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Peer Steinbrück: Angreifer Steinbrück plötzlich in der Defensive

Den Start Peer Steinbrücks in den Wahlkampf bezeichnen viele als Fehlstart. Was auch immer tut - das Thema Nebeneinkünfte wird er einfach nicht los. Der Angreifer muss sich nun verteidigen. Und das liegt ihm gar nicht.

Von Hans Monath

Volle Kanne Peer Steinbrück geht zum Beispiel so: „Wo ist die Kamera? Geht’s um Fußball oder um Bücher?“, pampt der designierte Kanzlerkandidat den Interviewer an, mit dem er Ende Oktober am Rande eines außenpolitischen Kongresses in Berlin verabredet ist. Natürlich geht es dann nicht um seinen Verein Borussia Dortmund oder um historische Lektüre, sondern um Europa, um die Schuldenkrise, um China und Nahost. Als der Gast mit der randlosen Brille seine Antworten abgeschossen hat und aufsteht, ist das Hemd des jungen Journalisten durchgeschwitzt.

Drei Wochen später steht fest, dass seine Methode „Vorwärts mit Karacho“ nicht immer funktioniert. Und dass es nicht um Fußball und Bücher gehen wird, wo immer in den kommenden Wochen eine Kamera auf ihn wartet, nicht nur um Euro-Rettung und Finanzmarktregulierung, sondern vor allem um Nebeneinkünfte und üppige Honorare. Um die soziale Empfindsamkeit von SPD-Wählern und um abgestürzte Umfragewerte. Und seltener um die politischen Kernversprechen der SPD.

Der Angreifer Steinbrück ist plötzlich in der Defensive – und das ist eine Position, in der er sich sich ganz und gar nicht wohl fühlt. Der Besserwisser, der Schnelldenker, der stolz Eigensinnige soll sich nun der Moral der Medien unterwerfen und büßen, obwohl er die meisten Vorwürfe und Attacken für höchst ungerecht und scheinheilig hält, wie er ab und an durchblicken lässt.

„Persönliche Dünnhäutigkeit“ hat Volker Kauder ihm kürzlich im Bundestag vorgehalten, als der Herausforderer die Europapolitik der Kanzlerin attackierte. Der Unions-Fraktionschef fügte hinzu: „Sie sind sehr gut im Austeilen, aber Sie müssen auch im Einstecken gut werden, Herr Kollege!“

Wer es mit Steinbrück gut meint, könnte auf die Idee kommen, dass der 65-Jährige nun das Einstecken üben und daraus für den Wahlkampf lernen kann, der ja noch elf lange Monate dauern wird. Und endlich hat er ja auch sein Beraterteam, das ihm widersprechen soll. Wer realistisch ist, nennt es einen grandiosen Fehlstart der Steinbrück’schen Aufholjagd gegen Angela Merkel. In der SPD beschreiben viele bis in die Spitze die andauernde Debatte unverblümt mit den Worten „große Scheiße“.

Sehr zufrieden mit den Nachrichten über den Herausforderer dagegen sind die schwarz-gelben Koalitionäre. „Seit sieben Wochen ist er Kandidat, und seit sieben Wochen kämpft er gegen sich selbst“, sagt ein Regierungsmann frohlockend. Und fügt schadenfroh hinzu: „Er hat das Zeug dazu, über die eigenen Beine zu stolpern.“

Sehr erleichtert waren die Sozialdemokraten, als Ende September die Entscheidung fiel, die ihre Partei von der komplizierten Troika-Inszenierung erlöste. Doch inzwischen wachsen die Zweifel an den Aussichten des Kandidaten, der in der Vergangenheit seine Genossen mit seiner Arroganz oft provoziert hatte. Viele in der SPD sehen weniger den Umstand als Belastung an, dass der Bundestagsabgeordnete Steinbrück nach seinem Abschied als Finanzminister viel Geld verdient hat. Als Problem gilt sein Krisenmanagement und sein langes Warten, bis er dann eine Liste der Vortragshonorare präsentierte.

Lange arbeitet Steinbrück sich an der Unterstellung von Koalitionsvertretern ab, er habe sich abhängig gemacht. Doch da steht längst schon ein viel gefährlicherer Verdacht im Raum, der ihn von den Wählern der SPD entfremden kann. Was, wenn sich der Eindruck festsetzt, dass ein Politiker, der selbst üppig verdient, kein Verständnis für die Nöte der sozial schlechter gestellten SPD-Wähler aufbringt? Das würde Steinbrücks Chancen minimieren, die eigene Wählerschaft und darüber hinaus zu mobilisieren.

Dabei gelingt es dem SPD-Mann im direkten Kontakt mit seiner Basis durchaus, die Zuhörer mit seinen politischen Thesen anzusprechen – vor allem auch mit solchen Themen, die mit seinem öffentlichen Bild bislang nicht verbunden sind. Am vergangenen Sonnabend etwa feierte der Landesparteitag der niedersächsischen SPD in Wolfsburg den Kandidaten schon beim Einzug in die Halle. Ex-Kanzler Gerhard Schröder steht von seinem Platz in der ersten Reihe auf und umarmt demonstrativ den Verteidiger seiner Agenda-Politik. Der wird sich gleich mit einem Lob an das „große Vorbild für gutes Regieren“ und erfolgreiche Wahlkämpfe revanchieren.

In Hamburg kommt das an: „Banken müssen auch koppheister gehen können“

Eine Dreiviertelstunde redet der Ex-Finanzminister in Wolfsburg – nicht nur über Europa und die Finanzmärkte, sondern auch über die Gleichstellung der Geschlechter, den Kampf gegen prekäre Beschäftigung und kommunale Finanznot, über mehr Betreuungsplätze für Kinder und ein neues Programm für sozialen Wohnungsbau. Die Genossen bedanken sich mit Jubelrufen und minutenlangem rhythmischen Klatschen.

Nur der eine Satz des niedersächsischen SPD-Spitzenkandidaten Stephan Weil in der Kongresshalle ist vielleicht für die Sozialdemokraten und ihren Kanzlerkandidaten nicht ganz so aufbauend, wie der Redner ihn meint. „Wie der Geist von Hamlets Vater wabert Christian Wulff durch die Reihen der niedersächsischen CDU“, höhnt Weil.

Denn auch für Steinbrück könnten die Nebeneinkünfte eine Debatte werden, die er lange nicht los wird, ein Thema, das er eigentlich für tot hält, und das doch hinter jeder Ecke und jedem Vorhang, auf jeder Mauerzinne lauert – wie Hamlets Vater. Seine Hoffnung, so sagte der Kanzlerkandidat, setzt er auf einen Regierungswechsel in Niedersachsen bei der Wahl am 20. Januar, der die „politische Mechanik in Deutschland“ verändern würde.

Dann wäre das Thema Stadtwerke Bochum und die Vortragsreisen mit der Abgeordneten-Bahncard wohl tatsächlich abgeräumt, allein weil der Zerfallsprozess der Regierung Merkel viel spannender wäre.

Auch am Dienstag in Hamburg beim „Bürgerdialog“ in der Markthalle kann Steinbrück die rund 250 parteinahen Gäste mit Thesen in seinen Bann ziehen, die weit weg sind von dem leidigen Thema Nebeneinkünfte. Der gebürtige Hanseat präsentiert sich in der Arena als „Hamburger Jung“ und Alleinunterhalter, streut locker den Zuhörern vertraute Begriffe ein („Banken müssen auch koppheister gehen können“) und zeigt bis auf wenige Ausnahmen viel Geduld auch mit abseitigen Fragen.

Dann wirbt er wieder für den Kampf gegen die Spaltung des Arbeitsmarktes, die Frauenquote und bezahlbare Mieten. Kein einziger Gast attackiert ihn wegen seiner Nebeneinkünfte. Erst beim Folgetermin in Lübeck am selben Tag fragen junge Gewerkschaftsvertreter danach.

Was die Quote angeht, hat Steinbrück vor wenigen Tagen im „Roten Frauensalon“ im Willy-Brandt-Haus noch einmal ein Bekenntnis abgelegt und gestanden, dass er früher dagegen gewesen sei, doch nun eine „Lernkurve“ hinter sich gebracht habe. Auch in Hamburg spricht er darüber, dass er seine Meinung aus seiner Zeit als Finanzminister geändert hat: „Ich habe festgestellt, es klappt nicht ohne.“

Ob er mit seinem Profil als Finanzpolitiker bestehen könne und wisse, dass Frauen wahlentscheidend sein könnten, will eine Fragerin wissen. „Ich habe nicht das verklemmte Verhältnis zu Frauen, das mir in Kommentaren immer unterstellt wird“, sagt Steinbrück und fährt dann das ganze Reservoir an SPD-Themen auf. Dem Publikum scheint das zu gefallen.

Doch in der Öffentlichkeit geht die Debatte trotz der Teil-Offenlegung von Steinbrücks Nebeneinkünften einfach weiter, wogegen sich der Kandidat verwahrt. Die Berechnung seiner Buchhonorare, so schimpft er in einem Radiointerview, empfinde er als „eine Art Neidkomplex-Debatte, die ganz gezielt meine Integrität treffen sollte“. Und im Ringen um das Honorar von 25 000 Euro für einen Plausch bei den Stadtwerken der hoch verschuldeten Kommune Bochum schaltete der Politiker zunächst auf stur, bevor er ankündigt, die Summe zu spenden, und am Sonntag schließlich sagt er, ihm habe in diesem Fall wohl „das Fingerspitzengefühl“ gefehlt.

Steinbrück soll endlich reinen Tisch machen, fordern viele

Intern werden die Stimmen lauter, die von Steinbrück verlangen, jetzt vollends reinen Tisch zu machen, etwa auch die Buchhonorare offen zu legen, damit die schädliche Debatte endlich zu Ende geht und auf dem Nominierungsparteitag am 9. Dezember ein „Neustart“ gelingt. Noch ist die Partei erstaunlich diszipliniert, mit öffentlicher Kritik halten sich die meisten Spitzenpolitiker aus den Ländern und aus dem Bund zurück.

Wer sich kritisch äußert, attackiert nicht die Person, sondern die schädliche Debatte. Dabei gibt es sogar schon Zweifel, wie lange Steinbrück sich dies Durchleuchten seiner Finanzverhältnisse noch antun will. In einem Hintergrundkreis, der natürlich streng vertraulich ist, findet ein eloquenter und aufstrebender SPD-Politiker plötzlich lange keine Antwort auf die Frage, ob der gegenüber Attacken auf seine Person bekanntermaßen empfindliche Ex-Finanzminister seine Kandidatur auch wirklich durchhält.

Die ganze SPD will Steinbrücks scharfe Konturen, die Unterscheidbarkeit von Merkels Politik, die der Kandidat verspricht. Die wichtigsten Vertreter des linken Parteiflügels haben ihn verteidigt, der Chef der Parlamentarischen Linken, Ernst-Dieter Rossmann, ebenso wie Juso-Chef Sascha Vogt.

Der Sprecher der SPD-Linken im Bundesvorstand, Ralf Stegner, empfiehlt eine Doppelbotschaft: Einerseits sollen die Sozialdemokraten durchaus Verständnis für die Verstörung aufbringen, mit der das eigene Wählermilieu auf die Nachricht von Honoraren reagiert, von denen einige das Jahreseinkommen mancher Rentner übersteigen. Andererseits will der schleswig-holsteinische SPD-Chef auch in dieser Debatte in die Offensive kommen. Deshalb lobt er die Transparenz, die Steinbrück hergestellt hat, und attackiert Union und FDP für ihre Weigerung, dem Vorbild nachzukommen.

Ganz uneigennützig sind die Verteidigungsreden nicht. Mancher Steinbrück-Unterstützer nämlich erwartet politische Gegenleistungen für seine Hilfe. Der muss das Kunststück fertig bringen, zugleich seine Partei um sich zu scharen und weiter als Mann der klaren Kante rüber zu kommen, der niemandem nach dem Mund redet – auch nicht einer Partei.

Das ist das Image, an dem Steinbrück lange gearbeitet hat. In seinem Buch „Unterm Strich“ hat er vor zwei Jahren das Idealbild eines Politikers entworfen. Der sei „weder von seinen Überzeugungen her noch in seinem Auftreten ein Diener oder Sprachrohr seines Parteimilieus“ und bürste „gelegentlich gegen den Strich des parteiverträglichen Kodex“.

Will er den Vorsätzen nicht untreu werden, steht Steinbrück am Wochenende ein besonders schwieriger Spagat bevor. Der Kandidat will auf dem Bundeskongress der Jusos in Magdeburg um die Unterstützung des SPD-Nachwuchses werben, mit dem er oft aneinander geraten ist. Vor wenigen Jahren wehrte er als Finanzminister auf einem Juso-Kongress eine Forderung seiner Gastgeber ab. „Ich kann die Finanzmärkte nicht regulieren“, schmetterte er damals.

Die Jusos erinnern sich gut daran, weshalb der heutige Finanzmarktregulierer Steinbrück womöglich wieder eine „Lernkurve“ in Anspruch nehmen wird. Er muss danach nur irgendwann wieder geradeaus fahren.

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