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Pendler-Urteil: Keine Neuregelung vor der Wahl

Die Große Koalition nimmt den Rüffel der Karlsruher Verfassungsrichter bezüglich der gekürzten Pendlerpauschale klaglos hin – die Bürger sollten sich jetzt ans Finanzamt wenden. Mit der Rückzahlung des Geldes kann bis März 2009 gerechnet werden.

Von Antje Sirleschtov

Die aktuelle Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Vereinbarkeit der Pendlerpauschale mit dem Grundgesetz bedeutet für rund 20 Millionen Berufstätige in Deutschland eine Anhebung der Nettoeinkommen – und zwar rückwirkend ab Januar 2007. Ab diesem Zeitpunkt galt bis zum Dienstag die Regelung der großen Koalition, nach der der Staat den Wegeaufwand vom Wohnort zur Arbeitsstelle nicht mehr vom ersten, sondern erst ab dem 21. Kilometer steuerlich berücksichtigt.

Die Richter haben im Grundsatz nicht die Pauschale in den Verfassungsrang erhoben. Sie stellten allerdings klar, dass ein Gesetzgeber den Steuerbürger nicht in seinem verfassungsmäßigen Recht beschneiden dürfe, nach dem er Kosten, die bei der Einkommenserzielung entstehen, von der Steuer absetzen darf, genauso wie er Einkommen versteuern muss. Man nennt das das „Nettoprinzip“. Das deutsche Steuerrecht hat hierzu eine ganze Reihe von Einzelregelungen geschaffen. Und diese, so erkannten die Richter, darf ein Gesetzgeber nicht „willkürlich“ kürzen – auch nicht zur Konsolidierung des Staatshaushaltes.

Wie lange die Pendlerpauschale in ihrer alten – und vorerst fortgeltenden – Form bestehen wird, hängt davon ab, wann sich der Gesetzgeber zu einer Neuregelung entscheidet. Eine Möglichkeit wäre, die Pendlerpauschale ganz abzuschaffen und dafür etwa die Werbungskostenpauschale anzuheben, die im Grundsatz eine ähnliche Funktion hat. Eine solche Systemumstellung auf Pauschalen statt der derzeitigen Einzelfallbetrachtung käme übrigens dem Steuermodell des Ex-Verfassungsrichters Paul Kirchhof nahe, der im Bundestagswahlkampf 2005 von der SPD als „Professor aus Heidelberg“ verunglimpft wurde. Der Professor wollte beinahe alle Einzelfallregelungen abschaffen und durch eine großzügige Pauschale ersetzen.

Wann eine Neuregelung ansteht, ist indes unklar. Schließlich ist in neun Monaten Bundestagswahl, und die große Koalition wird sich kaum mehr zu einer Neuregelung entschließen. Gleichwohl warnte etwa der Vorsitzende des Arbeitnehmerflügels der Union, Karl-Josef Laumann (CDU), bereits jetzt, die Pauschale im Zuge einer Neureglung zu kürzen. „Dies wäre ein völlig falsches Signal.“ Auch der SPD-Fraktionsvize Joachim Poß und der SPD-Finanzexperte Hans-Ulrich Krüger mahnten, bei einer Neuregelung dürfe es „für niemanden zu Schlechterstellungen kommen“. Man muss hier allerdings hinzufügen, dass sowohl Sozialdemokraten als auch Christdemokraten 2006 die Pauschale als Steuervergünstigung bezeichnet und für deren Kürzung votiert hatten.

Betroffene Steuerzahler sollten sich nun möglichst rasch an ihr Finanzamt wenden und darauf hinweisen, dass sie einen Anspruch auf Rückerstattung der zu viel gezahlten Steuern geltend machen. Zur Erinnerung: Bis Ende 2006 konnte jeder zum Arbeitsort gefahrene Kilometer steuerlich anerkannt werden. Relevant ist das jedoch nur für diejenigen, die mehr als 13,9 Kilometer zurücklegen – der Weg, der nicht durch den Werbungskosten-Pauschbetrag abgegolten ist. Wer bereits vorsorglich alle Entfernungskilometer angegeben und vom Finanzamt für 2007 einen vorläufigen Steuerbescheid erhalten hat, bekommt eine Rückzahlung. Diese Steuerzahler müssen jetzt nichts tun. Alle anderen, die keine Entfernung oder nur die ab dem 21. Kilometer angegeben haben, sollten jetzt die Ansprüche anmelden. Eine formlose Mitteilung reicht aus. Mit der Rückzahlung des Geldes kann bis März 2009 gerechnet werden.

Die Bundesregierung – und vor allem das Bundesfinanzministerium –, deren Auffassung die Richter entschieden entgegentraten, zeigten nach der Urteilsverkündung kein Bedauern über die Regelung, vor deren Verfassungsfeindlichkeit lange gewarnt wurde. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) deuteten ihre Niederlage sogar in einen Gewinn um. Die 7,5 Milliarden Euro, die die Steuerzahler für 2007 bis 2009 netto mehr erhielten, stellten nun ein „willkommenes“ Konjunkturprogramm zur Bewältigung der Finanzkrise dar, hieß es. Die Notwendigkeit einer solchen „Konsumspritze“ allerdings hatten Merkel und Steinbrück bislang bestritten.

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