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Passen Angebote von Internetdiensten wie Google und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung eigentlich zusammen?

© dpa

Persönlichkeitsrecht und Google: Juristen wollen die Frau ohne Vorleben

Beim Juristentag in München wird mehr Schutz im Internet gefordert. Es geht unter anderem um die Funktion der Autovervollständigung bei der Suche von Namen - ein Anlass ist der Fall von Bettina Wulff. Bundesrichter fragen gar: Gefährden Google & Co. den Grundrechtsschutz?

Der Mensch im Netz als Opfer, Täter, Ausgespähter, er stand am Mittwoch im Zentrum des Juristentags in München. Angespielt hatte das Thema bereits Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), als sie zum Auftakt der Veranstaltung die Autocomplete-Funktion von Google kritisierte. Dabei werden Suchbegriffe automatisch um weitere Begriffe ergänzt, die andere Nutzer häufig eingeben. Ein Weg, Gerüchte zu verbreiten, ob wahr oder unwahr. Bettina Wulff, Gattin des zurückgetretenen Bundespräsidenten, muss sich deshalb gefallen lassen, unter anderem mit „Vorleben“, „Vergangenheit“ und „Escort“ in Verbindung gebracht zu werden.

Während die Ministerin auf Folgerungen aus ihrer Kritik verzichtete, wurde Berlins Datenschutzbeauftragter Alexander Dix auf dem rechtspolitischen Kongress deutlich: Frau Wulff sei mit falschen Gerüchten belastet worden, für Verleumdungen per Mausklick gebe es keine Rechtfertigung. „Notfalls muss die Autovervollständigung abgeschaltet werden“, sagte Dix. Was Google für US-Konzerne zu tun bereit sei, die ihre Angebote nicht mit illegalen Tauschbörsen verbunden sehen wollten, das könne das Unternehmen auch für Persönlichkeitsrechte leisten.

Eine Forderung, die sich durchsetzen könnte. Der Juristentag gilt als einflussreiches Gremium. Er will dem Gesetzgeber vorschlagen, was zu tun ist. Rund 3000 Experten, Richter, Anwälte, Professoren, stimmen am Schluss über die Thesen ab. Oft wurde später Recht, was hier empfohlen worden war.

Glaubt man, was die Experten sagen, kündigt sich ein Umdenken an, bei dem den Grundrechten eine tragende Rolle zukommt. Eigentlich schützen sie Einzelne vor dem Staat. Doch im Netz gehen die aktuellen Gefährdungen nach Ansicht der Juristen von Google, Facebook, Apple, Amazon und anderen aus. Ebenso wird die für die Netzkommunikation nötige Infrastruktur von Privaten gestellt. „Was früher der Staat machte, machen heute Telekommunikationsunternehmen“, konstatierte der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Ferdinand Kirchhof. Damit sei die Frage aufgeworfen, ob diese nicht dieselbe Schutzpflicht für die Grundrechte treffe. „Das wäre eine Revolution“, sagte Kirchhof.

Der Datenschutzbeauftragte Dix wäre bereit, sie mit anzuführen. Google und Facebook stellten heute Rahmenbedingungen für Kommunikation her und definierten sie in ihrem Interesse. Facebook verfüge über die weltgrößte Bilddatenbank. Staat und Private wollten Zugriff auf die Datenmassen. Als abschreckendes Beispiel nannte Dix einen Fall aus den USA, bei dem eine magersüchtige Patientin die Behandlungskosten von ihrer Versicherung erstattet haben wollte. Daraufhin habe die Firma vor Gericht durchgesetzt, dass die Frau ihre Mail- und Facebook-Kontakte offenlegen musste. So sollte bewiesen werden, dass die Erkrankung psychisch bedingt sei und die Kosten deshalb nicht übernommen werden müssten. „Die von den Netzwerken versprochene Intimität ist eine Illusion“, sagte Dix. Auch verteidigte er ein „Recht auf Vergessenwerden“ im Netz als wichtiges Element des informationellen Selbstschutzes. Das Internet sei eine gestaltbare Kommunikationsplattform, es entziehe sich nicht der Regulierung.

Sorgen bereitet den Juristen weniger das Ob der Regulierung, sondern das Wie – auch aufseiten des Staates, der im Netz Straftaten verfolgen und Beweise sichern will. Hier kündigte sich bei dem Kongress die nächste Revolution an, angestoßen von Armin Nack, Vorsitzender des Ersten Strafsenats am Bundesgerichtshof. Er meint, die Regeln für die Befugnisse der Ermittlungsbehörden, etwa zur Telekommunikationsüberwachung, würden von der rasanten Entwicklung der Netztechnik überholt. Es müsse deshalb Schluss damit sein, für jede neue Technik einen neuen Paragrafen ins Gesetz zu schreiben. „Wenn das Gesetz mit der Technik Schritt halten will, muss es zukunftsoffen sein“, sagte Nack.

Tatsächlich hält die Strafprozessordnung einen schwer überschaubaren Katalog anwendungsbasierter Ermächtigungen bereit, „Monsterparagrafen“ nennt Nack einige davon, weil sie lang und kompliziert sind. Derzeit erwägt das Justizministerium, auch die umstrittene Quellen-Telekommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ) eigenständig zu regeln, um das Belauschen von Skype-Gesprächen besser zu erfassen. Nack meint, man müsse sich bei der Gesetzgebung stattdessen an Art und Intensität des Grundrechtseingriffs orientieren. Die Anpassung an die jeweilige Technik besorgten dann die Gerichte. So wisse derzeit niemand, nach welcher Vorschrift etwa das Auslesen einer Reiseroute auf der Navigations-App eines Smartphones möglich sei. Daraus entstehe Rechtsunsicherheit und Streit über die Verwertbarkeit solcher Daten vor Gericht. Für die Quellen-TKÜ fürchtet Nack einen neuen „Monsterparagrafen“.

Unterstützung für seinen Vorstoß erhielt Nack von Jürgen Stock, Vizepräsident des Bundeskriminalamts. Vorbild solcher „technikoffenen“ Normen könnten die Befugnisse im BKA-Gesetz sein. Die Kriminellen übertrugen die Muster ihrer Tatbegehung zunehmend ins Netz. Unternehmen würden mit der Drohung von Server-Attacken erpresst. Es habe sich eine „Underground-Economy“ mit dem Handel illegal entzogener Daten entwickelt.

Für die Informatikerin Constanze Kurz ein übertriebenes Szenario. Sie möchte sich vom Begriff der „Internetkriminalität“ lieber verabschieden. Eine Bedrohung sieht sie eher in der staatlichen Überwachungssoftware. Datenmanipulation könne technisch nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, auch nicht bei der Software für die Quellen-TKÜ.

Der Juristentag ist das größte rechtspolitische Forum in Europa. Noch bis Freitag werden rund 3000 Rechtsexperten aktuellen Fragen zur Gesetzgebung nachgehen.

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