Inlandgeheimdienstes MI5. Dem „Observer“ zufolge hatten Pakistans Geheimdienste London vor einem Anschlag gewarnt, nachdem sie am 2. Mai einen Libyer im Besitz eines Londoner U-Bahn-Plans verhaftet hatten. Neue Erkenntnisse widersprechen der These, dass die Attentäter „unbeschriebene Blätter“ und den Geheimdiensten unbekannt waren. In teilweise spekulativen Berichten werden viele Verbindungen genannt. Die drei Bomber aus Leeds hatten außerdem offenbar Hausverbot in mehreren Moscheen des Ortes. Am Sonntagabend nahm die Polizei dort außerdem sechs Personen fest. Grundlage der Verhaftung sei das Antiterrorgesetz, sagte ein Polizeisprecher. Er machte keine Angaben dazu, ob die Festnahmen in Zusammenhang mit den Londoner Anschlägen stehen.

Vor allem der als „Teamchef“ bezeichnete 30-jährige Hilfslehrer Mohammed Sidique Khan war offenbar gut vernetzt. Er und sein Komplize Shazad Tanweer waren in Pakistan und hatten dort Verbindungen zu Al Qaida. Ein dritter Terrorist, Germain Lindsay, soll auf einer Beobachtungsliste von US-Geheimdiensten gestanden haben. Khan wurde laut „Sunday Times“ vor einem Jahr im Zusammenhang mit einem vereitelten Plan eines Sprengstoffanschlags auf einen Londoner Nachtclub überprüft, dann aber als „periphere“ Figur eingestuft. Amerikanischen Angaben zufolge nahm er sogar an einem „Terroristengipfel“ in Pakistan teil, berichtet der „Independent“. Zudem hat er mit einem Al-Qaida-Werber in den USA telefoniert. Der dort einsitzende, geständige Al-Qaida-Computerexperte Mohammed Junaid Babar soll Khan identifiziert haben. Shazad Tanweer traf sich in Faisalabad in Pakistan mit dem inzwischen inhaftierten Islamisten Osama Nazir, so der „Daily Mirror“. Das habe Nazir pakistanischen Ermittlern bestätigt. Diese überprüfen zurzeit die Handy-Kontakte der Londoner Bomber. Der britische Inlandsgeheimdienst MI5 dürfte durch solche Berichte in Erklärungsnotstand kommen.

Je mehr Details über die Biografie der Attentäter bekannt werden, desto stärker wird bei deutschen Sicherheitsexperten der Verdacht, es könnten sich Verbindungen zur islamistischen Szene in der Bundesrepublik abzeichnen. Zwar gebe es bisher keine deutsche Spur, sagt ein Fachmann, aber eine Art Knotenpunkt in Pakistan: „Wir müssen uns genau anschauen, wer sich wann bei der Terrorgruppe Lashkar-e-Toiba aufgehalten hat“. Nach Angaben britischer Sicherheitsbehörden hat zumindest Shehzad Tanweer Ende 2004 oder Anfang 2005 in Pakistan auch Kontakt zu der Gruppe gehabt. Und in mindestens zwei Fällen gibt es den Verdacht, dass Islamisten aus der Bundesrepublik in Pakistan mit deren Mitgliedern zusammentrafen. Die Gruppe zählt zum Spektrum der Kaschmirrebellen, die den von Indien verwalteten Teil der Provinz „befreien“ wollen. Lashkar-e-Toiba ist mit Al Qaida eng verbündet. Nach dem US-Einmarsch in Afghanistan 2001 stellten die Kaschmirrebellen Ausbildungslager für islamistische Rekruten und halfen Al-Qaida-Kämpfern und Taliban bei der Flucht aus Afghanistan.

Vor zwei Jahren sei der damals in Süddeutschland lebende Ägypter Omar Y. bei Lashkar-e-Toiba gewesen, sagt ein Sicherheitsexperte. Omar Y. ist der Sohn des Islamisten Jahia Y. Dieser werde verdächtigt, er habe von Neu-Ulm aus jungen Muslimen „das Dasein als Mudschahedin nahe gebracht“. Er habe sich inzwischen vermutlich in Richtung Saudi-Arabien abgesetzt. Der Sohn wurde nach seiner Rückkehr aus Pakistan nach Ägypten abgeschoben. Der zweite Fall: Der tunesische Terrorverdächtige Ihsan G. hat sich nach Erkenntnissen der Bundesanwaltschaft zwischen 2001 und 2003 in Afghanistan und Pakistan aufgehalten. Ein Kontakt zu Lashkar-e-Toiba sei zu vermuten, sagt der Sicherheitsfachmann. Die Bundesanwaltschaft wirft ihm vor, zu Beginn des Irakkrieges im März 2003 Anschläge in Deutschland geplant zu haben. Der Tunesier habe auf Anweisung von Al Qaida gehandelt. Das Berliner Kammergericht sprach ihn in einem Prozess von dem Vorwurf frei, den Aufbau einer Terrorgruppe versucht zu haben. Die Bundesanwaltschaft hat Revision eingelegt.

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