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© pa/dpa

Personalwechsel: Schwarzer Rauch über Karlsruhe

Die Bundesgerichte bekommen neue Spitzen – die Auswahl läuft verschworen ab wie bei einer Papstwahl.

An der Spitze der deutschen Justiz steht ein umfassender Personalwechsel bevor. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe bekommt einen neuen Vizepräsidenten und einen neuen Richter, auch am Bundesgerichtshof in Karlsruhe und dem Bundessozialgericht in Kassel wechseln im nächsten Jahr die Präsidenten.

Aber welche vier Juristen künftig an der Spitze der dritten Gewalt stehen werden, darüber kursieren nur Gerüchte – und wahrscheinlich sind die meisten davon falsch. Sicher ist nur, dass die Koalitionspartner in Berlin bereits verhandeln und demnächst die Personalentscheidungen treffen werden. Aber das geschieht hinter verschlossenen Türen. Noch immer wird in Deutschland mehr darüber berichtet, wer neuer Verfassungsrichter am Supreme Court der USA werden soll als über die Richter im eigenen Land.

Wegen der Geheimniskrämerei verglich schon mancher die Wahlen zu Deutschlands höchsten Gerichten mit der römischen Papstwahl. Aber auch die „Reise nach Jerusalem“ bietet sich als Vergleich an: Mehrere Kandidaten kreisen um die Stühle. Wer am Ende auf welchem Stuhl sitzt und wer leer ausgeht, wissen die Bewerber bis zum Ende oft selbst nicht.

Für Außenstehende hat die Kandidatenkür den unguten Beigeschmack der Kungelei. Denn die Regierungsparteien einigen sich zunächst intern. Da Bundesverfassungsrichter stets mit Zwei-Drittel- Mehrheit gewählt werden, müssen sich die großen Volksparteien zuvor einigen. Auch als in Berlin noch Rot-Grün regierte, hatte deshalb die Union bei den Verfassungsrichterwahlen mitzureden. In der jetzigen großen Koalition können die großen Volksparteien ohne die kleinen Parteien entscheiden. Die Hälfte der Karlsruher Verfassungsrichter wird von der Union, die Hälfte von der SPD vorgeschlagen.

Auch der Präsident des BGH, Günter Hirsch, und Matthias Wulffen vom Bundessozialgericht in Kassel erreichen im Januar 2008 die Pensionsgrenze. Ihre Nachfolger werden von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) nach Absprache mit dem Koalitionspartner ernannt.

Mindestens drei Reformvorschläge gibt es, um die Personalentscheidungen transparenter zu machen und sie vom Verdacht der Parteienpatronage zu befreien. Aber alle wurden wieder verworfen. Vor allem aus der Richterschaft kommt der Ruf nach mehr Mitsprache. Kritiker warnen, dass eine Selbstrekrutierung der Richterschaft zu einer Zementierung des Bestehenden führe. Denn Juristen neigen wie alle Menschen dazu, Kollegen mit der gleichen Meinung für viel qualifizierter zu halten als solche mit konträren Auffassungen. Die Pluralität wäre nicht mehr gesichert. Der frühere Bundesverfassungsrichter Jürgen Kühling, selbst Sozialdemokrat, widersprach der Forderung öffentlich. Das Demokratieprinzip verlange, dass gewählte Volksvertreter über die Besetzung der dritten Gewalt entscheiden, nicht die Richterschaft selbst.

Ein weiterer Reformvorschlag sieht eine öffentliche Kandidatenanhörung vor. Warnende Stimmen befürchten Zustände wie in den USA. Ein Kandidat würde „öffentlich ausgezogen“. Zudem würden dann nicht die Geeignetsten, sondern die Eloquentesten gewählt.

Nach einem dritten Vorschlag sollen die Parteien die Namen ihrer Kandidaten vor der Wahl veröffentlichen. Nicht einmal dieser Vorschlag setzte sich durch. Denn unverständlicherweise wird es in der Justiz nicht als Ehre empfunden, als Präsident eines Bundesgerichts nominiert, letztlich aber nicht gewählt worden zu sein. Während Filmschaffende noch jahrelang mit Oskarnominierungen Reklame machen, empfinden Juristen es als schwarzen Fleck in ihrer Biografie, zwar vorgeschlagen, aber nicht gewählt worden zu sein. Selbst die Grünen hielten während der rot-grünen Koalition ihren Mann für das Bundesverfassungsgericht – Brun-Otto Bryde – lange geheim. „Wir wollen den Kandidaten nicht beschädigen“, heißt die übliche Erklärung.

Für den im Februar 2008 ausscheidenden Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts Winfried Hassemer war der frühere NRW-Justizminister Jochen Dieckmann (SPD) im Gespräch. Dieser Name fällt in jüngster Zeit jedoch nicht mehr. Ob für Verfassungsrichter Wolfgang Hoffmann-Riem Ende März der Bonner Staatsrechtler Joachim Wieland nachfolgt, ist ebenfalls nur ein Gerücht. Dass der noch amtierende Präsident des Bundesgerichtshofs Günter Hirsch von Bundesrichter Klaus Tolksdorf ersetzt wird, ist noch nicht entschieden. Fest steht, dass die Sozialdemokraten den Nachfolger des Bundessozialgerichts vorschlagen. Die Union hat da aber auch eigene Ideen. Wer am Ende welchen Stuhl in Karlsruhe und Kassel besetzen wird, ist im Moment noch so wenig vorhersehbar wie bei der „Reise nach Jerusalem.“

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