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Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU)

© Reiner Zensen/Imago

Peter Altmaier über Volkswagen, Syrien, Flüchtlinge: Putin? „Wir sind nicht erpressbar“

Im Interview äußert sich Kanzleramtsminister Peter Altmaier über Angela Merkels Verhältnis zu Innenminister Thomas de Maizière in der Flüchtlingskrise, den VW-Abgas-Skandal und zur Debatte um Sanktionen gegen Russland.

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Herr Altmaier, was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie mit Ihrem Fahrrad morgens an der Kreuzung hinter einem VW-Diesel stehen?

Ach wissen Sie, ich freue mich immer, wenn ich mit dem Fahrrad durch Berlin fahre. Da kann man nämlich sehen, wie sehr sich unsere Städte zum Guten verändert haben. Wir haben es geschafft, Mobilität mit sauberer Umwelt zu vereinbaren. Dieses Ziel muss uns auch in Zukunft leiten. Daran dürfen unsere Autobauer keinen Zweifel aufkommen lassen.

Wie passt dieser Anspruch zum massenhaften Betrug bei Abgasmessungen, begangen von einem der traditionsreichsten deutschen Automobilkonzerne?

Gar nicht. Der Volkswagen-Konzern reklamiert für sich, ein Unternehmen mit hohem ökologischen Anspruch zu sein. Daran muss sich VW jetzt messen lassen. Oberstes Ziel muss es sein, Vertrauen und Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen. Das ist das Unternehmen nicht nur sich selbst, seinen Mitarbeitern und seinen Kunden schuldig, sondern auch dem Wirtschaftsstandort Deutschland.

Wie groß ist der Schaden für den Ruf der deutschen Industrie?

Wie jeder große deutsche Automobilhersteller prägt auch VW das Bild von „Made in Germany“, ist also mitverantwortlich für das Image der deutschen Wirtschaft und den Ruf deutscher Ingenieurskunst. Es ist deshalb im deutschen Interesse, dass die Vorgänge bei Volkswagen aufgeklärt und die notwendigen Konsequenzen gezogen werden. Wir brauchen eine Garantie dafür, dass Autos deutscher Hersteller Normen einhalten, ohne dass manipuliert wird.

Was tut die Bundesregierung zur Schadensbegrenzung?

Wir werden alles tun, damit keine Zweifel an der Seriosität und der umweltpolitischen Glaubwürdigkeit deutscher Automobilbauer bestehen bleiben. Sobald die personellen Veränderungen bei VW abgeschlossen sind, werden wir gemeinsam mit dem Management von VW dafür Sorge tragen.

Wie?

Verkehrsminister Dobrindt hat schnell und unmissverständlich reagiert. Jetzt ist VW am Zug, aber die Bundesregierung wird ihre Verantwortung wahrnehmen.

Apropos umweltpolitische Glaubwürdigkeit: Rechnen Sie noch damit, dass die deutschen Konzerne in diesem Jahrzehnt ein Elektroauto auf den Markt bringen, das bei den Kunden ankommt?

Wenn deutsche Automobilhersteller auch in Zukunft zur Weltspitze gehören wollen, müssen sie die Themen der Zukunft erkennen und danach handeln. Die deutschen Hersteller sind bei der Herstellung von Prototypen für Elektroautos führend. Bei der Verteilung der Märkte von morgen werden aber nur die Unternehmen mitreden können, die rasch in der Lage sind, massentaugliche Elektrofahrzeuge anzubieten. Das wäre auch ein Beitrag, um Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen. Es muss möglich sein, dass die deutschen Autobauer ein Elektroauto auf den Markt bringen, das besser und preisgünstiger ist als der Tesla von Elon Musk.

Der VW-Skandal trifft Deutschland in einer Phase, in der das Land zur Bewältigung der Flüchtlingskrise besonders auf eine starke Wirtschaft angewiesen ist. Macht Ihnen das Sorgen?

Deutschland ist wirtschaftlich sehr gut aufgestellt. Das hilft bei den Herausforderungen dieser Flüchtlingskrise. Der Satz der Kanzlerin: Wir schaffen das! hat viele Menschen motiviert und in ihrem Engagement bestärkt. Es wäre auch falsch, den Zuzug der Flüchtlinge ausschließlich als Belastung zu begreifen. Es werden viele junge Menschen zu uns kommen, die hier arbeiten und für ihr Leben selbst sorgen wollen. Das wird Deutschland stärker machen.

Kanzleramtsminister Altmaier über die Pflicht, Flüchtlingen zu helfen

Hat Deutschland aus seiner Geschichte heraus eine besondere Verpflichtung, Bürgerkriegsflüchtlingen zu helfen?

Alle Staaten haben eine humanitäre Verpflichtung zu helfen, unabhängig von ihrer Geschichte. Wenn in Syrien ein mörderischer Krieg tobt, der das Land fast völlig zerstört hat und Millionen Menschen zur Flucht treibt, dann ergibt sich die Notwendigkeit zu helfen allein aus unserem europäischen Menschenbild. Deshalb ist die EU auch als Ganze gefordert zu helfen.

Gibt es eine Grenze der Belastbarkeit bei der Aufnahme von Flüchtlingen?

Ich halte nichts davon, theoretische Grenzen zu ziehen oder Zahlen zu nennen.

Innenminister Thomas de Maizière sagt, es müsse eine faktische Obergrenze geben. Deutschland könne nicht jedes Jahr 800.000 Flüchtlinge aufnehmen. Falsch?

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU)
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU)

© Kay Nietfeld/dpa

Die Kanzlerin und der Innenminister haben gemeinsam gesagt, dass das Asylrecht keine juristische Obergrenze kennt. Wer eine persönliche Bedrohung oder Verfolgung nachweisen kann, der wird in Deutschland Aufnahme finden. Darüber hinaus müssen wir uns die Frage stellen, wie wir in Not geratenen Menschen Aufnahme in Europa gewähren können und verhindern, dass sie sich Schleusern in die Arme werfen oder ihr Leben riskieren. Das können europäische Kontingente sein, bei deren Bemessung beide Seiten berücksichtigt werden: die Menschen, die in ihrer Heimat nicht mehr bleiben können, und die Aufnahmefähigkeit der europäischen Länder. Darüber hinaus müssen wir den Migrationsdruck aus den Krisengebieten verringern.

Ziehen die Kanzlerin und ihr Innenminister in der Flüchtlingspolitik noch an einem Strang?

Die Kanzlerin, der Innenminister und das gesamte Kabinett sind sich in den grundlegenden Fragen einig.

Warum weist der Innenminister dann immer wieder darauf hin, dass Deutschland nach der Entscheidung der Kanzlerin, tausende Flüchtlinge aus Ungarn unregistriert einreisen zu lassen, die Kontrolle verloren hat?

Der Bundesinnenminister steht wie alle anderen Kabinettsmitglieder hinter dieser Entscheidung. Das hat er auch deutlich gesagt.

Genießt de Maizière noch das volle Vertrauen der Kanzlerin?

Haben Sie ihre Regierungserklärung verfolgt? Frau Merkel hat dem Innenminister in ihrer Rede ausdrücklich gedankt, und zwar unter großem Beifall der Koalitionsfraktionen.

Was die Union umtreibt und wie die Regierung die Krise in Syrien angeht

Viele in der Union stehen dem Kurs der Kanzlerin zumindest skeptisch gegenüber. Was sagen Sie denen bei CDU und CSU, die wegen des Zuzugs so vieler Menschen die nationale Identität des Landes bedroht sehen?

80 Prozent der Deutschen sind heute stolz auf ihr Land. Das ist auch ein Erfolg der Politik, für die Angela Merkel seit zehn Jahren die Verantwortung trägt. Ich bin überzeugt, dass die Identität unseres Landes in dieser Zeit viel stärker geworden ist, als das jemals in der Nachkriegszeit der Fall war. Und das, obwohl es zu jeder Zeit Zuwanderung gegeben hat. Ich setze darauf, dass sich die Menschen nicht kirre machen lassen von denen, die an alte Ressentiments appellieren.

CSU-Chef Horst Seehofer hat den ungarischen Regierungschef Viktor Orbán jetzt dafür gelobt, dass er die EU-Außengrenze sichert, notfalls mit Wasserwerfern. Spricht Seehofer aus, was in der Union viele denken?

CDU und CSU sind Volksparteien und repräsentieren eine große Bandbreite von Meinungen. Beim Flüchtlingsgipfel hat Horst Seehofer alle Kompromisse mitgetragen.

Beim Gipfel mit den Ministerpräsidenten hat der Bund in dieser Woche versprochen, dass er den Ländern jedes Jahr vier Milliarden Euro zur Verfügung stellen wird. Damit kann Finanzminister Wolfgang Schäuble doch das Ziel der Schwarzen Null vergessen, oder?

Der Finanzminister hat erklärt, dass er anstrebt, die schwarze Null zu halten. Das ist das erklärte Ziel der gesamten Bundesregierung. Wir haben uns für Stabilitätspolitik entschieden und werden dabei bleiben.

Schäuble kündigt bereits Sparmaßnahmen an. Sind Kürzungen bei Sozialleistungen tabu?

Darüber zu reden, haben wir keinen Anlass. Natürlich stellt uns die Flüchtlingskrise auch vor finanzielle Herausforderungen. Wir setzen deshalb jetzt schon auf die Einhaltung von Haushaltsdisziplin. Am wichtigsten aber ist es, dass wir vielen der Flüchtlinge, die hierherkommen, zu Arbeit verhelfen.

Bleibt es beim „Nein“ zu Steuererhöhungen und Flüchtlingssoli?

Wir haben den Wählern versprochen, dass es keine Steuererhöhungen oder andere Abgabenerhöhungen gibt. Dieses Versprechen werden wir einhalten.

Zur Beschleunigung der Asylverfahren sollen nun weitere Balkanstaaten zu sicheren Herkunftsländern erklärt werden. Sind Sie sicher, dass die Grünen im Bundesrat zustimmen?

Ich rechne fest damit. Wir haben beim Gipfelgespräch in dieser Woche mit ganz großer Mehrheit beschlossen, dass wir alle Westbalkanländer zu sicheren Herkunftsländern machen wollen. Auch die Ministerpräsidenten mit grüner Regierungsbeteiligung haben sich dazu bekannt. Alle Verlautbarungen von grüner Seite deuten darauf hin, dass auch die Grünen diesen Kompromiss mittragen.

Immer mehr westliche Politiker befürworten direkte Gespräche mit dem syrischen Präsidenten Baschar al-Assad, hier links im Bild bei einem Truppenbesuch an Silvester.
Immer mehr westliche Politiker befürworten direkte Gespräche mit dem syrischen Präsidenten Baschar al-Assad, hier links im Bild bei einem Truppenbesuch an Silvester.

© dpa

Der Bürgerkrieg in Syrien ist eine wesentliche Ursache der Flüchtlingskrise. Warum will die Kanzlerin nun ausgerechnet Syriens Diktator Baschar al Assad an den Verhandlungstisch holen?

Die Kanzlerin hat gesagt, dass zur Lösung des Konflikts mit den USA, Russland und auch mit Vertretern der Assad-Regierung gesprochen werden muss. Wir verbinden damit keine Aussage über die Zukunft der Assad-Regierung.

Ohne den russischen Präsidenten Wladimir Putin wird der Krieg in Syrien kaum beendet werden können. Muss der Westen bereit sein, dafür die Wirtschaftssanktionen gegen Russland zu lockern?

Trotz der klaren Kritik an Putins Verhalten in der Ukraine haben wir immer gesagt, dass wir mit dem russischen Präsidenten in internationalen Fragen den Dialog führen werden. Und für die Lösung der Probleme in Syrien ist Putin wichtig. Das bedeutet aber nicht, dass wir unsere Position in der Ukraine-Frage ändern. Wir sind nicht erpressbar.

Die Internationale Gemeinschaft spricht über militärische Maßnahmen zur Beendigung des Krieges. Kann sich Deutschland dabei heraushalten?

Bisher ist nicht absehbar, in welche Richtung diese Gespräche gehen werden. Deshalb werde ich hier nicht über eine deutsche Rolle spekulieren. Deutschland ist in der Region keineswegs untätig. Wir unterstützen die Peschmerga in ihrem Kampf und haben einen wichtigen Beitrag zur Lösung des Atomkonflikts im Iran geleistet.

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