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Politik: Pendeln ohne Ende

Von Hermann Rudolph

Berlin reibt sich die Augen. Hat der schöne Beschluss, mit dem die Stadt als Hauptstadt ins Grundgesetz einrücken soll, einen Pferdefuß? Oder ist die Debatte, die über den beabsichtigten Anhang des neuen Verfassungsartikels entstanden ist, nur ein Zeugnis notorischer Berliner Nervosität? Geht es nach der Föderalismuskommission, so würde die Bundesrepublik nicht nur dem von Berlin verfolgten Wunsch entsprechen, sich per Grundgesetzartikel zu ihrer Hauptstadt zu bekennen. Zugleich soll der Hauptstadtbeschluss von 1991 den Segen einer gesetzlichen Bestätigung bekommen – und damit auch die im Bonn-Berlin-Gesetz von 1994 konkretisierte „faire Arbeitsteilung“ zwischen Berlin und Bonn. Was heißt: Sechs Ministerien sollen in Bonn verbleiben, vorerst auf ewig.

Das bedeutet nicht, dass die Hauptstadtklausel durch eine gleichrangig im Grundgesetz verankerte Bonner Besitzstandsgarantie entwertet würde. Die grundgesetzliche Befestigung des Hauptstadtcharakters soll – so könnte die wohlwollende Lesart lauten – durch die Garantie für die sechs Ministerien in Bonn nur ergänzt werden. An der rechtlichen und faktischen Lage ändert das nichts, und der Regierende Bürgermeister hat ja auch schon erklärt, dass er die ganze Aufregung nicht verstehe. Aber die gesetzliche Bekräftigung der sechs Ministerien in Bonn stärkt eben auch den Vorbehalt gegen Berlin als die Hauptstadt, zu der es mehr und mehr wird. Und um diese Wirkung geht es.

Tatsächlich macht die Debatte eine neue Stufe des Hauptstadtstreits deutlich. Darum geht es: Kann der Hauptstadtbeschluss mit seiner Aufteilung von Ministerien, Verwaltung und seinem Beamten-Pendelbetrieb wirklich das Modell für die Zukunft des Regierens in der Bundesrepublik sein? Obwohl sich doch zunehmend alles anders entwickelt hat, als man damals, vor bald 15 Jahren, gedacht hat, und die Arbeitsteilung zwar im Gesetz steht, in der Wirklichkeit aber weitgehend entleert ist? Trotz des massiven „Rutschbahneffekts“, der Abwanderung der Politik nach Berlin? Sie ist ja nicht das Ergebnis eines heimtückischen Kleinkriegs gegen Bonn, sondern Folge eines Gefälles, das in den Funktionsabläufen der Politik selbst begründet ist? Kann man es aufhalten, soll man es? Oder wie soll man sonst mit ihm umgehen?

Was das angeht, so ist der Passus, den die Föderalismuskommission dem neuen Grundgesetzartikel anfügen will, ganz unmissverständlich. Gegen die Festschreibung der Hauptstadt im Grundgesetz setzt er die Festschreibung des Status quo. Er möchte die Entwicklung stoppen, die in den letzten Jahren die ursprünglich beschlossene Berlin-Bonner Arbeitsteilung mehr und mehr zu Gunsten von Berlin verschoben hat. Auch wenn das defensiv gemeint ist, wird es doch seine Wirkungen nicht verfehlen. Es wird dem Ziel der Verankerung der Hauptstadt im Grundgesetz jedenfalls nicht nützen: Hauptstadt und Bundesrepublik in ein fruchtbares, einverständliches Verhältnis zu bringen, das die Identität der Republik stärkt.

Denn das ist das Thema, das eigentlich zur Debatte steht: Wie können Berlin, als Hauptstadt noch immer im Werden, und die föderalistische, bald ein halbes Jahrhundert hauptstadtentwöhnte Bundesrepublik zueinander finden? An der Konstruktion des Hauptstadtbeschlusses, also einer Regierungsellipse mit den zwei Polen Berlin und Bonn, ist – wenn wir ehrlich sind – die Zeit längst vorbeigegangen. Aber auch eine Hauptstadt, die nach französischen oder englischem Vorbild die dominante Zentrale des ganzen Landes wäre, kann kein Modell für den Bundesstaat Bundesrepublik sein. Dass die restlichen Ministerien von Bonn nach Berlin ziehen, ist deshalb auch keine Lösung. Notwendig wäre eine Hauptstadt, an der die Länder ihren Anteil in konstruktiver Weise nehmen: eine föderale, von den Ländern mitgetragene Hauptstadt. Das bloße Sich-dagegen-Stemmen bringt gar nichts. Gefragt ist der Wille, von den Bonn-Berlin-Fronten, die noch die Hauptstadtentscheidung mittrugen, Abschied zu nehmen.

Das wäre eine schöne Aufgabe für eine Föderalismuskommission.

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